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EuGH: Marktmachtmissbrauch durch Ausschließlichkeitsklauseln?

Bearbeiter: Barbara Tuma

AEUV: Art 102

Speiseeis in Einzelpackungen, das „Außer-Haus“ konsumiert wird (etwa in Bars, Cafés, Sportstätten etc; im Folgenden: Verkaufsstellen), vertreibt Unilever in italien mit Hilfe eines Netzes von unabhängigen Vertriebshändlern. Gegen ein breites Spektrum von Rabatten und Provisionen erlegten die Vertriebshändler den Verkaufsstellen Ausschließlichkeitsklauseln auf (Verpflichtung, den gesamten Bedarf an abgepacktem Speiseeis ausschließlich von Unilever zu beziehen). Im Verfahren wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung ergab sich zunächst die Frage der näheren Kriterien für die Zurechenbarkeit des Verhaltens der formal autonomen und unabhängigen Vertriebshändler des Vertriebsnetzes eines Herstellers in beherrschender Stellung. Zurechenbar ist das Verhalten nach Ansicht des EuGH, wenn feststeht, dass die Vertriebshändler dieses Verhalten nicht selbstständig angenommen haben, sondern es Teil einer Politik ist, die einseitig von diesem Hersteller beschlossen wurde und mittels dieser Vertriebshändler umgesetzt wird. Dies gilt insb dann, wenn der Hersteller in beherrschender Stellung Standardverträge abgefasst hat, die die Vertriebshändler von den Betreibern der Verkaufsstellen unterzeichnen lassen müssen und ohne die ausdrückliche Zustimmung des Herstellers nicht abändern können. In einem solchen Fall ist die Zurechenbarkeit des Verhaltens der Vertriebshändler weder vom Nachweis abhängig, dass sie Teil des Unternehmens iSv Art 102 AEUV sind, noch vom Bestehen einer „hierarchischen“ Verbindung durch systematische und kontinuierlichen “Anleitungsmaßnahmen“, die geeignet sind, die betrieblichen Entscheidungen der Vertriebshändler zu beeinflussen.

Zum Beweis dafür, dass die untersuchten Praktiken nicht die Verdrängung mindestens ebenso leistungsfähiger Wettbewerber vom Markt bewirkten, hatte Unilever wirtschaftliche Analysen vorgelegt, die von der Wettbebwerbsbehörde jedoch va mit der Begründung nicht berücksichtigt wurden, dass die Verwendung von Ausschließlichkeitsklauseln durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung ausreiche, um einen Missbrauch dieser Stellung festzustellen. Diesbezüglich stellt der EuGH klar, dass die Wettbewerbsbehörde (auch) bei Vorliegen von Ausschließlichkeitsklauseln in Vertriebsverträgen verpflichtet ist, für die Feststellung des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände und insb unter Berücksichtigung dieser Analysen nachzuweisen, dass diese Klauseln den Wettbewerb beschränken können. Zur Wahrung rechtlichen Gehörs darf sie die Relevanz dieser Studie nicht ausschließen, ohne die Gründe dafür darzulegen. Dies gilt auch für eine Analyse, die auf einem “Test des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers“ beruht. Dieser Begriff bezieht sich auf verschiedene Tests, bei denen auf die Fähigkeit eines hypothetischen Wettbewerbers abgestellt wird, der hinsichtlich der Kostenstruktur ebenso effizient ist, den Kunden – ohne selbst dadurch Verluste zu erleiden – einen hinreichend günstigen Preis zu bieten, um sie trotz der entstehenden Nachteile zu einem Lieferantenwechsel zu veranlassen. Diese Fähigkeit wird im Allgemeinen anhand der Kostenstruktur des Unternehmens in beherrschender Stellung selbst bestimmt. Die Anwendung eines solchen “Tests des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers“ ist zwar grds fakultativ. Werden die Ergebnisse eines solchen Tests jedoch vom Unternehmen in beherrschender Stellung im Verwaltungsverfahren vorgelegt, muss die Wettbewerbsbehörde deren Beweiswert prüfen.

EuGH 19. 1. 2023, C-680/20, Unilever Italia Mkt. Operations

Zu einem italienischen Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33568 vom 24.01.2023