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EuGH: Anerkennung und Vollstreckung von Strafrechtsurteilen – Rahmenbeschluss 2008/909

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

Rahmenbeschluss 2008/909: Art 28

Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verpflichtet ein nationales Gericht nicht, eine Bestimmung des nationalen Rechts, die mit einer Bestimmung des Unionsrechts in Widerspruch steht, unangewendet zu lassen, wenn diese Bestimmung keine unmittelbare Wirkung hat (hier Rahmenbeschlusses 2008/909/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union). Die Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der Gerichte, sind jedoch verpflichtet, ihrem nationalen Recht so weit wie möglich eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung beizumessen, die es ihnen ermöglicht, ein Ergebnis zu gewährleisten, das mit dem Zweck vereinbar ist, der mit dem Rahmenbeschluss verfolgt wird.

EuGH 24. 6. 2019, C-573/17, Popławski

Zu einem niederländischen Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Nach seinem Art 26 ersetzt der Rahmenbeschluss 2008/909 ab dem 5. 12. 2011 die Bestimmungen der in dieser Vorschrift angeführten, in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen. Ferner ergibt sich aus Art 28 Abs 1 des genannten Rahmenbeschlusses, dass für ab dem 5. 12. 2011 eingehende Ersuchen um Anerkennung und Vollstreckung eines Urteils, mit dem eine Sanktion verhängt wurde, nicht mehr die bestehenden Instrumente für die Überstellung verurteilter Personen gelten, sondern die von den Mitgliedstaaten gem diesem Rahmenbeschluss erlassenen Bestimmungen.

Nach Art 28 Abs 2 des Rahmenbeschlusses 2008/909 kann jedoch jeder Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses eine Erklärung abgeben, wonach er als Ausstellungs- und Vollstreckungsstaat weiterhin die vor dem 5. 12. 2011 für die Überstellung verurteilter Personen geltenden Rechtsinstrumente in den Fällen anwenden wird, in denen das rechtskräftige Urteil, mit dem eine Verurteilung ausgesprochen wurde, vor dem Zeitpunkt erlassen wurde, den der betreffende Mitgliedstaat festlegt, sofern dieser Zeitpunkt nicht nach dem 5. 12. 2011 liegt. Wenn ein Mitgliedstaat eine solche Erklärung abgibt, gelten diese Instrumente in den von dieser Erklärung erfassten Fällen im Verhältnis zu allen anderen Mitgliedstaaten, ungeachtet dessen, ob diese die gleiche Erklärung abgegeben haben oder nicht.

Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht aber hervor, dass der Mitgliedstaat die darin genannte Erklärung zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses einreichen muss. Daraus folgt, dass eine nach diesem Zeitpunkt abgegebene Erklärung nicht die vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen dafür erfüllt, dass diese Erklärung Rechtswirkungen erzeugen kann.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Art 28 Abs 2 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. 11. 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass eine nach dieser Bestimmung von einem Mitgliedstaat nach dem Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses abgegebene Erklärung keine Rechtswirkungen entfalten kann.
2.Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er ein nationales Gericht nicht verpflichtet, eine Bestimmung des nationalen Rechts, die mit den Bestimmungen eines den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rahmenbeschlüssen entsprechenden Rahmenbeschlusses, dessen Rechtswirkungen gem Art 9 des den Verträgen beigefügten Protokolls (Nr 36) über die Übergangsbestimmungen aufrechterhalten worden sind, unvereinbar ist, unangewandt zu lassen, da diese Bestimmungen keine unmittelbare Wirkung haben. Die Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der Gerichte, sind jedoch verpflichtet, ihrem nationalen Recht so weit wie möglich eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung beizumessen, die es ihnen ermöglicht, ein Ergebnis zu gewährleisten, das mit dem Zweck vereinbar ist, der mit dem Rahmenbeschluss verfolgt wird.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27488 vom 25.06.2019