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Digitale Vignette – unlauterer Vertrieb

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

FAGG: § 1

UWG: § 1, Anhang Z 18

1. Das FAGG gilt „für Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (Fern- und Auswärtsgeschäfte) zwischen Unternehmern und Verbrauchern“ (§ 1 Abs 1 FAGG); § 1 Abs 2 FAGG nennt „Verträge“, für die das Gesetz nicht gilt. Die Anknüpfung der gesetzlichen Tatbestände bloß an Fernabsatz- und Auswärtsgeschäfte oder an „Verträge“ spricht dafür, dass sich die Geltung des FAGG – vorbehaltlich der Ausnahmen des Abs 2 – auf alle Arten von Verträgen erstreckt.

Der Vertrieb der Digitalen Vignette und der Digitalen Streckenmaut durch die Bekl ist als Vertrag iSv § 1 Abs 1 FAGG zu qualifizieren und auf diesen daher das FAGG anzuwenden (mit seinen Informationspflichten, Rücktritts- und Widerrufsrecht).

2. Der Tatbestand des UWG Anh Z 18 erfasst Sachverhalte, bei denen ein Unternehmer durch unrichtige Informationen ein falsches Bild über die Marktbedingungen (Marktverhältnisse) oder die Verfügbarkeit eines Produkts zeichnet, um es schließlich zu Konditionen zu verkaufen, die für den Kunden nachteilig sind. Unter den Begriff „Produkt“ fallen nicht nur Waren, sondern auch Dienstleistungen (§ 1 Abs 4 Z 1 UWG). „Marktbedingungen“ meint alles, was für das betreffende Produkt charakteristisch oder für den Kunden relevant ist (hier: unrichtige und unvollständige Informationen über Inhalt und Geltungsbereich des gesetzlichen Rücktrittsrechts sowie den Umstand, dass die Bekl die digitalen Produkte der Kl um einen Aufpreis verkaufen und die sofortige „Freischaltung“ damit bewirken, dass sie ihre Kunden der Kl gegenüber pauschal als Unternehmer ausgeben).

OGH 19. 12. 2019, 4 Ob 96/19z

Sachverhalt

Die Kl (eine Aktiengesellschaft, deren Aktien zur Gänze im Eigentum der Republik Österreich stehen) besitzt das Fruchtgenussrecht an allen Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich. Sie hat somit das Recht, dort von sämtlichen Nutzern Maut einzuheben; dem liegt – neben den gesetzlichen Grundlagen – die jeweils gültige Mautordnung und Vignettenpreisverordnung zugrunde.

Seit dem Jahr 2018 bietet die Kl auf gesetzlicher Basis auch den Erwerb einer Digitalen Vignette bzw einer Digitalen Streckenmaut an, indem das Kennzeichen in ihrem Mautsystem elektronisch registriert wird. Um diese Registrierung, den Bezug und die Verwaltung der Digitalen Vignette und der Digitalen Streckenmaut zu ermöglichen, betreibt sie einen Webshop.

Bei Erwerb der Digitalen Vignette bzw Digitalen Streckenmaut durch Verbraucher ist seitens der Kl eine Wartefrist von 18 Tagen vorgesehen, um Missbrauch von Kunden iZm dem gesetzlichen Rücktrittsrecht der Verbraucher zu verhindern.

Die Erstbeklagte (mit Sitz in Deutschland) vertreibt über ihre Website https://vignette-sofort.at/ die genannten digitalen Produkte der Kl und bietet diese auch für Verbraucher als „sofort gültig“ an. Die Zweitbeklagte ist persönlich haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten, Dritt- und Viertbeklagte sind die alleinigen Geschäftsführer der Zweitbeklagten.

Die Abwicklung des „Erwerbs“ der Digitalen Vignette bzw der Digitalen Streckenmaut über https://vignette-sofort.at/ erfolgt derart, dass die Bekl die eingegebenen (Kennzeichen-)Daten und Produktwahlauswahl ihrerseits in den Webshop der Kl eingeben und dabei stets die Option „Ich bin Unternehmer“ wählen – also unabhängig davon, ob der Erwerber tatsächlich die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt.

Die Preise auf https://vignette-sofort.at/ sind deutlich höher als im Webshop der Kl, wobei von https://vignette-sofort.at/ stets (also auch im Rahmen der Abwicklung) ausschließlich ein Pauschalpreis angegeben ist, sodass für den Erwerber dieser höhere Preis nicht deutlich erkennbar ist.

Die Bekl lehnen das Rücktritts- bzw Widerrufsrecht österreichischer Verbraucher ab.

Bei der Kl beschwerten sich Verbraucher, die feststellten, dass sie bei www.vignette-sofort.at einen höheren Preis bezahlt hatten oder deren Rücktritt von den Bekl nicht akzeptiert worden war. Verbraucher hatten den Eindruck, die Website der Bekl sei jene der Kl bzw verwechselten diese mit der offiziellen Website der Kl.

Das ErstG untersagte den Bekl auf Antrag der Kl den Vertrieb der Digitalen Vignette (Streckenmaut) und die Verwendung der Marken der Kl mit einstweiliger Verfügung.

Das RekursG wies den Sicherungsantrag ab. Es verneinte sowohl die Aktivlegitimation der Kl betreffend die Verstöße gegen das Lauterkeitsrecht (kein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Streitteilen) als auch einen Markenrechtsverstoß, weil die Marken der Kl bloß beschreibend seien.

Der OGH gab dem Revisionsrekurs Folge und stellte die einstweilige Verfügung des ErstG mit einer geringfügigen Abweichung wieder her.

Entscheidung

Die Streitteile richten ihr Angebot an den gleichen Abnehmerkreis. Darüber hinaus verursachen die Bekl durch die Art ihres Vertriebs Kundenanfragen und -beschwerden bei der Kl und beeinträchtigen derart den Wettbewerb der Kl. Überdies nutzen die Bekl durch Verwendung der Marken der Kl deren Ruf für den Absatz ihrer eigenen Dienstleistungen. Damit ist ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Streitteilen jedenfalls zu bejahen und die Aktivlegitimation der Kl zur Geltendmachung unlauterer Geschäftspraktiken der Bekl gegeben.

Der OGH bejahte zunächst einen Verstoß gegen das FAGG als Rechtsbruch nach § 1 UWG sowie die Erfüllung des Tatbestands nach UWG Anh Z 18. Eine Ausnahme vom Rücktrittsrecht nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG kommt nur bei der 10-Tages-Vignette in Betracht.

Auch die Markenrechtsverletzung wurde vom OGH bejaht:

Den beiden Wortbildmarken der Kl kann Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden. Ihre Wortelemente „Digitale Vignette“ und „Digitale Streckenmaut“ treten als beschreibend in den Hintergrund, sodass die jeweiligen Bildelemente als prägend anzusehen sind. Diese gehen bei beiden Marken über die bloße Verwendung einfacher geometrischer Formen hinaus: Das rote Trapez ist im unteren Bereich des linken Schenkels schachbrettartig gemustert, das grüne Rechteck wird durch zwei unterschiedlich breite spitzdachförmige Linien in seinem Inneren ergänzt. Entgegen der Auffassung der Bekl in ihrer Äußerung zum Sicherungsantrag gibt es auch keine „klassische“ Vignettenform, wie bereits der Vergleich mit äußerst unterschiedlich gestalteten Mautvignetten aus anderen europäischen Ländern zeigt. Bei beiden Marken der Kl sind die grafischen Elemente daher ausreichend phantasievoll gestaltet, um es den maßgeblichen Verkehrskreisen zu ermöglichen, die Marken als Herkunftszeichen zu erkennen.

Wenn daher die Bekl die unterscheidungskräftigen Marken der Kl zur Bewerbung ihrer eigenen Dienstleistung verwenden, liegt darin eine Verletzungshandlung iSv § 10 Abs 1 Z 1 MarkSchG.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 28521 vom 10.01.2020