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EuGH: Vorsteuerabzug bei mittelbarer Begünstigung Dritter

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

Art 17 Abs 2 lit a Sechste Richtlinie 77/388/EWG

Abstract

In der Rs Vos Aannemingen hatte sich der EuGH unter anderem mit der Frage des Vorsteuerabzugs und der Aufteilung der Vorsteuer in Fällen, in denen ein Dritter einen Vorteil aus den bezogenen Leistungen erhält, auseinanderzusetzen. Besteht ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen sowie den in Frage stehenden Ausgaben und ist der Vorteil für den Dritten nur nebensächlich, darf das Vorsteuerabzugsrecht nicht eingeschränkt werden.

EuGH 1. 10. 2020, C-405/19, Vos Aannemingen BVBA

Sachverhalt

Vos Aannemingen, eine belgische Gesellschaft, war auf die Errichtung und den Verkauf von Mehrfamilienhäusern spezialisiert. Da die Grundstücke, auf denen die Gebäude errichtet wurden, im Eigentum Dritter standen, wurden die anteiligen Miteigentumsanteile an diesen Grundstücken von den Grundstückseigentümern selbst verkauft. Dennoch trug Vos Aannemingen die gesamten Kosten für Werbung, Verwaltung und Maklergebühren, wobei sie die darauf entfallende MwSt vollständig in Abzug brachte. Die von Vos Aannemingen getragenen Kosten begünstigten damit nicht nur ihre eigene wirtschaftliche Tätigkeit, sondern auch die der Grundstückseigner. Die belgische Steuerverwaltung versagte daher das volle Vorsteuerabzugsrecht mit der Begründung, dass die Vorsteuer nur insoweit abgezogen werden dürfe, als sie sich auf den Verkauf der von Vos Aannemingen errichteten Gebäude beziehe. Vor diesem Hintergrund ersuchte der belgische Kassationsgerichtshof den EuGH um eine Vorabentscheidung: Fraglich war, ob der Umstand, dass Ausgaben eines Steuerpflichtigen auch einem Dritten zugutekommen, dem vollen Vorsteuerabzugsrecht für diese Ausgaben entgegensteht, wenn zwischen den Ausgaben und der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ein direkter unmittelbarer Zusammenhang besteht und der Vorteil für den Dritten nur nebensächlicher Natur ist. Zum anderen wollte das vorlegende Gericht wissen, ob sich die Tatsachen, dass die Kosten bestimmten Ausgangsumsätzen zuzurechnen sind und die Ausgaben dem Dritten in Rechnung gestellt werden können, auf das Recht zum Vorsteuerabzug auswirken.

Entscheidung des EuGH

Das Vorsteuerabzugsrecht ist nach stRsp des EuGH ein fundamentaler Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann (vgl EuGH 18. 10. 2018, C-153/17, Volkswagen Financial Sercives [UK], 14. 7. 2017, C-38/16, Compass Contract Services) und welches die vollständige Entlastung von Unternehmern von der im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer sicherstellen soll. Für die Berechtigung und die Bestimmung des Umfangs dieses Rechts muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren (zum Vorsteuerabzug berechtigenden) Ausgangsumsätzen bestehen. Besteht ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang kann ein Ausschluss vom Vorsteuerabzugsrecht, dem EuGH zufolge, nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass ein Dritter durch die Dienstleistungen des Steuerpflichtigen einen Vorteil erhält (vgl EuGH 14. 12. 2017, C-132/16, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, Rn 35). Eine Beschränkung des Vorsteuerabzugs in solchen Fällen würde nämlich dann dem umsatzsteuerlichen Neutralitätsgrundsatz widersprechen, wenn der Vorteil für den Dritten nur nebensächlich ist. Nebensächlichkeit liegt iSd EuGH-Rsp vor, wenn sich der Vorteil aus einer Dienstleistung ergibt, die im eigenen Interesse des Steuerpflichtigen liegt (vgl EuGH 18. 7. 2013, C-124/12, AES-3C Maritza East 1). Im vorliegen Fall waren die Ausgaben jedenfalls im Interesse des Steuerpflichtigen gelegen, wodurch der Vorteil für die Grundstückseigentümer als nebensächlich anzusehen war. An diesem Ergebnis ändere sich auch nichts – so der EuGH –, wenn die Ausgaben bestimmten Ausgangsumsätzen zuzuordnen sind, vorausgesetzt diese Kosten stehen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit besteuerten Umsätzen. Auch die Möglichkeit, einen Teil der angefallenen Kosten dem Dritten in Rechnung zu stellen, soll ohne weiteres nicht dazu ausreichen, das Vorsteuerabzugsrecht zu versagen. Eine solche Möglichkeit spreche zwar dem Grunde nach dafür, dass sich ein Teil der Ausgaben auf den Umsatz des Dritten bezieht (und damit nicht auf die vom Steuerpflichtigen bewirkten Ausgangsumsätze). Bei Anwendung des Kriteriums des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs ist allerdings auf alle Umstände Bedacht zu nehmen, unter denen die Ausgangsumsätze ausgeführt wurden.

Conclusio

Relevanz hat das vorliegende Urteil insb deswegen, weil sich der EuGH darin zu den grundlegenden Prinzipen des Vorsteuerabzugs äußert. Seine Entscheidung reiht sich dabei in die bisherige Rsp ein und basiert im Wesentlichen auf dem Urteil in der Rs AES 3C Maritza East 1. Stehen Eingangsumsätze mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang, besteht das Vorsteuerabzugsrecht auch in jenen Fällen, in denen einem Dritten ein nur nebensächlicher Vorteil aus diesen Dienstleistungen entsteht.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30281 vom 21.01.2021