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COVID-19: VfGH-Entscheidungen zu diversen Maßnahmen

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

COVID-19-Maßnahmengesetz idF vor BGBl I 2020/104: § 2

§ 4 Abs 3 erster Satz der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20. 3. 2020, LGBl 35/2020, war bis zum Ablauf des 4. 4. 2020 gesetzwidrig. Darin wird angeordnet, dass ab dem Verlassen des eigenen Wohnsitzes ein Abstand von mindestens einem Meter gegenüber Personen einzuhalten ist, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben. Die Verordnung ist unter Berufung auf § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz ergangen, der – in der hier maßgeblichen Stammfassung BGBl I 2020/12 – den Landeshauptmann ermächtigt hat, durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten zu untersagen. Vor diesem Hintergrund hat die Verordnungsbestimmung daher die gesetzliche Ermächtigung überschritten. Erst mit Art 50 Z 2 des 3. COVID-19-Gesetzes, BGBl I 2020/23, wurde § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz mit Wirkung vom 5. 4. 2020 folgender Satz angefügt: "Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen jene bestimmten Orte betreten werden dürfen".

Da die Gesetzwidrigkeit des § 4 Abs 3 erster Satz der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol, LGBl 35/2020, mit Inkrafttreten der Novelle zum COVID-19-Maßnahmengesetz durch BGBl I 2020/23 mit Ablauf des 4. 4. 2020 entfallen ist (und die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol jedenfalls mit dessen Verordnung LGBl 2020/44 mit Ablauf des 6. 4. 2020 aufgehoben wurde), ist festzustellen, dass die genannte Verordnungsbestimmung gesetzwidrig war und nicht mehr anzuwenden ist.

VfGH 16. 6. 2021, V 81/2021 (kundgemacht in BGBl II 2021/319)

Weitere Entscheidungen des VfGH

Der VfGH hat auf seiner Homepage (www.vfgh.gv.at) weitere Entscheidungen zu COVID-19-Regelungen veröffentlicht, und zwar zu folgenden Bereichen:

-Maskenpflicht im Handel
  • Keine gesetzwidrige Regelung (kein Verstoß gegen COVID-19-Maßnahmengesetz) betr den Zeitraum 14. bis 20. 9. 2020, weil der Verordnungsgeber hinreichend dargelegt hat, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die strittige Regelung erfolgt ist. (VfGH 10. 6. 2021, V 35/2021)
  • Gesetzwidrig war hingegen die Bestimmung in der Stammfassung der COVID-19-Lockerungsverordnung (BGBl II 2020/197) betr Maskenpflicht im Handel im Mai 2020, weil diesbezüglich nicht nachvollziehbar festgehalten war, warum der BM die Maskenpflicht für erforderlich hielt. (VfGH 8. 6. 2021, V 587/2020)
-Verbot von „Click & Collect“ im Spätherbst 2020 war verhältnismäßig; keine unsachliche Ungleichbehandlung dadurch, dass im gleichen Zeitraum die Abholung von Speisen und Getränken erlaubt war, weil deren ständige Verfügbarkeit als Güter der Grundversorgung essentiell ist. (VfGH 24. 6. 2021, V 592/2020)
-Papier- und Schreibwarenhandel: Ausweichen auf Online-Handel war zumutbar. (VfGH 24. 6. 2021, V 593/2020).
-Begräbnisse: Beschränkung auf 50 Teilnehmer war unverhältnismäßig; die letzte Verabschiedung von nahestehenden Verstorbenen ist weder wiederhol- noch substituierbar und stellt daher einen besonders schweren Eingriff in das Recht auf Privatleben dar.
Hingegen war das Verbot des Betretens (Befahrens) des Kundenbereichs von Betriebsstätten zur Inanspruchnahme von körpernahen Dienstleistungen (zB Massage) im Hinblick auf die damaligen epidemiologischen Verhältnisse sachlich gerechtfertigt, ebenso die ab 26. 12. 2020 geltende ganztägige Ausgangsregelung. (VfGH 24. 6. 2021, V 2/2021)
-Testpflicht bei Ausreise aus Tirol (zum Schutz vor der Verbreitung bestimmter Virusvarianten von COVID-19 [„südafrikanische“ bzw „britische“ Mutation]) war verhältnismäßig. Da dem BM zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung Studien vorlagen, wonach sich Personen mit Antikörpern gegen COVID-19 nochmals mit den Virusvarianten anstecken könnten, war die Testpflicht als Bedingung für die Ausreise auch für Personen sachlich gerechtfertigt, die bereits eine Infektion mit COVID-19 durchlaufen hatten. (VfGH 24. 6. 2021, V 87/2021)
-Verkehrsbeschränkung in Nenzing – Unternehmen im Recht auf Gleichheit verletzt (VfGH 23. 6. 2021, E 4044/2020). Das – formal auf das COVID-19-Maßnahmengesetz gestützte – Verbot des Verlassens bestimmter Ortsteile in Nenzing findet in diesem Gesetz keine Grundlage. Es handelt sich vielmehr um eine Verkehrsbeschränkung nach dem EpiG, das für diesen Fall grundsätzlich einen Ersatzanspruch vorsieht. Indem das LVwG Vorarlberg diesen Anspruch allein aufgrund der Promulgationsklausel der Verordnung verneint hat („Die Bezirkshauptmannschaft Bludenz verordnet als zuständige Behörde gem § 2 Z 3 des COVID-19-Maßnahmengesetzes…“), hat es das Unternehmen im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Im fortgesetzten Verfahren hat das LVwG zu prüfen, ob ein Anspruch auf Vergütung nach dem EpiG an sich besteht und ob das Unternehmen Zahlungen erhalten hat, die auf diesen Anspruch anzurechnen sind.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31214 vom 21.07.2021