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Namensanonymität – Provisorialverfahren, RIS

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 16

EMRK: Art 6, Art 10

OGHG: § 15

Das Recht auf ein faires Verfahren gem Art 6 EMRK umfasst ua auch, dass das Urteil grds öffentlich verkündet werden muss. Die Garantien des Art 6 EMRK sind im Regelfall auch im Provisorialverfahren voll anwendbar. Auch für Parteien eines Provisorialverfahrens – wie hier – kann es daher keine uneingeschränkte Anonymität geben, werden doch in einer öffentlichen Verhandlung bzw Verkündung der Entscheidung die Namen der Parteien der anwesenden Öffentlichkeit bekannt.

Macht jemand einen Anspruch auf Namensanonymität geltend, muss er das Bestehen schutzwürdiger Interessen (für die Geheimhaltung) beweisen.

Die Verpflichtung des OGH, seine Entscheidungen in der Entscheidungsdokumentation Justiz zu anonymisieren (§ 15 Abs 4 OGHG), richtet sich nur an die Justiz selbst, nicht auch an außenstehende Dritte wie den Bekl (hier: ein Rechtsanwalt, der auf seiner Website in einer Entscheidungsanmerkung zu einer OGH-E den vollen Namen der Kl erwähnt hat, den er einer englischen Disziplinarentscheidung entnommen hat, die damals auch im Internet frei zugänglich war). Ein Anhaltspunkt, diese Bestimmung analog auf Dritte anzuwenden, ist nicht ersichtlich.

Verbietet – wie hier – keine eindeutige und ausdrückliche gesetzliche Bestimmung die Namensnennung, muss vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Rechtslage die Interessenabwägung regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen, weil eine Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit andernfalls nicht im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK ausreichend konkretisiert wäre.

OGH 27. 2. 2019, 6 Ob 181/18p

Sachverhalt

Die Kl hieß früher Dr. I***** M***** und heißt nach einer Namensänderung aus sonstigen Gründen gem § 1 Abs 1 Z 1 und § 2 Abs 1 Z 11 NÄG nunmehr S***** S*****.

Beim LG Salzburg führt die Kl einen Zivilprozess gegen das US-amerikanische Unternehmen g*****.inc, weil dessen Internetsuchmaschine bei Eingabe ihres früheren Namens „I***** M*****“ diesen Suchbegriff mittels Autovervollständigung (Autocomplete-Funktion) um den aktuellen Namen „S***** S*****“ ergänzt und auf diese Weise eine Verknüpfung der beiden Namen herstellt.

Im Provisorialverfahren dieses Zivilprozesses erging die E OGH 30. 3. 2016, 6 Ob 26/16s (= Rechtsnews 21628 = RdW 2016/453), die sich insb mit der namensrechtlichen Zulässigkeit von Autocomplete-Suchvorschlägen befasst und im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS-Justiz) veröffentlicht wurde. Der frühere und der aktuelle Name der Kl scheinen im veröffentlichten Entscheidungstext nur in anonymisierter Form auf.

Die Kl bekämpft in mehreren Gerichtsverfahren Annahmen und Behauptungen, wonach sie während ihrer Tätigkeit als Zahnärztin in den Niederlanden Patienten nicht lege artis behandelt und/oder Abrechnungen nicht korrekt vorgenommen habe und in weiterer Folge in Großbritannien ihre Eintragung in die Liste der dortigen Zahnärzte unter Verschweigung standesrechtlicher Verfahren in den Niederlanden erreicht habe. Die Kl sieht sich diesbezüglich als Opfer einer laufenden Verleumdungskampagne. In diesem Sinne bestreitet die Kl auch die Sachverhaltsannahmen in der E 6 Ob 26/16s iZm dem Vorwurf standeswidrigen Verhaltens und Vorgehens nicht lege artis.

Der beklagte Rechtsanwalt betreibt eine Website, die er ua dazu benützt, seine rechtswissenschaftlichen Publikationen zugänglich zu machen und Gerichtsentscheidungen zu glossieren. In seiner Entscheidungsanmerkung zu 6 Ob 26/16s führte er wörtlich aus:

„[…] Gegenstand des Rechtsstreits zwischen einer österreichischen Zahnärztin und dem US-amerikanischen Konzern bildete die Unterlassung der automatischen Vervollständigung des Suchbegriffs [ausgeschriebener früherer Vor- und Familienname der Kl] mit dem Begriff [ausgeschriebener jetziger Vor- und Familienname der Kl]. Der Bedeutungsgehalt dieser Aussage besteht darin, den früheren bürgerlichen Namen der Kl mit jenem Namen zu verknüpfen, den die Kl nach behördlich bewilligter Namensänderung aus sonstigen Gründen nunmehr führen darf. Andere 'AutoSuggests' mit dem Namen der Kl wie etwa 'Verleumderin' oder 'Verbrecherin' hatte die Bekl bereits nach außergerichtlicher Abmahnung entfernt.“

Der Bekl hatte die beiden vollständigen Namen der Kl aus einer Fundstelle erlangt, die als pdf-Datei in der E 6 Ob 38/15d angegeben war und die zwischenzeitig nicht mehr abrufbar ist.

Die Kl begehrt die Unterlassung der Nennung ihrer Namen auf der Website des Bekl unter Bezugnahme auf die E 6 Ob 26/16s.

Anders als die beiden Vorinstanzen wies der OGH das Klagebegehren ab.

Entscheidung

Die hier vorzunehmende Interessenabwägung schlägt nach Ansicht des OGH zugunsten des Bekl aus, weil die Kl keine ausreichenden schutzwürdigen Interessen an ihrer Namensanonymität im vorliegenden Zusammenhang behauptet und bewiesen hat:

Grundsätzlich ist hier die Namensnennung durch keine eindeutige und ausdrückliche gesetzliche Bestimmung verboten. Die Verpflichtung des OGH, seine Entscheidungen in der Entscheidungsdokumentation Justiz zu anonymisieren, richtet sich nur an die Justiz selbst, nicht auch an außenstehende Dritte wie den Bekl. Ein Anhaltspunkt, diese Bestimmung analog auf Dritte anzuwenden, ist nicht ersichtlich.

Entgegen der Ansicht der Kl muss auch nicht der Bekl dartun, dass die Namensnennung für seine (wissenschaftlichen) Zwecke notwendig ist, zumal die Grundrechte der Art 6 und 10 EMRK hier im Zweifel für das Recht auf Namensveröffentlichung sprechen.

Aus den Feststellungen dieses Verfahrens sowie im Vorverfahren 6 Ob 26/16s (= Rechtsnews 21628 = RdW 2016/453) ergibt sich auch, dass die Kl in der Vergangenheit bis zu einem gewissen Grad selbst einen sachlichen Anlass zur Namensnennung gegeben hat, hat sie doch mehrere Gerichtsverfahren angestrengt und wurde das sie betreffende Displinarerkenntnis der englischen Administrativbehörde unter Namensnennung der Kl im Internet veröffentlicht.

Mag auch die Kl die für sie nachteiligen Feststellungen im Vorprozess bestreiten (insbesondere die vorsätzliche Falschaussage bei der britischen Standesbehörde), so wurden diese Feststellungen von den Vorinstanzen im Vorprozess unter Beachtung des rechtlichen Gehörs der Kl getroffen. Auch wenn sich die Kl iZm der Berichterstattung über die Vorentscheidung unter Nennung ihrer Namen verständlicherweise öffentlich herabgesetzt sieht, rechtfertigt dies nicht ihr allfälliges Geheimhaltungsinteresse an diesen gerichtlichen Tatsachenfeststellungen. Dass sich mittlerweile in einem anderen Gerichtsverfahren (oder im Hauptverfahren des Vorprozesses) für sie günstigere Feststellungen ergeben hätten und somit die Unrichtigkeit der Feststellungen im Vorprozess hervorgekommen wäre, hat die Kl nicht behauptet.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27411 vom 05.06.2019