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Steuer auf nicht getilgte Verbindlichkeiten - Masseforderung, Insolvenzforderung oder insolvenzfreie Forderung?

Univ.-Prof. Mag. Dr. Sabine Kanduth-Kristen, LL.M.

In der Ergebnisunterlage Körperschaftsteuer und Umgründungssteuerrecht zum Salzburger Steuerdialog 2014 vertritt das Bundesministerium für Finanzen (erstmals) die mit Erlass vom 13. 1. 2016 bekräftigte Ansicht,1 dass nicht getilgte Verbindlichkeiten im Rahmen des Abwicklungs-Endvermögens iSd § 19 Abs 4 KStG nicht zu berücksichtigen sind.2 Der Nichtansatz im Abwicklungs-Endvermögen bewirkt nach dieser - mE allerdings abzulehnenden3 - Ansicht einen Gewinn, der der Körperschaftsteuer unterliegt und im Zuge einer insolvenzbedingten Abwicklung als Steueranspruch insolvenzrechtlich zu qualifizieren und ggf im Verfahren zu berücksichtigen wäre.4

1. Liquidationsbesteuerung gem § 19 KStG und nicht getilgte Verbindlichkeiten

Erfolgt bei einer Körperschaft iSd § 7 Abs 3 KStG, die ihre Auflösung beschlossen hat, tatsächlich die Abwicklung, ist der Besteuerung der Liquidationsgewinn iSd § 19 KStG zugrunde zu legen. Die Körperschaftsteuer wird nach Ablauf des (ggf auch mehrjährigen) Besteuerungszeitraumes für den gesamten Zeitraum veranlagt. Gem § 19 Abs 2 KStG ist der Liquidationsgewinn der im Zeitraum der Abwicklung (= Besteuerungszeitraum) erzielte Gewinn, der sich aus der Gegenüberstellung des Abwicklungs-Endvermögens und des Abwicklungs-Anfangsvermögens ergibt.


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Nach hA stellt die Liquidationsbesteuerung gem § 19 KStG einen besonderen Betriebsvermögensvergleich (Gegenüberstellung von Abwicklungs-End- und -Anfangsvermögen) dar.5 Der Begriff Betriebsvermögen umfasst nach hA aktive und passive Wirtschaftsgüter.6 Die unterschiedliche Interpretation des bei der Gegenüberstellung gem § 19 KStG durch die Begriffe Abwicklungs-Anfangs- und Abwicklungs-Endvermögen verkörperten "Betriebsvermögens" widerspricht den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs, wonach es ua auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Bilanz (Bilanzwahrheit)7 ankommt. Auch nach Ansicht des BMF umfasst das Liquidationsergebnis "nicht nur die Gewinne aus der Auflösung der stillen Reserven, sondern auch andere während der Abwicklung anfallende Erträgnisse samt den jeweils damit verbundenen Aufwendungen, also alle Betriebsvermögensänderungen innerhalb des Liquidationszeitraumes".8 Während das Abwicklungs-Anfangsvermögen aktive und passive Wirtschaftsgüter (per Saldo also das steuerliche Eigenkapital zum Schluss des der Auflösung vorangegangenen Wirtschaftsjahres) umfasst, soll das Abwicklungs-Endvermögen dagegen nunmehr nach der oben dargestellten Ansicht des BMF lediglich aus aktiven Wirtschaftsgütern unter Ausblendung negativer Wirtschaftsgüter (sofern diese den Wert der Aktiva übersteigen) bestehen. Die seitens des BMF aus dem Wortlaut des § 19 Abs 4 KStG ("Abwicklungs-Endvermögen ist das zur Verteilung kommende Vermögen") in enger Auslegung abgeleitete Interpretation, wonach dieses "zur Verteilung kommende Vermögen" nicht negativ sein kann, negiert die Tatsache, dass es sich auch bei dem Besteuerungssystem des § 19 KStG um einen "Betriebsvermögensvergleich" handelt.9 Selbst wenn ein Verbindlichkeitsüberhang am Ende der Liquidation rechtlich nicht auf die Gesellschafter übergeht, ist er Bestandteil des zur Verteilung kommenden (wenn auch vielleicht nicht verteilbaren) Vermögens.10 Gem § 19 Abs 6 KStG sind auf die Gewinnermittlung zudem im Übrigen die sonst geltenden Vorschriften anzuwenden.11 Im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung sind Verbindlichkeiten nach der Judikatur des VwGH12 mindestens mit dem Betrag, den der Steuerpflichtige beim Eingehen der Schuld schuldig geworden ist, zu bewerten, solange nicht feststeht, dass die Schuld ganz oder teilweise erloschen ist. Das Betriebsvermögen wird durch den Wegfall betrieblicher Schulden dementsprechend erst im Zeitpunkt des Wegfalles der Schuld erhöht; der Vermögenszugang muss ein endgültiger sein.13 Ist mit der Geltendmachung durch den Gläubiger nicht mehr zu rechnen und liegt folglich keine wirtschaftliche Belastung mehr vor, sind die Verbindlichkeiten aus dem Betriebsvermögen auszubuchen.14 Bei Abschluss eines Sanierungsplanes bedeutet dies, dass eine ertragswirksame Erfassung des über die Quote hinausgehenden Betrags der vom Sanierungsplan erfassten betrieblichen Verbindlichkeiten erst in dem Zeitpunkt (in voller Höhe oder anteilig) in Betracht kommt, in dem die Quote (in voller Höhe oder in Raten) bezahlt wird.15 Bei im Rahmen einer Liquidation nicht getilgten Verbindlichkeiten liegt ein Schulderlass durch den Gläubiger gar nicht vor, die Verbindlichkeiten sind daher ertragsteuerlich weiterhin auszuweisen.16

Hinzuweisen ist auch darauf, dass die Liquidationsbesteuerung gem § 19 KStG nicht zur Anwendung kommt, wenn die Gesellschaft tatsächlich vermögenslos ist und daher eine Abwicklung nicht stattfinden kann.17 § 19 KStG setzt nach hA einen Auflösungsbeschluss18 und die tatsächliche Abwicklung der Gesellschaft voraus. Nicht getilgte Verbindlichkeiten werden diesfalls nicht ertragswirksam erfasst, weil der Begriff des "zur Verteilung kommenden Vermögens" außerhalb des § 19 KStG nicht greift. Die damit einhergehende Ungleichbehandlung - ertragswirksame Erfassung nicht getilgter Verbindlichkeiten bei Abwicklung im Rahmen einer Liquidation iSd § 19 KStG versus Auflösung der Gesellschaft erst mit tatsächlicher Vermögenslosigkeit ohne ertragswirksame Erfassung der nicht getilgten Verbindlichkeiten - kann auch nicht das Ziel des Gesetzgebers gewesen sein und würde die Abwicklung im Insolvenzverfahren (das einen gesetzlichen Auflösungsgrund darstellt) benachteiligen.

Werden am Ende des Abwicklungszeitraums - mE contra legem - nicht getilgte Verbindlichkeiten der BMF-Meinung folgend dennoch ertragswirksam erfasst, erhöht sich hierdurch das Liquidationsergebnis. Verfügt die Körperschaft über keine ausreichenden Verlustvorträge und reichen auch allfällige Mindeststeuerguthaben nach § 24 Abs 4 KStG nicht aus, um die entstehende Körperschaftsteuerschuld abzudecken,19 stellt sich bei Liquidation im Rahmen eines gerichtlichen Konkursverfahrens die Frage nach der insolvenzrechtlichen Einordnung des Steueranspruchs.


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2. Abgabenrechtliches Entstehen und insolvenzrechtliche Qualifikation des Steueranspruchs

2.1. Entstehung des Abgabenanspruchs

§ 19 KStG sieht die Erstellung einer "Liquidationsschlussbilanz" nicht ausdrücklich vor. Gem § 19 Abs 2 KStG ist das Abwicklungs-Anfangs- und das Abwicklungs-Endvermögen zu ermitteln und daraus abgeleitet das Liquidationsergebnis zu errechnen. Gem § 24 Abs 1 KStG erfolgt die Veranlagung grundsätzlich nach Ablauf des Kalenderjahres, wobei die Regelungen des EStG sinngemäß anzuwenden sind. § 39 Abs 2 2. Satz EStG sieht vor, dass die Veranlagung bei Wegfall der Steuerpflicht sofort vorgenommen werden kann. Der Abgabenanspruch für die Körperschaftsteuer entsteht, soweit er nicht durch Vorauszahlung bereits entstanden ist, grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorzunehmen ist. Gem § 4 Abs 2 Z 2 BAO entsteht der Abgabenanspruch davon abweichend mit dem Zeitpunkt des Erlöschens der Abgabepflicht, wenn die Abgabepflicht im Lauf eines Veranlagungszeitraums erlischt.

Bei - mE abzulehnender - Annahme eines ertragswirksamen Nichtansatzes nicht getilgter Verbindlichkeiten im Abwicklungs-Endvermögen im Rahmen einer insolvenzbedingten Liquidation gem § 19 KStG würde folglich der Abgabenanspruch nach § 4 Abs 2 Z 2 BAO unterjährig im Zeitpunkt des Erlöschens der Abgabepflicht entstehen. Unabhängig vom steuerrechtlichen Entstehen des Abgabenanspruchs, das für die insolvenzrechtliche Einordnung nicht maßgeblich ist,20 stellt sich die Frage der Einordnung dieses Steueranspruchs im Insolvenzverfahren als Insolvenzforderung oder Masseforderung oder, falls weder die Kriterien einer Insolvenz- noch einer Masseforderung erfüllt sind, als insolvenzfreie Forderung.

2.2. Abgabenansprüche und insolvenzrechtliche Einordnung allgemein

Gem § 46 Z 2 IO sind Masseforderungen "alle Auslagen, die mit der Erhaltung, Verwaltung und Bewirtschaftung der Masse verbunden sind, einschließlich [...] der die Masse treffenden Steuern, Gebühren, Zölle, Beiträge zur Sozialversicherung und anderen öffentlichen Abgaben, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Insolvenzverfahrens verwirklicht wird. Hierzu gehören auch die nach persönlichen Verhältnissen des Gemeinschuldners bemessenen öffentlichen Abgaben; soweit jedoch diese Abgaben nach den verwaltungsbehördlichen Feststellungen auf ein anderes als das für die Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielte Einkommen entfallen, ist dieser Teil auszuscheiden [...]." Steueransprüche sind folglich Masseforderungen, wenn sie mit der Erhaltung, Verwaltung und Bewirtschaftung der Masse verbunden sind, die Masse treffen und wenn der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Insolvenzverfahrens verwirklicht wird. Insolvenzforderungen sind gem § 51 IO "Forderungen von Gläubigern, denen vermögensrechtliche Ansprüche an den Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zustehen (Insolvenzgläubiger)". Erfüllt ein Anspruch21 weder den Tatbestand einer Masseforderung noch den Tatbestand einer Insolvenzforderung oder ist der Anspruch nach § 58 IO als Insolvenzforderung ausgeschlossen, liegt eine Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen (insolvenzfreie Forderung) vor.

Für die insolvenzrechtliche Qualifikation von Abgabenforderungen22 ist in zeitlicher Hinsicht insb für die Abgrenzung von Insolvenz- und Masseforderung die Verwirklichung des Sachverhalts maßgeblich, auf dessen Grundlage abgabenrechtlich eine Steuerschuld entsteht. Für die Abgrenzung von Masseforderungen und insolvenzfreien Forderungen ist insb zu untersuchen, ob eine Steuerforderung die Masse trifft. Gem § 46 Z 2 IO gehören zu den Masseforderungen auch die nach persönlichen Verhältnissen des Schuldners bemessenen öffentlichen Abgaben (wie Einkommen- und Körperschaftsteuer); dies jedoch nur, soweit sie auf das für die Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielte Einkommen entfallen.23

IZm Sanierungsgewinnen aufgrund eines Sanierungsplanverfahrens geht die hA davon aus, dass der Schuldnachlass ertragsteuerlich erst mit Zahlung der Quote oder Nichtgeltendmachung des Verzuges und Terminverlustes durch den Gläubiger eintritt.24 Zur Erfassung des Veräußerungsgewinnes gem § 24 Abs 2 EStG25 bei Ausscheiden eines Kommanditisten mit negativem Kapitalkonto hat der OGH26 ausgesprochen, dass der abgabenrechtliche Sachverhalt, auf dessen Verwirklichung es ankommt (ungeachtet des Entstehens des negativen Kapitalkontos durch Verlustzuweisungen vor Insolvenzeröffnung), aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung im Ausscheiden des Schuldners als Mitunternehmer aus dem Betrieb zu sehen ist. Es liege daher keine Insolvenzforderung vor. Zu prüfen ist aber nach diesem Urteil darüber hinaus, ob sich durch das Ausscheiden des Schuldners aus der KG nach Insolvenzeröffnung das Massevermögen vermehrt habe, dh, ob die Masse dadurch einen Gewinn erzielt und sich das aufteilbare Vermögen vergrößert habe. Ertragsteuerrechtlich erziele die Insolvenzmasse keinen echten Gewinn, es liege ein bloß fiktiver Veräußerungsgewinn vor. Der zur Rechtfertigung der Steuerpflicht angeführte Ausgleichsgedanke hinsichtlich der Möglichkeit der gewinnmindernden Geltendmachung der Verluste finde in § 46 Z 2 IO keinen Niederschlag. Im Ergebnis kann eine derartige Einkommensteuerschuld daher nur gegen das insolvenzfreie Vermögen geltend gemacht werden.


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2.3. Einordnung der Steuer auf nicht getilgte Verbindlichkeiten

Im Falle der Liquidation gem § 19 KStG ergibt sich die ertragswirksame Erfassung nicht getilgter Verbindlichkeiten nach der umstrittenen Meinung des BMF aus der Formulierung des § 19 Abs 4 KStG, wonach das Abwicklungs-Endvermögen das zur Verteilung kommende Vermögen ist. Daraus wird abgeleitet, dass nicht getilgte Verbindlichkeiten, soweit sie nicht aufgrund eines Schuldbeitritts auf einen Gesellschafter übergehen, ertragswirksam zu erfassen sind. Nimmt man analog zur Behandlung von Gewinnen aufgrund von (echten) Schuldnachlässen und aufgrund eines negativen Kapitalkontos an, dass nicht die (ggf aufwandswirksame) Begründung der Verbindlichkeiten als insolvenzrechtlich maßgeblicher Zeitpunkt anzusehen ist, sondern aufgrund § 19 Abs 4 KStG deren (ertragswirksamer) Ansatz bei Abschluss des Liquidationsverfahrens, wäre aus zeitlicher Sicht iS einer Abgrenzung von Insolvenz- und Masseforderungen die Verwirklichung des abgabenrechtlich relevanten Sachverhalts dem Zeitraum nach Insolvenzeröffnung zuzuordnen.27

Anders als im Falle eines Sanierungsgewinnes liegt aber kein tatsächlicher Schuldnachlass vor; nicht getilgte Verbindlichkeiten bestehen im Zeitpunkt und nach Aufstellung des Liquidations-Endvermögens zivilrechtlich weiter.28 Der ertragswirksame Ansatz nicht getilgter Verbindlichkeiten führt folglich - vergleichbar dem ertragswirksamen Ansatz eines negativen Kapitalkontos beim Kommanditisten - zu einem bloß fiktiven Gewinn. Entsprechend der Rsp des OGH29 ist weiter zu prüfen, ob sich durch den Nichtansatz der nicht getilgten Verbindlichkeiten im Abwicklungs-Endvermögen das Massevermögen vermehrt hat (ob die Masse dadurch einen Gewinn erzielt hat) und sich das aufteilbare Vermögen vergrößert hat. Dies ist - wie im Falle des Ausscheidens eines Kommanditisten mit nicht aufzufüllendem negativen Kapitalkonto - nicht der Fall.30 Es sprechen mE daher gute Gründe dafür, die durch den Nichtansatz nicht getilgter Verbindlichkeiten im Abwicklungs-Endvermögen verursachte Körperschaftsteuerschuld - so diese überhaupt als gesetzeskonform angenommen wird - dem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen.

Zu beachten ist, dass diese Einordnung nur die Körperschaftsteuer auf die ertragswirksam erfassten, nicht getilgten Verbindlichkeiten betrifft, nicht aber eine Körperschaftsteuer, die auf den im Rahmen der Liquidation erzielten "echten" Liquidationsgewinn (infolge Realisierung stiller Reserven im Zuge der Vermögensverwertung) entfällt. Die Körperschaftsteuer, die für den Liquidationszeitraum anfällt, wäre daher in diese beiden Kategorien zu trennen. Dabei könnten sich dann allerdings einige Folgefragen ergeben. So wäre im Falle vorhandener Verlustvorträge (Sonderausgaben iSd § 8 Abs 4 Z 2 KStG), die betragsmäßig unter dem insgesamt anzusetzenden Liquidationsgewinn liegen, die Frage zu klären, gegen welche Gewinnbestandteile ("fiktiven" Liquidationsgewinn aus nicht getilgten Verbindlichkeiten oder "echten" Liquidationsgewinn aus realisierten stillen Reserven) diese Verlustvorträge in welchem Ausmaß zu verrechnen sind. Auch für die Verrechnung offener Mindeststeuerbeträge iSd § 24 Abs 4 Z 4 KStG müsste eine Zuordnung vorgenommen werden.

3. Folgen der jeweiligen insolvenzrechtlichen Einordnung

3.1. Körperschaftsteuer auf nicht getilgte Verbindlichkeiten als Masseforderung

Sollte es sich bei der Körperschaftsteuer auf die nicht getilgten Verbindlichkeiten - mE unzutr - um eine Masseforderung handeln, ist nach der BMF-Information vom 13. 1. 2016 iVm der Information vom 2. 6. 201631 zur Vermeidung einer Masseunzulänglichkeit von der Festsetzung der aufgrund der nicht getilgten Verbindlichkeiten zusätzlich entstehenden Körperschaftsteuer - nach Verrechnung mit vorhandenen Verlustvorträgen - gem § 206 BAO Abstand zu nehmen, wenn die Verteilungsquote für die Insolvenzmasse bis zu 20 % beträgt. Abgabepflichtiger (vor Insolvenzeröffnung) bzw Masseverwalter (während des Insolvenzverfahrens) können um eine Treu-und-Glauben-Auskunft ersuchen, ob aufgrund der - vom Abgabepflichtigen bzw vom Masseverwalter bekannt zu gebenden - voraussichtlichen Verteilungsquote von einer Festsetzung der aufgrund der nicht getilgten Verbindlichkeiten zusätzlich entstehenden Körperschaftsteuer (nach Verrechnung mit Verlustvorträgen)32 im Rahmen der Veranlagung der Körperschaftsteuer für den Insolvenzzeitraum abgesehen werden wird. Das Finanzamt hat dem Masseverwalter eine derartige Treu-und-Glauben-Auskunft zu erteilen. Sie ist allerdings nur dann wirksam, wenn die tatsächliche endgültige Verteilungsquote maximal 20 % beträgt. Den aus dieser in Aussicht gestellten Vorgangsweise sich im Einzelfall ergebenden "Klippeneffekt" (Minderung der an die Gläubiger verteilbaren Quote bei Erzielung einer knapp höheren Verteilungsquote als 20 %) hat Dellinger33 anschaulich dargestellt. Festzuhalten ist, dass eine Wechselwirkung zwischen Verteilungsquote und der auf nicht getilgte Verbindlichkeiten allenfalls als Masseforderung zu erhebenden Körperschaftsteuer besteht. Die in der BMF-Information zunächst angesprochene Verteilungsquote dürfte jene sein, die sich ohne Berücksichtigung der Körperschaftsteuer-Masseforderung auf nicht getilgte Verbindlichkeiten ergibt, sodass - bei letztlicher Überschreitung der 20%-Grenze - das Schlagendwerden der Körperschaftsteuer zu einer wesentlich geringeren Quote für die Gläubiger führt:


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Verbindlichkeiten Massevermögen vor KSt Quote vor KSt Ausfall Gläubiger KSt erster Schritt Ausfall Gläubiger
200020010,00 %90,00 %nicht fest­gesetzt90,00 %
200025012,50 %87,50 %nicht fest­gesetzt87,50 %
200030015,00 %85,00 %nicht fest­gesetzt85,00 %
200035017,50 %82,50 %nicht fest­gesetzt82,50 %
200040020,00 %80,00 %nicht fest­gesetzt80,00 %
200045022,50 %77,50 %387,5096,88 %

Bei Überschreiten der 20%-Marke kommt es durch den Anfall der Körperschaftsteuer zu einem höheren Ausfall (im Beispiel 96,88 % statt 77,50 %), was wiederum eine Erhöhung des Betrages nicht getilgter Verbindlichkeiten nach sich zieht, sodass konsequenterweise die Körperschaftsteuer-Masseforderung neu zu berechnen wäre (Iterationsverfahren; daher wird in der obigen Tabelle die Körperschaftsteuerberechnung mit dem Zusatz "erster Schritt" versehen). Beträgt das Massevermögen zwischen 20 % und 25 % der Verbindlichkeiten, reicht dieses allerdings gar nicht aus, um die letztlich (mathematisch fiktiv) anfallende Körperschaftsteuer zu begleichen, wie sich bei einer Weiterführung des obigen Beispiels zeigt (Durchführung des ersten Iterationsschrittes):*)


Iterationsschritt Massevermögen nach KSt Quote Ausfall Gläubiger KSt Folgeschritt KSt-Erhöhung
162,503,13 %96,88 %484,3896,88

*) Massevermögen nach KSt = 450 - 387,50 = 62,50

Die sich rechnerisch insgesamt ergebende Körperschaftsteuer (484,38) liegt über dem verfügbaren Massevermögen (450).

Bei einem Massevermögen von genau 25 % der Verbindlichkeiten führt die Iteration dazu, dass letztlich der Gesamtbetrag des Massevermögens an den Fiskus fließt:


Verbindlichkeiten Massevermögen vor KSt Quote vor KSt Ausfall Gläubiger KSt erster Schritt Ausfall Gläubiger
200050025,00 %75,00 %375,0093,75


Iterationsschritt Massevermögen nach KSt Quote Ausfall Gläubiger KSt Folgeschritt KSt-Erhöhung
1125,006,25 %93,75 %468,7593,75
231,251,56 %98,44 %492,1923,44
37,810,39 %99,61 %498,055,86
41,950,10 %99,90 %499,511,46
50,490,02 %99,98 %499,880,37
60,120,01 %99,99 %499,970,09
70,030,00 %100,00 %499,990,02
80,010,00 %100,00 %500,000,01
90,000,00 %100,00 %500,000,00

Erst wenn das Massevermögen vor Körperschaftsteuer über 25 % der Verbindlichkeiten liegt, käme den Gläubigern eine (geringe) Verteilungsquote zu.

Aus Praktikabilitätsgründen könnte zwar von einer Iteration abgesehen werden, dies ändert allerdings nichts an der grundlegend mit der Rechtsauffassung des BMF verbundenen Kritik, deren Unsachlichkeit mE auch durch die mathematischen Folgen deutlich veranschaulicht wird.

3.2. Körperschaftsteuer auf nicht getilgte Verbindlichkeiten als Insolvenzforderung

Im Falle der Einordnung als Insolvenzforderung hätte der Insolvenzverwalter nach Ansicht von Lachmayer34 vor der Schlussverteilung die voraussichtliche Körperschaftsteuer anhand der ermittelten Quote zu berechnen. Das Finanzamt müsste diese Forderung als Insolvenzforderung nachmelden. Dabei ergibt sich jedoch mathematisch ebenfalls ein Iterationsproblem: Durch die Einordnung der Körperschaftsteuer als (weitere) Insolvenzforderung verringert sich die Quote, die auf die Insolvenzforderungen insgesamt entfällt, wodurch sich der Ausfall der Gläubiger und damit die Höhe der nicht getilgten Verbindlichkeiten erhöht. Die Folge ist eine Erhöhung der als Insolvenzforderung zu berücksichtigenden Körperschaftsteuer, hierdurch tritt eine erneute Verringerung der Quote ein. Mathematisch korrekt wäre daher die Ermittlung der Quotenhöhe und der Höhe der Körperschaftsteuer durch Iteration.35 Nachstehendes zu Veranschaulichungszwecken gewähltes Berechnungsbeispiel soll dies anhand einer zweiphasigen Berechnung (dh ohne vollständige Iteration) veranschaulichen. Anzumerken ist dabei, dass die Körperschaftsteuer gem § 12 Abs 1 Z 6 KStG ertragsteuerlich nicht abzugsfähig ist, ein Körperschaftsteuernachlass ist ebenso nicht ertragswirksam zu erfassen.


erste Berechnung Folgeberechnung
Verbindlichkeiten2.000,002.250,00
Massevermögen1.000,001.000,00
Quote50,00 %44,44 %
nicht getilgt1.000,001.250,00
davon ertragswirksam1.000,001.111,11
nicht getilgte KSt-138,89
KSt250,00277,78

In der jüngsten Information vom 2. 6. 201636 vertritt das BMF die Ansicht, dass von der Festsetzung der durch die nicht getilgten Verbindlichkeiten zusätzlich entstehenden Körperschaftsteuer auch bei Einordnung dieses Steueranspruchs als Insolvenzforderung gem § 206 BAO Abstand genommen werden kann, wenn die Verteilungsquote für die Insolvenzmasse bis zu 20 % beträgt.


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3.3. Körperschaftsteuer auf nicht getilgte Verbindlichkeiten als insolvenzfreie Forderung

Im Falle der Einordnung als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen, die mE durch die bisherige Judikatur des OGH gestützt wird, treffen den Insolvenzverwalter iZm der Steuerforderung auf nicht getilgte Verbindlichkeiten keine weiteren Verpflichtungen. Da bei Körperschaften idR kein nennenswertes insolvenzfreies Vermögen bestehen wird, ist die Durchsetzbarkeit des Anspruchs gering einzuschätzen.

4. Zusammenfassung

Die ertragswirksame Erfassung nicht getilgter Verbindlichkeiten im Rahmen einer Liquidation gem § 19 KStG ist mE sachlich nicht gerechtfertigt und gesetzlich nicht gedeckt. Die Frage der Gesetzmäßigkeit des ertragswirksamen Ansatzes im Regime des § 19 KStG wird letztlich vom VwGH zu entscheiden sein, die (davon abhängige) Frage der insolvenzrechtlichen Einordnung wird den OGH beschäftigen. Sollte der VwGH die Ansicht des BMF wider Erwarten mittragen, sprechen mE gute Gründe dafür, die Steuerforderung als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen zu qualifizieren.

1

BMF 3. 10. 2014, Ergebnisunterlage Körperschaftsteuer und Umgründungssteuerrecht, BMF-010200/0018-VI/1/2014, 26 ff, und BMF 13. 1. 2016, BMF-010203/0002-VI/6/2016.


2

Die Ansicht des BMF wird von Autorinnen und Autoren aus dem Kreis der Finanzverwaltung gestützt: vgl Lachmayer in Quantschnigg/Renner/Schellmann/Stöger/Vock, Die Körperschaftsteuer - KStG 1988 (27. Lfg; 2015) § 19 Rz 44/2; Lachmayer, BMF zur Berücksichtigung nicht getilgter Verbindlichkeiten in Liquidation, RdW 2016/168, 227 (227 ff); Mayr/Melhardt/Lattner/Kufner, SWK-Spezial Salzburger Steuerdialog (2014) Kapitel 4.5 (Anmerkungen); Riedler, Bewertung nicht getilgter Verbindlichkeiten bei einer Liquidation nach § 19 KStG 1988, RdW 2014/673, 619 (619 ff). Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Praxis argumentieren dagegen: vgl Beiser, Offene Verbindlichkeiten in der Liquidation einer Körperschaft, RdW 2016/273, 353 (353 ff); Dellinger, Von der Besteuerung des Liquidationsgewinnes zur "Überschuldungssteuer", GesRZ 2016, 84 (84 ff); Engelhart, Verursachen nicht bezahlte Verbindlichkeiten bei Liquidation gem § 19 KStG Masseforderungen? ZIK 2015/228 (176 ff); Gloser/Bonschak, Bewertung nicht getilgter Verbindlichkeiten bei Liquidation bzw Konkurs, SWK 2015, 421 (421 ff); Kanduth-Kristen/Komarek, Die Berücksichtigung nicht getilgter Verbindlichkeiten bei der Ermittlung des Abwicklungs-Endvermögens, ÖStZ 2015/637, 506 (506 ff).


3

Vgl Kanduth-Kristen/Komarek, ÖStZ 2015/637, 506 (506 ff); Kanduth-Kristen, Die steuerrechtliche Behandlung von (nicht getilgten) Verbindlichkeiten bei Liquidation und Sanierung im Insolvenzverfahren, in Konecny, Insolvenzforum 2015 (2016) (in Druck).


4

Vgl dazu Kanduth-Kristen in Konecny, Insolvenzforum 2015 (2016) (in Druck). Der vorliegende Beitrag entwickelt die dort angestellten Überlegungen fort.


5

Vgl Lachmayer in Quantschnigg ua, KStG § 19 Rz 41; Schneider in Achatz/Kirchmayr, Körperschaftsteuergesetz (2011) § 19 Rz 70; KStR 2013 Rz 1439.


6

Vgl Jakom/Marschner, EStG9 (2016) § 4 Rz 64 und 105 ff.


7

Vgl Zorn/Varro in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG (17. Lfg; 2014) § 4 Rz 120.


8

Vgl KStR 2013 Rz 1439.


9

Siehe auch Beiser, RdW 2016, 353.


10

Ebenso Dellinger, GesRZ 2016, 86.


11

Daher sind Steuerbefreiungen zu beachten und nicht abzugsfähige Aufwendungen und Ausgaben gem § 12 KStG dem Liquidationsergebnis hinzuzurechnen. Zu Beginn des Liquidationszeitraumes noch nicht verrechnete Siebtelbeträge gem § 12 Abs 3 Z 2 KStG sind im Liquidationszeitraum abzusetzen (unabhängig davon, ob der Liquidationsgewinn ganz oder teilweise aus der Aufdeckung stiller Reserven aus Beteiligungen besteht; vgl KStR 2013 Rz 1444; Schneider in Achatz/Kirchmayr, KStG § 19 Rz 185).



13

Vgl VwGH 23. 11. 2011, 2009/13/0041 mit Hinweis auf das Erk v 2. 9. 2009, 2008/15/0062.


14

Vgl VwGH 13. 9. 2006, 2002/13/0108. Dies bedeutet aber nicht, dass Verbindlichkeiten, die der Schuldner wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit nicht bezahlen kann, auszubuchen wären.


15

Vgl ua Jakom/Kanduth-Kristen, EStG9 § 36 Rz 17 f; VwGH 23. 11. 2011, 2009/13/0041; 24. 5. 1993, 92/15/0041.


16

Näher dazu Kanduth-Kristen/Komarek, ÖStZ 2015, 507 ff.


17

Vgl Lachmayer in Quantschnigg ua, KStG § 19 Rz 21.


18

Dieser Begriff wird allerdings nach hA und auch vom BMF anders als das "zur Verteilung kommende Vermögen" nicht wörtlich interpretiert (wonach ein Beschluss vorliegen müsste), sodass auch der Eintritt eines anderen, zB gesetzlichen Auflösungsgrundes, wie etwa die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, den Tatbestand erfüllt (vgl Lachmayer in Quant­schnigg ua, KStG § 19 Rz 15).


19

Vgl dazu Beste, Die Liquidationsbesteuerung nach § 19 KStG: Praktische Anwendung im Konkursfall sowie bei außergerichtlichen Liquidationen, ZIK 2016, 60 (60 ff).



21

Aus- und Absonderungsrechte werden an dieser Stelle nicht gesondert betrachtet.


22

Dazu im Detail betreffend Ertragsteuern Engelhart in Konecny, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen (48a. Lfg; 2012) § 46 IO Rz 103 ff.



24

Vgl Engelhart in Konecny, IO § 46 Rz 124.


25

"Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebes anzusehen ist, ist als Veräußerungsgewinn jedenfalls der Betrag seines negativen Kapitalkontos zu erfassen, den er nicht auffüllen muss."



27

AA Engelhart, ZIK 2016, 179, der auf die bestehende Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit bei Insolvenzeröffnung verweist.


28

Vgl näher Kanduth-Kristen/Komarek, ÖStZ 2015, 508 f.



30

Ebenso Engelhart, ZIK 2016, 179.


31

BMF-010200/0013-VI/6/2016.


32

Dabei kann sich das unter Punkt 2 angesprochene Problem der Zuordnung von Verlustvorträgen zum "echten" und zum "fiktiven" Liquidationsgewinn ergeben.


33

Dellinger, GesRZ 2016, 85.


34

Vgl Lachmayer, RdW 2016, 229.


35

Aus Praktikabilitätsgründen könnte von einer derartigen Iteration abge­sehen werden.


36

BMF-010200/0013-VI/6/2016.


Artikel-Nr.
ZIK 2016/110

30.06.2016
Heft 3/2016
Autor/in
Sabine Kanduth-Kristen

Dr. Sabine Kanduth-Kristen, LL.M., StB, ist Universitätsprofessorin am Institut für Finanzmanagement der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Abteilung für Betriebliches Finanz- und Steuerwesen und Mitglied der Forschungsgruppe anwendungsorientierte Steuerlehre (FAST).

Publikationen:
Jakom – EStG-Kommentar13 (2020; gemeinsam mit Marco Laudacher, Christian Lenneis, Ernst Marschner und Hermann Peyerl), Internationales Steuerrecht2 (2019), Bilanzposten-Kommentar (2017; Herausgeberschaft gemeinsam mit Gudrun Fritz-Schmied), Rechtsformgestaltung2 (2016; Herausgeberschaft gemeinsam mit Petra Hübner-Schwarzinger), Insolvenz und Steuern2 (2000; gemeinsam mit Herbert Kofler) sowie weitere Bücher und zahlreiche Aufsätze in Sammelbänden und Fachzeitschriften.