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Urheberrechtsverletzung – Territorialitätsprinzip

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EuGVVO 2012: Art 7

RL 2001/29/EG: Art 2, Art 3

Der OGH hat dem EuGH mehrere Fragen betr den Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG (MultimediaRL; InfoSocRL; UrheberrechtsRL) und betr das Territorialitätsprizip bei Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Nach Auffassung des OGH bedarf es einer Klarstellung des EuGH insb betr die Frage, welche konkreten – objektiven und subjektiven – Tatbestandsmerkmale sowohl bei demjenigen vorliegen müssen, der die entsprechenden Einrichtungen bereitstellt, als auch bei Dritten, die mit ihm zusammenwirken, damit jeweils von einer „zentralen Rolle“ bei der Übertragung ausgegangen werden kann (hier: nicht in der Union ansässiger unmittelbarer Betreiber einer Streamingplattform und mit ihm vertraglich und/oder gesellschaftsrechtlich verbundene Dritte mit Sitz in der Union).

Weiters stellt sich für den OGH die Frage, ob Art 2 und 3 InfoSocRL iVm Art 7 Nr 2 VO (EU) 1215/2012 (EUGVVO 2012) dahin auszulegen sind, dass das angerufene nationale Gericht im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von Urheber- und verwandten Schutzrechten nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig ist, der im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verursacht worden ist (weil das Territorialitätsprinzip der Kognitionsbefugnis inländischer Gerichte in Bezug auf ausländische Verletzungshandlungen entgegensteht). Diese Auslegung wird im Schrifttum kritisiert und der OGH hält eine neuerliche Befassung des EuGH zur endgültigen Klärung der praktisch bedeutsamen Frage für angezeigt, ob das nationale Gericht nicht vielmehr auch über Tathandlungen absprechen kann oder muss, die nach den Behauptungen des verletzten Urhebers außerhalb dieses Hoheitsgebiets (weltweit) begangen wurden.

OGH 22. 6. 2021, 4 Ob 44/21f

Vorlagefragen

I.Ist der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) dahin auszulegen, dass diese vom (hier nicht in der Union ansässigen) unmittelbaren Betreiber einer Streamingplattform vorgenommen wird, der
  • allein über den Inhalt und die Abdunkelung von von ihm verbreiteten TV-Sendungen entscheidet und diese technisch durchführt,
  • die alleinigen Administratorenrechte für die Streamingplattform hat,
  • Einfluss darauf nehmen kann, welche TV-Programme vom Endnutzer über den Dienst empfangen werden können, jedoch ohne Einfluss auf den Inhalt der Programme nehmen zu können,
  • und alleiniger Kontrollpunkt dafür ist, welche Programme und Inhalte wann auf welchen Territorien zu sehen sind,
    wenn dabei jeweils
  • dem Nutzer Zugriff nicht nur auf Sendungsinhalte vermittelt wird, deren Online-Nutzung die jeweiligen Rechtsinhaber erlaubt haben, sondern auch auf solche geschützte Inhalte, bei denen eine entsprechende Rechteklärung unterblieben ist, und
  • der unmittelbare Betreiber der Streamingplattform weiß, dass sein Dienst auch den Empfang von geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber ermöglicht, indem die Endkunden VPN-Dienste verwenden, die suggerieren, die IP-Adresse und Gerät der Endkunden befinde sich in Gebieten, für die eine Zustimmung des Rechteinhabers vorliegt, jedoch
  • der Empfang von geschützten Sendungsinhalten über die Streamingplattform ohne Zustimmung der Rechteinhaber auch ohne VPN-Tunnelung für mehrere Wochen tatsächlich möglich war?
II.Im Fall der Bejahung der Frage I.:
Ist der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG dahin auszulegen, dass diese auch von mit dem in Frage I. beschriebenen Betreiber einer Plattform vertraglich und/oder gesellschaftsrechtlich verbundenen Dritten (hier mit Sitz in der Union) vorgenommen wird, die, ohne selbst Einfluss auf die Abdunkelungen und auf die Programme und Inhalte der auf der Streamingplattform gebrachten Sendungen zu haben,
  • die Streamingplattform des Betreibers und deren Dienstleistungen bewerben, und/oder
  • mit den Kunden nach 15 Tagen automatisch endende Testabonnements abschließen, und/oder
  • die Kunden der Streamingplattform als Kundendienst betreuen, und/oder
  • auf ihrer Website kostenpflichtige Abonnements für die Streamingplattform des unmittelbaren Betreibers anbieten und dann als Vertragspartner der Kunden und als Zahlungsempfänger agieren, wobei die kostenpflichtigen Abonnements derart erstellt werden, dass ein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass gewisse Programme nicht zur Verfügung stehen, nur dann erfolgt, wenn ein Kunde bei Vertragsabschluss explizit angibt, diese Programme sehen zu wollen, jedoch dann, wenn solches von Kunden nicht angegeben bzw konkret nachgefragt wird, die Kunden nicht im Vorhinein darauf hingewiesen werden?
III.Sind Art 2 lit a und lit e sowie Art 3 Abs 1 der RL 2001/29/EG iVm Art 7 Nr 2 der VO (EU) 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl L 351, S 1) dahin auszulegen, dass im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von Urheber- und verwandten Schutzrechten, die vom Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts gewährleistet werden, dieses Gericht – weil das Territorialitätsprinzip der Kognitionsbefugnis inländischer Gerichte in Bezug auf ausländische Verletzungshandlungen entgegensteht – nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig ist, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verursacht worden ist, zu dem es gehört, oder kann oder muss dieses Gericht auch über nach den Behauptungen des verletzten Urhebers außerhalb dieses Hoheitsgebiets (weltweit) begangene Tathandlungen absprechen?

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31216 vom 21.07.2021