News

Verbandsklage: Lieferbedingungen für elektrische Energie

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

KSchG: § 6, § 28, § 29

ElWOG 2010: § 80

Die RL Elektrizitätsbinnenmarkt hat dem nationalen Gesetzgeber ausdrücklich freigestellt, strengere Verbraucherschutzregeln zu treffen. Dementsprechend sind gem § 80 Abs 2 ElWOG 2010 Änderungen der (Allgemeinen) Geschäftsbedingungen und der vertraglich vereinbarten Entgelte nur nach Maßgabe des ABGB und des KSchG zulässig. Die Bestimmung lässt in ihrem letzten Satz zwar erkennen, dass eine Regelung zulässig ist, nach der ein Widerspruch des Kunden zur Vertragsbeendigung führt; über die Zulässigkeit einer Vertragsänderung im Weg einer Zustimmungsfiktion und deren Voraussetzungen sagt § 80 Abs 2 ElWOG 2010 aber nichts aus. Dafür sind vielmehr die ausdrücklich erwähnten Gesetze (ABGB und KSchG) relevant. Ein einseitiges Recht zur Entgelt- und Vertragsänderung räumt § 80 Abs 2 ElWOG 2010 nicht ein.

Ebensowenig ist dieser Bestimmung zu entnehmen, dass sie spezielle Bedingungen umschreiben hätte wollen, die den allgemeinen Transparenzerfordernissen des ABGB und KSchG „vorgehen“. Dem steht nicht nur der klare Gesetzeswortlaut entgegen, sondern auch der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, der die Stärkung und Absicherung der Verbraucherrechte hervorhob (ErlRV 994 BlgNR 24. GP 1). Da § 80 Abs 2 ElWOG ausdrücklich auf das KSchG und damit das Transparenzgebot nach § 6 Abs 3 KSchG abstellt, gilt dieses – nach Gesetzeswortlaut und Willen des historischen Gesetzgebers – auch für Energielieferanten.

OGH 28. 9. 2021, 5 Ob 103/21i

Entscheidung

Zudem hat der OGH zusammengefasst ua ausgesprochen:

-Die Verbraucherschutzrichtlinien nach europäischem Recht sind nur Mindeststandards und es seht dem nationalen Gesetzgeber frei, strengere Verbraucherschutzregeln zu treffen. Dass sich der nationale Gesetzgeber entschieden hat, § 80 ElWOG verbraucherfreundlicher zu gestalten als etwa § 25 TKG 2003, wirft keine verfassungsrechtlichen Bedenken auf, steht es dem Gesetzgeber doch im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums grundsätzlich offen, sich in unterschiedlichen Regelungsbereichen (Telekommunikationsdienstleistungen einerseits und Energieversorgung andererseits) jedenfalls für unterschiedliche Ordnungssysteme zu entscheiden.
-Unangemessene einseitige Preis- und Leistungsänderungsklauseln könnten auch nicht über den Umweg einer vereinbarten vertraglichen Zustimmungsfiktion wirksam vereinbart werden (vgl § 6 Abs 1 Z 5 und Abs 2 Z 3 KSchG).
-Dass Preisänderungen maximal zwei Mal jährlich stattfinden sollen, lässt nicht ausreichend transparent beurteilen, wann konkret Preisänderungen durch den Unternehmer vorgenommen werden dürfen.
-Grundsätzlich ist die Angemessenheit der Reaktionsfrist bei einer Erklärungsfiktion iSd § 6 Abs 1 Z 2 KSchG einzelfallbezogen zu beurteilen. Wenn auch die Lehre eine Frist von 14 Tagen im Regelfall als angemessen ansehen mag, ist dies für den zentralen Bereich der Daseinsvorsorge (hier: Versorgung mit Energie) differenziert zu beurteilen. Diesbezüglich ist es keine grobe Fehlbeurteilung, dass unabhängig von allfälligen urlaubsbedingten Abwesenheiten eine Frist von 14 Tagen ab Zugang des Änderungsschreibens jedenfalls im Bereich der Daseinsvorsorge nicht als angemessen anzusehen ist. Der Kunde des Energieversorgers müsste sich mit Zugang des Änderungsschreibens unangekündigt und unerwartet über Konditionen anderer Anbieter auf dem Energiemarkt in sehr kurzer Frist informieren, um abschätzen zu können, ob er dem Änderungsbegehren seiner bisherigen Vertragspartnerin widersprechen soll oder nicht. Selbst wenn es dem Kunden gelingt, günstigere Anbieter zu finden, wäre damit allein noch nicht gewährleistet, dass der andere Anbieter tatsächlich auch mit ihm zeitnah einen Energieversorgungsvertrag abschließt. Dass Informationen über Stromanbieter im Internet leicht zugänglich sind, ist hier nicht relevant, weil nicht davon auszugehen ist, dass jeder Stromkunde über einen Internetzugang verfügt und/oder seine Informationen über Konditionen von Energieversorgern über das Internet bezieht. Die Frist für den Widerspruch von 14 Tagen als unangemessen zu beurteilen, begegnet daher schon unabhängig von der Ortsabwesenheitsproblematik keinen Bedenken.
-Eine vorherige Einwilligung für die Zusendung elektronischer Post ist gem § 107 Abs 3 TKG 2003 (nunmehr § 174 Abs 4 TKG 2021) nur dann nicht notwendig, wenn die dort genannten Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind. Eine der Voraussetzungen ist, dass der Empfänger klar und deutlich die Möglichkeit erhalten hat, eine solche Nutzung der elektronischen Kontaktinformation bei deren Erhebung und zusätzlich bei jeder Übertragung kostenfrei und problemlos abzulehnen (§ 107 Abs 3 Z 3 TKG). Die Revision kann in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar darlegen, warum das jederzeit ausübbare Widerspruchsrecht der Bestandskunden das Erfordernis nach § 107 Abs 3 Z 3 TKG 2003 substituieren sollte oder warum das Interesse der Bekl an der Rückgewinnung ehemaliger Kunden das Interesse der ehemaligen Kunden überwiegen sollte, keine Direktwerbung mehr zu erhalten.

Hinweis:

Das TKG 2003 ist mit 1. 11. 2021 vom TKG 2021 abgelöst worden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31950 vom 12.01.2022