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BFG zum Nachweis der Erwerbsunfähigkeit bei einer Betriebsveräußerung aufgrund einer psychischen Erkrankung

Bearbeiter: Vera Hellebrandt

EStG 1988: § 37 Abs 5

Abstract

Das BFG entschied, dass auch ein nicht förmlicher Nachweis der Erwerbsunfähigkeit, die für die Veräußerung eines Betriebs ursächlich war, zur Gewährung des Hälftesteuersatzes gem § 37 Abs 5 EStG ausreichend ist. Ferner kann auch in einer Mitunternehmerschaft eine Betriebsveräußerung infolge von Erwerbsunfähigkeit vorliegen, wenn die psychische Krankheit einer Mitunternehmerin die Zusammenarbeit wesentlich erschwert oder unmöglich macht.

BFG 1. 12. 2022, RV/7100667/2018

Sachverhalt

Bei der Beschwerdeführerin (Bf) handelt es sich um die Gesellschafterin einer ehemaligen Mitunternehmerschaft. Diese Gesellschafterin erwirtschaftete im Jahr 2011 einen Gewinn iHv 443.000 € aus der Veräußerung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes. Die Finanzverwaltung erließ einen Bescheid, mit dem die Gewährung des Hälftesteuersatzes gem § 37 Abs 5 EStG für eine Betriebsveräußerung aufgrund von Erwerbsunfähigkeit infolge geistiger Behinderung verwehrt wurde. Begründend führte die Finanzverwaltung aus, dass ein medizinisches Gutachten zum Nachweis der psychischen Erkrankung der Bf nicht vorgelegt worden war. Die Bf reichte daraufhin den Nachweis einer argentinischen Klinik nach, wonach sie seit dem Jahr 1997 wegen diverser psychischer Krankheiten in Behandlung war. Dagegen brachte die Finanzverwaltung vor, dass ein Nachweis ohne Nennung der Gründe für die Erwerbsunfähigkeit einem medizinischen Sachverständigengutachten nicht gleichgestellt werden könnte. Zudem zweifelte die Finanzverwaltung an der betriebsbezogenen Erwerbsunfähigkeit der Bf, weil sie bereits vor der Betriebseröffnung in Argentinien wohnhaft war und die operativen Geschäfte des Betriebs durch einen Verwalter geführt worden waren. Schließlich würde auch gegen die Veräußerung aufgrund von Erwerbsunfähigkeit sprechen, dass alle Miteigentümer ihre Anteile gleichzeitig veräußert hätten. Dagegen brachte die Bf vor, dass der land- und forstwirtschaftliche Betrieb eine schlechte Ertragsituation aufwies und der Verwalter vor der Veräußerung verstorben war.

Entscheidung des BFG

Das BFG führt aus, dass der Hälftesteuersatz gem § 37 Abs 5 EStG dann zur Anwendung gelangt, wenn die Betriebsveräußerung wegen qualifiziert nachgewiesener Erwerbsunfähigkeit erfolgt. Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger keine Erwerbstätigkeit ausüben kann. Erfasst sind sowohl Fälle der absoluten als auch betriebsbezogenen Erwerbsunfähigkeit. Die Erwerbsunfähigkeit muss im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe nachweislich gegeben sein. Es ist hingegen nicht notwendig, dass der Betrieb innerhalb einer Frist ab Eintritt der Erwerbsunfähigkeit aufgegeben werden muss.

Die Bf wohnte im Ausland und beteiligte sich nicht persönlich am operativen Geschäft der Mitunternehmerschaft. Mithilfe des Verwalters und durch die regelmäßige Zurechnung von Einkünften aus der Mitunternehmerschaft war es ihr zunächst möglich trotz ihrer psychischen Erkrankung als Mitunternehmerin tätig zu werden. Allerdings war nach dem Tod des Verwalters und der schlechten Ertragsituation eine Fortführung des Betriebs in seiner bisherigen Form nicht mehr möglich. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen war es der Bf nicht möglich sich durch die Auswahl eines neuen Verwalters und der Erstellung eines neuen Geschäftskonzepts tätig zu werden. Gleichzeitig konnte sie aufgrund ihres Krankheitsbilds auch die zu treffenden Entscheidungen nicht den übrigen Mitunternehmern überlassen. Es liegt daher eine absolute und betriebsbezogene Erwerbsunfähigkeit vor, aufgrund welcher die Bf die Mitunternehmerschaft nicht mehr fortsetzen konnte.

Das Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit muss gem § 37 Abs 5 Z 2 EStG durch einen gerichtlich zertifizierten Sachverständigen oder durch eine medizinische Beurteilung des für den Steuerpflichtigen zuständigen Sozialversicherungsträgers nachgewiesen werden. Davon kann zufolge der Gesetzesmaterialien nur in offenkundigen Fällen abgewichen werden. Aufgrund der Gesetzesmaterialien gelangte das BFG zur Auffassung, dass ein förmlicher Nachweis bei offensichtlicher Erwerbsunfähigkeit nicht notwendig ist und daher im vorliegenden Fall der Bericht der argentinischen Klinik ausreichend für die Annahme der Erwerbsunfähigkeit der Bf ist. Das BFG gab der Beschwerde statt und erachtete eine ordentliche Revision für zulässig.

Conclusio

Nach dem Wortlaut des § 37 Abs 5 Z 2 EStG muss für die Anwendung des Hälftesteuersatzes wegen einer Betriebsveräußerung infolge von Erwerbsunfähigkeit ein Nachweis der Erwerbsunfähigkeit durch ein medizinisches Gutachten eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen oder eine medizinische Beurteilung des zuständigen Sozialversicherungsträgers vorgelegt werden. Aus den Gesetzesmaterialien folgt, dass in „Fällen, in denen das Vorliegen der relativen Erwerbsunfähigkeit offenkundig ist“ von dieser Vorgangsweise abgesehen werden kann. Dieser Meinung schloss sich auch das Schrifttum zur Novellierung des § 37 Abs 5 EStG durch das AbgÄG 2005 an (Wiesner/Atzmüller/G. Mayr, AbgÄG 2005: Wichtiges zum Einkommen-, Körperschaft- und Umgründungssteuergesetz, RdW 2005, 637) und wird üblicherweise auch in der Verwaltungspraxis vertreten (EStR 2000 Rz 7315b).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33788 vom 16.03.2023