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Eine Herausforderung für die Personalentwicklung
Wenn Experten Führungsaufgaben übernehmen, sind sie regelmäßig mit einer Doppelrolle konfrontiert. Beiden Rollen gleichermaßen gerecht zu werden, ist für viele Experten eine große Herausforderung. Die gute Nachricht: Gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen können helfen, dieses "Dilemma" zu lösen.
Es gibt sie in jedem Unternehmen, die Fachkräfte, Experten auf ihrem ganz speziellen Gebiet: IT-Experten, Juristen, Finanzexperten, Marketingexperten, F&E-Experten, Verkaufsprofis etc.
Es sind Menschen mit großem fachlichen Wissen, sie werden häufig zu Rate gezogen, schulen neue Mitarbeiter ein und rutschen so oftmals automatisch in eine Führungsrolle oder werden gar formal mit der Führung von, meist ebenfalls, Experten betraut. Und damit beginnt das Dilemma. Sowohl das Selbstwertgefühl, als auch Anerkennung und Akzeptanz von Experten beruht auf ihrem Wissen und ihrer Erfahrung und der Fähigkeit beides zielgerichtet einzusetzen. Um den Expertenstatus weiter halten zu können, gilt es, sich ständig weiterzuentwickeln. Soll nun zusätzlich zu dieser an sich schon aufwändigen Aufgabe aktiv eine Führungsrolle übernommen werden, stellt dies die meisten Fachkräfte vor ein Prioritätendilemma. Denn Menschen gekonnt zu führen, bedeutet Zeit dafür aufzuwenden, Wissen und Fähigkeiten zum Thema Mitarbeiterführung zu erwerben und auch zu lernen, diese einzusetzen.
Viele Experten werden mit hohen Erwartungen konfrontiert, oftmals ohne die Gelegenheit zu haben oder gehabt zu haben, sich auf diese Rolle vorzubereiten. Zuzugeben, dass man zwar ein toller Experte sei, aber in Führungsdingen ein Lehrling, ist wohl in den meisten Unternehmen auch nicht so einfach. - Außerdem ist die Angst vor Gesichtsverlust meist groß.
So bleibt der Fokus weiterhin auf dem Expertentum (Hirn) und Führen wird, wenn überhaupt, als Nebenaufgabe wahrgenommen. Unangenehmerweise haben wir es aber mit Menschen zu tun, die Gefühle haben, wertgeschätzt werden wollen und häufig wenig rational agieren - es "menschelt" eben.
Mitarbeiter stellen zunehmend hohe Anforderungen an ihre Führungskräfte. War es vor einigen Jahren noch genug, "Direktiven" auszugeben, so erwartet die junge Generation der Mitarbeiter (Schlagwort: Generation Y/Z) von ihren Vorgesetzten eine deutlich intensivere Auseinandersetzung mit ihrer Persönlichkeit. Strukturiertes und gekonntes, wertschätzendes Feedback wird nun eingefordert. Die Sinnhaftigkeit der Aufgabe wird von diesen Generationen zunehmend hinterfragt. Nur dann sind sie bereit, auch ihr Bestes zu geben. Nur - wie macht man das, wenn man selber vielleicht keine guten Vorbilder hatte und Feedbackprozess und Beziehungsarbeit mit Mitarbeitern Neuland ist?
Grundsätzlich steht der Personalentwicklung ein reiches Instrumentarium an Methoden zur Verfügung. Welche Methode sich besonders für Experten eignet und welche Rolle dabei die organisationalen Rahmenbedingungen spielen, wird im Folgenden beleuchtet.
Die Rahmenbedingungen beeinflussen sowohl die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, seien es jetzt ganz banal finanzielle, personelle oder kapazitätsmäßige Ressourcen oder die Unternehmenskultur, die ganz unterschiedliche Werte repräsentieren kann.
Ein KMU wird häufig weniger finanzielle und personelle Ressourcen haben, um eine Unternehmensakademie aufzubauen, als ein multinationales Unternehmen. Reichwald und Möhslein (2005) zeigen auf, dass va multinationale Unternehmen erfolgreich Führungssysteme entwickelt haben, die Rahmenbedingungen bieten, um den Erwerb von Führungswissen und dessen Anwendung im Unternehmen sicherzustellen. Durch dieses System werden auch Experten "gezwungen", sich mit dem Thema Führung auseinanderzusetzen, insbesondere wenn die Führungsleistung im Unternehmen gemessen wird und gewisse Standards einfach erreicht werden müssen.
Diese Möglichkeiten stehen jedoch bislang nur den "ganz Großen" zur Verfügung. In einer Wirtschaftsstruktur, die von KMUs geprägt ist, liegt der Fokus nach wie vor stärker auf der einzelnen Person des Vorgesetzten und der Frage "wie wird die Führungsrolle tatsächlich gelebt". Der Fokus auf die Person des Führenden hat insbesondere im Expertenbereich seine Berechtigung,
da diese oftmals als Role-Model gesehen werden und so Vorbildfunktion für ihre Mitarbeiter haben.
Unternehmensgegenstand, Unternehmensstruktur und vor allem Unternehmenskultur, sowie Ressourcen bilden im Wesentlichen den organisationalen Rahmen, der Orientierung gibt, wie die Führungsrolle anzulegen ist. Für eine Führungskraft ist wichtig zu wissen, welchen Stellenwert gute Führung im Unternehmen hat und was überhaupt unter guter Führung verstanden wird. Generell kann gesagt werden, dass Führungsaufgaben zunehmend komplexer werden. Heutzutage finden sich bis zu 4 verschiedene Generationen im Arbeitsleben, alle mit höchst unterschiedlichen Zugängen und Werten. Die demografische Entwicklung wird und trägt in manchen Branchen bereits dazu bei, dass ein massiver "war for talents" ausgebrochen ist. Besonders im hochqualifizierten Bereich wird es zunehmend schwieriger, Mitarbeiter zu gewinnen und vor allem auch zu halten. Führungskräfte müssen neben ihrer fachlichen Aufgabe vielfältigen und vor allem höchst individuellen Anforderungen gerecht werden und diese mit organisationalen Zielen und Erfordernissen in Einklang bringen.
Experten definieren sich und ihren beruflichen Erfolg hauptsächlich auf fachlicher Ebene. Demgemäß wird der Führungsrolle meist untergeordnete Wichtigkeit zugeschrieben. Daher gilt es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Führung einen anderen, höheren Stellenwert erhält, in dem gute Führungsarbeit gewürdigt wird und umgekehrt keine, oder schlechte Führungsarbeit sanktioniert wird. Die dabei und dafür notwendige Unterstützung sollte institutionalisiert geboten werden. Häufig findet sich unter Experten eine "Defizitkultur", in der etwas nicht zu wissen oder zu können als "Schande" angesehen wird. Eine Unternehmenskultur, in der permanentes Lernen und "arbeiten an sich selbst" positiv gewertet wird, unterstützt daher den Einzelnen bei seiner Entwicklung zur Führungskraft.
Experten müssen vor allem:
- | delegieren lernen, |
- | den inneren Konflikt - ich bin als Experte unabkömmlich, zu - ich mache mich durch meine Rolle als Führungskraft abkömmlich, auflösen, |
- | auf persönlicher Ebene kommunizieren, |
- | empathisch zuhören. |
Grundlage für eine zielgerichtete Entwicklung ist die Definition von Führungskompetenz.
Führungskompetenz kann als Summe von unternehmensspezifischen Verhaltenserwartungen definiert werden, die aber innerhalb eines Unternehmens durchaus unterschiedlich sein können. Definiert und kommuniziert geben sie Orientierung und Halt.
Auf Basis dieser Definition können dann Kriterien abgeleitet werden, die sowohl zur Mitarbeiterbewertung als auch in monetäre und nicht-monetäre Anreizsysteme einfließen können. Diese Definition weist die Richtung, in die Entwicklungen angestoßen werden müssen.
Vorbereitung auf die Führungsrolle bedeutet im ersten Schritt, Führungswissen zu erwerben. Dies ist für Experten, abgesehen vom Zeit- und Prioritätendilemma, noch die leichteste Übung. Wissen zu erwerben, ist etwas Vertrautes, ähnelt es doch der bisherigen Entwicklung. Es gibt verschiedene erprobte Methoden, dies zu tun.
Eine (nicht repräsentative) Umfrage unter 43 Experten zeigt, dass sowohl vertraute Trainingsformen wie zB Tagesseminare, aber auch innovative Kombinationsmethoden, die allerdings am Trainingsmarkt noch nicht häufig angeboten werden, als effizient und attraktiv eingeschätzt werden.
Erhebung: Karin Medved September 2015, n=43, absolute Anzahl der Nennungen, wobei Mehrfachnennungen möglich waren.
Trainings und Seminare sind eine adäquate und vor allem vertraute Methode, um Wissen und auch erste Erfahrungen zu vermitteln. Es gibt dazu zahlreiche renommierte Anbieter. Voraussetzung für den Trainingserfolg ist allerdings eine schnelle Integration in den Führungsalltag und permanente Beschäftigung mit dem Thema. Ansonsten droht der "Flitterwocheneffekt".
- | Vorteil: Es wird ein gewünschtes Programm durchlaufen bzw Wissen vermittelt und so jedenfalls eine Basis geschaffen. |
- | Nachteil: In der Anwendung bleibt die Führungskraft meist auf sich selbst gestellt und unbegleitet. |
Als Mentoren fungieren meist Menschen, die die Doppelrolle Experte & Führungskraft bereits erfolgreich leben. Führungspersönlichkeiten in Unternehmen, die sich Zeit nehmen, um ihr Wissen und ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben und auch zur eigenständigen Weiterentwicklung anregen. Das funk-
tioniert, wenn die Rolle des Mentors institutionalisiert ist und im Unternehmen gewürdigt wird.
- | Vorteil: Unternehmensspezifisches wird weitergegeben. Es besteht hohe Akzeptanz, weil beobachtbar ist, wie der Mentor die Führungsrolle erfolgreich lebt. |
- | Nachteil: Aktuelle Trends und Entwicklungen aus der Führungsforschung und -praxis finden kaum Eingang. - Außerdem findet sich oftmals kein Mentor im Unternehmen. |
Diese Methode bietet durch Einsatz von internen und externen Trainern und Coaches oder Mentoren und einer geplanten und gewünschten Abfolge von Trainings und Input eine umfassende Aus- und Weiterbildung.
- | Nachteil: Kosten- und ressourcenintensiv und daher meist sehr großen Unternehmen vorbehalten. |
Es findet entweder eine Kombination aus fachlichem Input und Coaching oder Coaching zu ganz konkreten Führungsthemen (wie löse ich eine Konfliktsituation im Team, wie gebe ich konstruktives Feedback etc) statt.
- | Vorteil: Coaching ist für jede Unternehmensgröße geeignet, zeitsparend und individuell. Da Coaching begleitend stattfindet, ist das Üben von gewünschtem Verhalten und Vorbereiten bzw Reflektieren möglich. |
- | Nachteil: Es ist schwierig, den passenden Coach/Trainer zu finden, da der Markt extrem unübersichtlich ist. Weiters leidet ein gemeinsames Verständnis in Bezug auf Führungsverhalten im Unternehmen durch die hohe Individualität des Inputs und der Begleitung. |
Obwohl dies eine einfache und sinnhafte Methode ist, um Grundlagenwissen zu erwerben, wird diese Methode eher selten als zielführend eingeschätzt, da Prioritäten meist entweder zugunsten der Fachliteratur oder der Aufgabe gesetzt werden.
- | Vorteil: günstig und fundiert. |
- | Nachteil: Es bleibt meist bei guten Vorsätzen. |
Jede dieser Methoden hat ihre Vor- und Nachteile, die es vor dem Hintergrund des Unternehmenskontextes abzuwägen gilt.
Wie meist, wenn man etwas Neues lernt oder an eine neue Aufgabe herangeht, gilt es zu üben, Erfahrungen zu sammeln, zu reflektieren oder sich mit anderen auszutauschen.
Für Experten stellt dies oft eine besondere Herausforderung dar, da sie überproportional oft einen nahezu perfektionistischen Anspruch an sich selber und die Erfüllung ihrer Aufgaben haben. Daher ist es wichtig, auch von Unternehmensseite her klar zu machen, dass es gut und gewünscht ist, die eigene "Komfortzone" zu verlassen und sich auf neuem Terrain zu versuchen, auch wenn es möglicherweise am Anfang "holperig" läuft.
Unterstützung kann wie folgt gegeben werden:
- | Auch Chefs haben Chefs, mit denen man dann Führungsthemen besprechen oder reflektieren kann, wo man sich Rat holen kann. Experten tun dies meist nur, wenn sie explizit dazu aufgefordert werden! |
- | In vielen Unternehmen gibt es HR-Abteilungen, die ebenfalls sehr kompetent, vertrauensvoll und diskret als Reflexionspartner zur Verfügung stehen können. |
- | Coaching - in regelmäßigen Abständen mit einer Vertrauensperson reflektieren |
- | Institutionalisierte Feedbacksysteme: Das klassische Mitarbeitergespräch sollte keine Einbahnstraße sein, sondern vielmehr gegenseitiges Feedback darstellen, aktives Nachfragen seitens der Führungskraft, wie denn die Zusammenarbeit funktioniert und empfunden wird, ist ein wichtiger Bestandteil. |
- | 180°-360°-Feedback stelle eine umfassende Rückschau aus möglichst vielen Perspektiven dar. Die Ergebnisse und Erkenntnisse dieser Befragungen sollten institutionalisiert werden und in Weiterentwicklungsmaßnahmen münden. |
Zentral und entscheidend bleiben jedoch immer die Führungskraft und ihr Verständnis von Führungsarbeit. Goleman et al (2005) zeigen auf, dass die grundlegende Aufgabe von Führungskräften darin besteht, in den Menschen, die sie führen, positive Gefühle zu wecken. Das geschieht, wenn sie Resonanz erzeugen - ein Reservoir an positiven Gefühlen, das das Beste in den Menschen hervorbringt. Gute Führungsarbeit schlägt sich nachweislich und messbar im Unternehmenserfolg nieder. Allein schon dieser ökonomische Aspekt, neben all den anderen Vorteilen und Annehmlichkeiten aktiver, guter Führungsarbeit, bietet Unternehmen Grund genug, dafür zu sorgen, dass ihre Führungskräfte zu kompetenten Führungskräften werden können.
Literatur:
Goleman, D., Boyatzis, R., & McKee, A. (2005). Emotionale Führung Berlin: Ullstein.
Reichwald, R., Möhslein, K. (2005). Führung und Führungssysteme. Leipzig Graduate School of Management. HHL Arbeitspapier Nr 70.