Wirtschaftsrecht

Europäischer Dienstleistungsverkehr: Vertretung von Kunden durch Versicherungsvermittler

Univ.-Prof. Dr. Hanspeter Hanreich

Die Kommission der Europäischen Union und die OECD empfehlen Österreich immer wieder, manche Bereiche seines Dienstleistungssektors an ein Umfeld mit stärkerem Wettbewerb anzupassen.1 Vorschläge, wie dies erfolgen könnte, werden von den Betroffenen meist mit dem Hinweis abgelehnt, die Empfehlungen seien zu allgemein, im Einzelnen seien ohnedies keine Mängel festzustellen. Ein signifikantes Beispiel aus einem Dienstleistungsbereich, der durch eine EU-Richtlinie rechtlich harmonisiert wurde, zeigt, wie selbst Randbereiche gewerblicher Tätigkeit umkämpft werden und wie die Berufsrechte von Freiberuflern die Abgrenzungsprobleme in manchen Fällen verschärfen können.2 Es geht um die Frage, welche Berufe bei Tätigkeiten, die der Richtlinie 2002/92/EG vom 9. 12. 2002 über Versicherungsvermittlung (idF: Versicherungsvermittlungs-RL)3 unterliegen, ihre Kunden gegenüber privaten Rechtsträgern vertreten dürfen.

1. Grundsätze der Versicherungsvermittlungs-Richtlinie

Die Versicherungsvermittlungs-RL und die jüngst veröffentlichte Richtlinie (EU) 2016/97 vom 20. 1. 2016 über Versicherungsvertrieb4 haben vor allem die Aufgabe, in der Union für faire und diskriminierungsfreie Marktverhältnisse bei der Vermittlung von Versicherungen und für einen ausreichenden Schutz der Kunden der Versicherungsvermittler vor Übervorteilung und schlechter oder unzureichender Beratung zu sorgen.

Die Versicherungsvermittlungs-RL soll vorrangig die Versicherungsvermittler5 in die Lage versetzen, "die vom Vertrag gewährleisteten Rechte der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs in Anspruch zu nehmen"6 Der reibungslose und faire Wettbewerb zwischen den Versicherungsvermittlern soll wiederum zu einem reibungslosen Funktionieren des einheitlichen Versicherungsmarktes beitragen.7 Im ErwGr 9 der Versicherungsvermittlungs-RL ist gleichsam die Grundregel zur Auslegung von einzelnen Antritts- und Ausübungsvorschriften für die Versicherungsvermittlung festgehalten: "Versicherungsprodukte können von verschiedenen Kategorien von Personen oder Einrichtungen wie Versicherungsagenten, Versicherungsmaklern und ‚Allfinanzunternehmen‘ vertrieben werden. Aus Gründen der Gleichbehandlung all dieser Akteure und des Kundenschutzes sollte sich diese Richtlinie auf all diese Personen oder Einrichtungen beziehen."8

ErwGr 8 zur Versicherungsvermittlungs-RL erläutert: "Die Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über die beruflichen Anforderungen, die an Personen zu stellen sind, welche die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung aufnehmen und ausüben, und über die Eintragung dieser Personen kann daher sowohl zur Vollendung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen als auch zur Verbesserung des Verbraucherschutzes in diesem Bereich beitragen."

Die Definition der "Versicherungsvermittlung" in Art 2 Z 3 Versicherungsvermittlungs-RL fasst einen weiten Bereich von wirtschaftlichen Tätigkeiten zusammen, nämlich: "das Anbieten, Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall" "Versicherungsvermittler" ist daran anknüpfend "jede natürliche oder juristische Person, die die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung gegen Vergütung aufnimmt oder ausübt".


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2. Versicherungsvermittlung im österreichischen Gewerberecht

Obwohl die Versicherungsvermittlungs-RL die Mitgliedstaaten zur Gleichbehandlung der unterschiedlichen Formen der Vermittlung von Versicherungsverträgen verpflichtet hat, wurde in Österreich die Aufspaltung der Versicherungsvermittlungsberufe in verschiedene Gewerbe und andere berufliche Tätigkeiten, wie sie in der GewO 1994 vor der GewO-Novelle 20049 enthalten war, beibehalten.10 Die GewO-Novelle 2004 schuf das Gesamtgewerbe der "Versicherungsvermittlung" (§ 94 Z 76 GewO 1994).11 Daneben zwei weitere Gewerbe, nämlich die nicht miteinander verbundenen Gewerbe12 "Versicherungsagent" sowie "Versicherungsmakler und Beratung in Versicherungsangelegenheiten".13 Die gewerblichen Vermögensberater blieben ebenfalls berechtigt, bestimmte Versicherungen zu vermitteln (§ 94 Abs 75 GewO 1994).

In § 137 Abs 1 GewO 1994 wird die Tätigkeit "Versicherungsvermittlung" wortgleich zu Art 2 Z 3 Versicherungsvermittlungs-RL definiert. § 137 Abs 2 GewO 1994 normiert ergänzend dazu, dass die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung - entsprechend der tatsächlichen Beziehung zu Versicherungsunternehmen - in der Form "Versicherungsagent" oder in der Form "Versicherungsmakler und Beratung in Versicherungsangelegenheiten" erfolgen kann und zwar im Umfang einer Gewerbeberechtigung nach § 94 Z 75 oder Z 76 GewO 1994 oder als Nebengewerbe.14

3. Das Beispiel eines Gewerbeumfangsverfahrens

In einem die Situation des österreichischen Berufsrechts besonders gut illustrierenden Fall urteilte der VwGH über einen Bescheid des BMWFW, in dem der Umfang der Gewerbe der Versicherungsvermittlung in Form des Versicherungsmaklers im Verhältnis zum Gewerbe der Versicherungsvermittlung in Form des Versicherungsagenten abgegrenzt werden sollte.15

Es ging auf Antrag eines Versicherungsmaklerunternehmens um zwei Abgrenzungsprobleme:

-Ist es Versicherungsagenten erlaubt, Agenturverträge mit mehreren Versicherungen abzuschließen, deren Produkte miteinander am Markt in Wettbewerb stehen?
-Ist es Versicherungsagenten erlaubt, Personen, denen sie eine Versicherung vermitteln oder vermittelt haben, gegenüber anderen Rechtsträgern (meist Versicherungen) rechtsgeschäftlich zu vertreten?

Der Umfang einer Gewerbeberechtigung ist nach den Vorschriften der GewO 1994 nicht in allen Verzweigungen endgültig definiert, sondern ist im Einzelfall nach den Kriterien des § 29 GewO 1994 zu bestimmen. Im Streit über den Umfang einer Gewerbeberechtigung ist vom BMWFW ein Verfahren gem § 349 GewO 1994 durchzuführen und der Umfang der betroffenen Gewerbe mit Bescheid festzustellen. Nach § 349 Abs 4 GewO 1994 kann der BMWFW den Antrag zurückweisen oder von der Einleitung eines Verfahrens gem § 349 Abs 1 GewO 1994 von Amts wegen absehen, wenn ein ernst zu nehmender Zweifel über die zur Entscheidung gestellte Frage nicht besteht oder wenn über die Frage in den letzten fünf Jahren vom BMWAW rechtskräftig entschieden oder vom Verwaltungsgericht eines Landes erkannt oder vom VwGH in der Sache selbst entschieden worden ist.16

Der BMWFW wies im hier zitierten Fall den Antrag unter Berufung auf § 349 Abs 4 GewO 1994 zurück. Dieser Bescheid wurde mit Beschwerde an den VwGH angefochten.

Der VwGH teilte die dem Bescheid des BMWA zugrunde liegende Rechtsansicht, dass über die zur Entscheidung gestellten Fragen ein ernst zu nehmender Zweifel nicht bestehe, nicht. Er begründete seine Entscheidung damit, dass bereits die Tatsache, dass die belangte Behörde selbst zur Entscheidung der vorgelegten Fragen nur unter Heranziehung einer Fülle verschiedener Rechtsquellen und nach ausführlichen Überlegungen gekommen sei, zeige, dass "nicht davon gesprochen werden kann, die von der Beschwerdeführerin gestellten Fragen ließen sich ohne ernst zu nehmende Zweifel entscheiden". Der VwGH machte die belangte Behörde in der Begründung seiner Entscheidung zuletzt darauf aufmerksam, dass bei der Erledigung von Gewerbeumfangsfragen nicht nur genuin nationales Recht zu berücksichtigen sei, sondern auch das Unionsrecht. Wörtlich führte er aus: "Hinzu (nämlich zur Auslegung von Vorschriften der GewO 1994, des MaklerG, des VersVG, des Publizitätsrichtlinie-Gesetz, des HVertG ua)17 kommt, dass die Beantwortung dieser Fragen überdies im Rahmen der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung nationaler Vorschriften eine Bedachtnahme auf die Richtlinie 2002/92/EG erfordert." Der VwGH hob daher den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

Sechs Jahre später ist nach Informationen aus der Versicherungsvermittlungsbranche die beantragte Umfangsentscheidung noch immer nicht in letzter Instanz getroffen. Am 29. 1. 2015 erließ das BMWFW18 auf Grundlage eines zT geänderten Antrags einen Bescheid, der nun die Umfangsfrage inhaltlich entschied. Der BMWFW ging jedoch nicht von jenen Rechtsmeinungen ab, die er im ersten Bescheid als evident ansah, nämlich,


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dass die sog Mehrfachagentur nur zulässig seien, wenn Versicherungen mit unterschiedlichem Verkaufsprogramm vertreten werden, und dass Versicherungsagenten keine Vertretungshandlungen für Versicherungsnehmer durchführen dürfen.

Dieser Bescheid wurde beim LVwG Steiermark angefochten. Das LVwG Steiermark gab der Beschwerde keine Folge.19 Die Entscheidung wurde nach meiner Information beim VwGH angefochten.

4. Untersuchungsgegenstand

Die Frage, welche Art der Mehrfachagentur nach der GewO 1994 zulässig ist, wird hier nicht behandelt, um den Umfang dieses Aufsatzes nicht zu sprengen. Es sei nur auf die in der Entscheidung des LVwG Steiermark referierte Auskunft der Europäischen Kommission vom 25. 6. 2003 zum Thema Mehrfachagentur hingewiesen.20 Die Kommission argumentierte darin, dass ein Mitgliedstaat Versicherungsvermittlern aus EU-Ländern, mit Ausnahme seiner eigenen Versicherungsvermittler, nicht vorschreiben könne, Versicherungsvermittlung nur für ein einziges Versicherungsunternehmen oder für mehrere Unternehmen, deren Produkte nicht in Konkurrenz zueinander stehen, zu betreiben. Die von der Kommission angesprochene und unionsrechtlich zulässige Ungleichbehandlung von Inländern in Bezug auf das Verbot der Mehrfachagentur konkurrierender Produkte wird in Österreich von den Gewerbebehörden praktiziert. Ob sie nicht eine grundrechtswidrige Inländerdiskriminierung darstellt, konnte mangels eines entsprechenden Antrags vom VfGH noch nicht überprüft werden.21

Diese Arbeit wird sich nur der Frage widmen, ob Versicherungsvermittler berechtigt sind, ihre Kunden gegenüber privaten Rechtsträgern zu vertreten. Dabei soll ein Lösungsansatz zur Anwendung kommen, der eine richtlinienkonforme Auslegung der anzuwendenden Normen zum Ziel hat.

5. Rechtsgeschäftliche Vertretung von Kunden durch Versicherungsvermittler

Die Stellvertretung von natürlichen und juristischen Personen kann auf unterschiedlicher rechtlicher Grundlage erfolgen. Drei große Gruppen von Normen sind zu unterscheiden:22

-Rechtsgeschäftliche Stellvertretung
-Organmäßige Stellvertretung
-Gesetzliche Stellvertretung

Hier interessiert nur die Zulässigkeit rechtsgeschäftlicher Stellvertretung von Kunden durch Versicherungsvermittler.23 Selbstverständlich ist auch das Auftragsrecht in die Betrachtungen einzubeziehen, da ein Versicherungsvermittler wohl meist nur nach Auftrag handeln und sich nicht nur auf eine Vollmacht berufen wird.24

Es steht wohl außer Zweifel, dass Kunden immer wieder Versicherungsvermittler beauftragen, im Rahmen von Vorbereitungsarbeiten, beim Abschluss von Versicherungsverträgen, beim Mitwirken bei der Verwaltung und bei der Erfüllung von Versicherungsverträgen rechtlich relevante Handlungen in ihrem Namen vorzunehmen. Diese Tatsache ist in Versicherungskreisen und bei den Kunden von Versicherungsvermittlern allgemein bekannt. Davon ging auch die Antragstellerin des hier behandelten Beispielfalls aus, wenn sie meinte, dass Versicherungsmakler zu solchen Handlungen befugt sind. Das BMWFW bestätigte diese Meinung in dem hier zitierten Bescheid25, das LVwG Steiermark schloss sich dieser Rechtsansicht an.26

Im Zusammenhang mit der rechtsgeschäftlichen Vertretung von Kunden von Versicherungsvermittlern ist die Beachtung der in Art 12 Versicherungsvermittlungs-RL harmonisierten Informationspflichten besonders wichtig. Nur wenn der jeweilige Versicherungsvermittler dem Kunden bekannt gibt, ob er bei der konkreten Vermittlungstätigkeit vertraglich gebunden ist oder nicht, kann der Kunde beurteilen, ob eventuell Interessengegensätze oder gar Interessenkollisionen vorliegen. Da Art 12 Abs 5 Versicherungsvermittlungs-RL den Mitgliedstaaten erlaubt, strengere Informationsvorschriften zu erlassen, als in der Richtlinie vorgeschrieben, ist im österreichischen Recht zu prüfen, ob zur Durchführung von Vertretungstätigkeiten von Versicherungsvertretern strengere Informationsverpflichtungen bestehen. Dies ist nicht der Fall. Weder in der Gewerbeordnung noch in anderen Umsetzungsvorschriften sind derartige Spezialregelungen enthalten.

Die Mitgliedstaaten dürfen nicht nur gem Art 12 Abs 5 Versicherungsvermittlungs-RL strengere Verpflichtungen für Versicherungsvermittler beibehalten oder erlassen, sofern sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, sie dürfen gem Art 4 Abs 6 Versicherungsvermittlungs-RL für die in ihrem Hoheitsgebiet eingetragenen Versicherungsvermittler die in Art 4 Versicherungsvermittlungs-RL genannten Anforderungen verschärfen und weitere Anforderungen hinzufügen. Ein Mitgliedstaat könnte zB aufgrund dieser Bestimmung von Versicherungsvermittlern besondere Kenntnisse über die Vertretung von Kunden als zusätzliche Anforderung verlangen, aber auch andere berufsrechtliche Normen dürfen strengere Standards für die Ausübung der Versicherungsvermittlung aufstellen.

Österreichische Versicherungsvermittler müssen weder beim Gewerbeantritt noch nach besonderen Ausübungsbestimmun-


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gen besondere Kenntnisse und Fähigkeiten zur rechtsgeschäftlichen Vertretung von Kunden besitzen. Alle Versicherungsvermittler müssen aber im Rahmen der jeweiligen Befähigungsnachweisprüfung Kenntnisse über das Zivilrecht, somit auch zum wichtigen Thema Stellvertretung und Auftrag, nachweisen.27

Das österreichische Berufsrecht der Rechtsanwälte enthält jedoch das Vorrecht zur sog "umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung" (§ 8 Abs 1 RAO). Da § 8 RAO die Ausübung der Versicherungsvermittlung für andere Berufe als Rechtsanwälte möglicherweise einschränkt, könnte es sich um eine solche Vorschrift handeln, die die "Anforderungen für die innerhalb ihres Hoheitsgebiets eingetragenen Versicherungs- und Rückversicherungsvermittler verschärfen und weitere Anforderungen hinzufügen". Eine solche Auslegung des Art 4 Abs 6 Versicherungsvermittlungs-RL erscheint vorerst plausibel, es ist daher notwendig, die Reichweite des Vertretungsprivilegs der Rechtsanwälte durch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 8 RAO näher zu bestimmen.

6. Die berufsmäßige Parteienvertretung durch Rechtsanwälte

Gem § 8 Abs 1 RAO erstreckt sich das Vertretungsrecht eines Rechtsanwalts "auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich und umfasst die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten".28

§ 8 Abs 2 und 3 RAO schränken dieses Privileg der Rechtsanwälte ein. Die Befugnisse, die sich aus den österreichischen Berufsordnungen für Notare, Patentanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Ziviltechniker ergeben, werden durch die vorhergehenden Bestimmungen "nicht berührt" (§ 8 Abs 2 2. Satz RAO). § 8 Abs 3 RAO enthält vier weitere Gruppen von Ausnahmen vom sog "umfassenden" Recht auf Parteienvertretung. Folgende Rechte anderer Gruppen von Rechtsträgern bleiben durch § 8 Abs 2 1. Satz RAO ebenfalls "jedenfalls unberührt":

1.die in sonstigen gesetzlichen Bestimmungen des österreichischen Rechts eingeräumten Befugnisse von Personen oder Vereinigungen zur sachlich begrenzten Parteienvertretung,
2.der Wirkungsbereich von gesetzlichen Interessenvertretungen und von freiwilligen kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigungen der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer,
3.die Auskunftserteilung oder Beistandsleistung durch Personen oder Vereinigungen, soweit sie nicht unmittelbar oder mittelbar dem Ziel wirtschaftlicher Vorteile dieser Personen oder Vereinigungen dienen,
4.die in sonstigen gesetzlichen Bestimmungen des österreichischen Rechts eingeräumten Befugnisse, die in den Berechtigungsumfang von reglementierten oder konzessionierten Gewerben fallen.

Vitek stellt zum Umfang der Vertretungsbefugnisse der Rechtsanwälte zu Recht fest: "Es liegt sohin kein umfassendes, andere Berufsgruppen grundsätzlich ausschließendes Monopol der Rechtsanwälte zur berufsmäßigen Parteienvertretung vor."29

Es besteht eine relativ umfangreiche Rsp zu den Ausnahmen vom Recht auf berufsmäßige Parteienvertretung durch Rechtsanwälte. Diese Rsp ist zu beachten, wenn beurteilt werden soll, ob Versicherungsvermittler zur Vertretung ihrer Kunden gegenüber Unternehmern (vor allem Versicherungen) oder Konsumenten berechtigt sind. Da Versicherungsvermittler bei solchen Vertretungshandlungen immer gewerblich handeln werden, kommen als Ausnahmebestimmungen nur die Fallgruppen 1. und 4. des § 8 Abs 3 RAO infrage. Bei Gewerbetreibenden, die ein reglementiertes oder konzessioniertes Gewerbe betreiben, ist vorrangig die Ausnahmebestimmung des § 8 Abs 3 4. Fall RAO anzuwenden. Die Versicherungsvermittlung ist nach § 94 Z 76 GewO 1994 ein reglementiertes Gewerbe.

Die GewO 1994 enthält keine Sonderbestimmung für Versicherungsvermittler, die ihnen wie etwa Baumeistern (§ 99 Abs 1 Z 6 GewO 1994) oder Unternehmensberatern (§ 136 Abs 3 GewO 1994) explizit Vertretungsrechte einräumen würde.30 Da der Umfang einer Gewerbeberechtigung auch nach § 29 GewO 1994 zu konkretisieren ist, muss, wenn wie im referierten Fall Zweifel über den Umfang einer Gewerbeberechtigung bestehen, überlegt werden, ob Versicherungsvermittlern unter Berücksichtigung der Kriterien des § 29 GewO 1994 Vertretungsrechte zukommen.31

Primär sind bei der Bestimmung eines Gewerbeumfangs iSd § 29 GewO 1994 die "einschlägigen Rechtsvorschriften maßgebend". Die Versicherungsvermittlungs-RL enthält die für Versicherungsvermittler wesentlichsten berufsrechtlichen Vorschriften. § 137 Abs 1 GewO 1994 gibt Art 2 Z 3 Versicherungsvermittlungs-RL wortgleich wieder. Dass zur Vermittlung von Versicherungen iSd Art 2 Z 3 Versicherungsvermittlungs-RL auch die Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden gehören kann, wurde schon begründet. Derartige Vertretungstätigkeiten gehören somit auch in Österreich nicht nur definitionsgemäß zu den Tätigkeiten von Versicherungsvermittlern, sondern es folgt daraus auch, dass sie zum Umfang der gewerblichen Tätigkeit von Versicherungsvermittlern gehören.

Die Mitgliedstaaten haben solche Tätigkeiten als möglichen Teil einer Versicherungsvermittlung nach den Regeln der Versi-


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cherungsvermittlungs-RL zu behandeln. Es wurde bereits betont, dass eine wichtige Grundregel der Versicherungsvermittlungs-RL darin besteht, diskriminierungsfreie und damit wettbewerbsneutrale Regeln für die in manchen Mitgliedstaaten bestehenden verschiedenen Versicherungsvermittlungsberufe vorzusehen. Sollten nationale Normen bestehen, die diesen Vorschriften der Versicherungsvermittlungs-RL zuwiderlaufen, dürfen sie nicht angewendet werden. Wenn eine richtlinienkonforme Auslegung von nationalen Vorschriften, die gegen die Normen der Versicherungsvermittlungs-RL verstoßen könnten, möglich ist, ist diese zu wählen.32

Als Tätigkeit eines reglementierten Gewerbes ist die Vertretung von Kunden durch Versicherungsvermittler nach § 8 Abs 3 4. Fallgruppe RAO somit grundsätzlich zulässig. Wie weit reicht aber diese Befugnis der Versicherungsvermittler? Diese Frage muss ebenfalls unter Berücksichtigung der "einschlägigen Vorschriften" mit den Mitteln des § 29 GewO 1994 beantwortet werden.

Art 2 Abs 3 Versicherungsvermittlungs-RL und § 137 Abs 1 GewO 1994 sind jene "einschlägigen Rechtsvorschriften" nach denen ein Gewerbeumfang von Versicherungsvermittlern primär zu bestimmen ist. Die Versicherungsvermittlungs-RL bezieht sich auf alle Tätigkeiten, die zu einer solchen Versicherungsvermittlung im geschäftlichen Verhältnis zu ihren Kunden gehören. Dieser Tätigkeitsbereich umfasst somit nur die in § 8 RAO so bezeichneten "privaten Angelegenheiten". Die RAO versteht unter "privaten Angelegenheiten" auch Unternehmergeschäfte. Im Gegensatz dazu stehen lediglich "öffentliche" Angelegenheiten.

Aus dieser Argumentation folgt, dass Versicherungsvermittler nicht, wie zB Unternehmensberater, die "Vertretung des Auftraggebers vor Behörden und Körperschaften öffentlichen Rechts" (§ 136 Abs 3 GewO 1994) übernehmen dürfen. Die relativ strenge Rsp zur Vertretung eines Kunden eines Unternehmensberaters in Rechtsangelegenheiten gegenüber Dritten "im Zuge einer vor- oder nachprozessualen Korrespondenz" ist hingegen unbeachtlich, weil der Gewerbeumfang der Versicherungsvermittler, wie hier nachgewiesen wurde, gerade diese Tätigkeit umfasst.33

Die Entscheidung des OGH zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit von Rechtsschutzversicherungen bei Versuchen von "Selbstregulierung" von Versicherungsfällen ist den hier behandelten Tätigkeiten von Versicherungsvermittlern in einem gewissen Sinne verwandt. Rechtsschutzversicherungen richten im Auftrag und im Namen ihrer Kunden, den Versicherungsnehmern, an Dritte Schreiben, die der außergerichtlichen Lösung von Versicherungsfällen dienen sollen. Der OGH befand, dass die Annahme eines solchen Rechts zur außergerichtlichen Vertretung ihrer Kunden im Hinblick auf § 8 Abs 3 4. Fall RAO rechtlich vertretbar sei und daher ein Verstoß gegen § 1 UWG nach der Fallgruppe Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch nicht vorläge. Interessant für die hier behandelten Fälle ist auch, dass der OGH in diesem Fall § 8 Abs 3 4. Fallgruppe RAO teleologisch weit ausgelegt hat. Er vertrat die Ansicht, dass in § 8 Abs 3 4. Fallgruppe RAO "ein allgemeiner Grundsatz zum Ausdruck" komme, nämlich der, dass wegen des Bestehens praktischer Besonderheiten von bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeiten manchen Unternehmenszweigen durch "generelle Norm eine (Annex-)Befugnis zur Parteienvertretung eingeräumt" werden könne, auch wenn solche Befugnisse nicht ausdrücklich einem reglementierten Gewerbe zuerkannt wurden.34

Anfragen an einen Dritten, die eine Bank in Vertretung eines Kunden, der ein allgemeines Vollmachtformular unterzeichnet hatte, unentgeltlich richtet, sind Vertretungshandlungen von Versicherungsvermittlern im hier relevanten Umfang ebenfalls verwandt. Einen solchen Fall hatte der OGH vor einiger Zeit zu entscheiden. Aus dem festgestellten Sachverhalt konnte der OGH erkennen, dass sich die Bank nicht über ein Gesetz - hier § 8 Abs 1 RAO - in der Absicht hinweggesetzt hätte, einen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen. Ein Verstoß gegen § 1 UWG konnte der Bank daher nicht vorgeworfen werden.35

7. Ergebnis

Aus den Ergebnissen der Untersuchung lässt sich somit Folgendes ableiten:

-Der weite Geltungsbereich von Art 2 Abs 3 Versicherungsvermittlungs-RL und § 137 Abs 1 GewO 1994 umfasst auch rechtsgeschäftliche Vertretungshandlungen gegenüber anderen Rechtsträgern (vor allem Versicherungen), die Versicherungsvermittler im Namen ihrer Kunden verrichten.
-Nationale Rechtsvorschriften zur Versicherungsvermittlung dürfen einzelne Vermittlungsberufe nicht unterschiedlich behandeln, sofern nicht von der Richtlinie erlaubte strengere nationale Regelungen bestehen.
-§ 8 RAO könnte eine solche strengere Regelung beinhalten.
-§ 8 Abs 3 4. Fallgruppe RAO nimmt gesetzlich vorgesehene Befugnisse, die in den Berechtigungsumfang von reglementierten oder konzessionierten Gewerben fallen, von den Vorrechten der Rechtsanwälte nach § 8 Abs 1 RAO aus.
-Es stellt sich die Frage, ob dem reglementierten Gewerbe der Versicherungsvermittlung bzw anderen zur Versicherungsvermittlung berechtigten Gewerben das Recht der Vertretung ihrer Kunden in "privaten Angelegenheiten" zusteht.
-Die gewerberechtlichen Vorschriften für Versicherungsvermittler oder für andere Gewerbe, die zur Versicherungsvermittlung berechtigen, enthalten keine ausdrücklichen Normen zur Zulässigkeit der Vertretung von Kunden. Der Umfang von Versicherungsvermittlungsgewerben kann im Zweifel nach den Regeln des § 29 GewO 1994 näher bestimmt werden.
-Der umfassende Schutzbereich der Versicherungsvermittlungs-RL, der besonders in Art 2 Abs 3 Versicherungsvermittlungs-RL zum Ausdruck kommt und in § 137 Abs 1 GewO 1994 umgesetzt wurde, erfordert die Einbeziehung von bestimmten

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Vertretungshandlungen durch Versicherungsvermittler in den gewerberechtlich zulässigen Umfang dieser Tätigkeiten.
-Die rechtsgeschäftliche Vertretung von Kunden von Versicherungsvermittlern gegenüber anderen Rechtsträgern (insb Versicherungen) fällt somit in den gewerberechtlich erlaubten Umfang der Versicherungsvermittler.
-Die Ausnahmebestimmung des § 8 Abs 3 4. Fallgruppe RAO kann angewendet werden. § 8 RAO verhindert Vertretungstätigkeiten im gewerberechtlich erlaubten Umfang somit nicht.
-Einzelne Vermittlungsberufe, die national bestehen können, dürfen nach dem Unionsrecht nicht einer differenzierenden und damit diskriminierenden nationalen Regelung unterzogen werden.
-Die gerade umschriebenen Rechte zur Vertretung ihrer Kunden gegenüber anderen privaten Rechtsträgern kommen somit allen Versicherungsvermittlern, die im Geltungsbereich des Unionsrechts tätig sind, zu.
1

Wirtschaftsberichte der OECD 2007, OECD 2009; OECD 2012b; Arbeitspapier der Kommission der Europäischen Union: "Länderbericht Österreich 2016 mit eingehender Überprüfung der Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte", http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/csr2016/cr2016_austria_de.pdf, 5; vgl auch den Bericht zu diesem Papier: http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/europa/4934349/EU-zeigt-schonungslos-Osterreichs-Schwaechen-auf; beides zuletzt eingesehen am 3. 5. 2016.


2

Paterson/Fink/Ogus et al, Wirtschaftliche Auswirkungen einzelstaatlicher Regelungen für freie Berufe, http://ec.europa.eu/competition/sectors/professional_services/studies/executive_de.pdf; zuletzt eingesehen am 3. 5. 2016.


3

ABl Nr L 9 vom 15. 1. 2003, S 3-10.


4

ABl Nr L 26, vom 2. 2. 2016, S 19-59.


5

Die Rückversicherungsvermittler bleiben aus Gründen einfacherer Darstellung hier immer unerwähnt.


6

ErwGr 6.


7

ErwGr 7.


8

ErwGr 9.


9

GewO-Novelle 2004, BGBl I 2004/131.


10

Funk-Leisch, Das Recht der Versicherungsvermittlung in Österreich (2010) 65 ff; Hanreich, Neue Rahmenbedingungen für Versicherungsvermittler - Die GewO-Novelle 2004, VR 2005, 135; Jabornegg, Zum Vermittlerbegriff im neuen Versicherungsvermittlungsrecht, VR 2005, 128.


11

BGBl I 2004/131; Gruber/Sprohar-Heimlich in Ennöckl/N. Raschauer/Wessely (Hrsg), Kommentar zur Gewerbeordnung 1994 II 1626 ff; Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3 (2011) 1385 ff.



13

Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3 (2011) 1387.


14

Die Versicherungsvermittlung darf als Nebengewerbe seit dem 1. 1. 2009 nicht mehr begründet werden. Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kurzkommentar Gewerbeordnung (2014) § 137 RN 1.



16

Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO2 § 349 Rz 15; Sander in Ennöckl/N. Raschauer/Wessely, Kommentar zur Gewerbeordnung 1994 I (2015) 381 ff.


17

Ergänzung durch den Autor.


18

GZ: BMWFJ-329.792/0001-I/5a/2013.


19

LVwG Steiermark 27. 4. 2015, 43.25-665/2015, https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Lvwg&Dokumentnummer=LVWGT_ST_20150427_LVwG_43_25_665_2015_00; zuletzt abgefragt am 5. 4. 2016.


20

LVwG Steiermark 27. 4. 2015, 43.25-665/2015, https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Lvwg&Dokumentnummer=LVWGT_ST_20150427_LVwG_43_25_665_2015_00; zuletzt abgefragt am 5. 4. 2016.


21

Zur Inländerdiskriminierung zB Berka, Verfassungsrecht6 (2016) Rz 1634; Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2015) Rz 1355.


22

ZB Koziol - Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I14 (2014) Rz 622 ff.


23

ZB Koziol - Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I14 (2014) Rz 639 ff.


24

Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II14 (2015) Rz 950 ff.


25

GZ: BMWFJ-329.792/0001-I/5a/2013.


26

LVwG Steiermark 27. 4. 2015, 43.25-665/2015, https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Lvwg&Dokumentnummer=LVWGT_ST_20150427_LVwG_43_25_665_2015_00; zuletzt abgefragt am 5. 4. 2016.


27

ZB Verordnung des Fachverbandes der Versicherungsagenten über die Befähigungsprüfung für das Gewerbe Versicherungsvermittlung in der Form Versicherungsagent (Versicherungsagenten-Prüfungsordnung 2011), kundgemacht am 1. 6. 2011.


28

Diese Befugnis der Rechtsanwälte wird meist als Recht zur "umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung" bezeichnet. Vitek in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, Rechtsanwaltsordnung, Kurzkommentar (2015) 55.


29

Vitek in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, Rechtsanwaltsordnung, Kurzkommentar (2015) 56.


30

Zum Vertretungsrecht der Unternehmensberater: Wallner in Ennöckl/N. Raschauer/Wessely, Kommentar zur Gewerbeordnung 1994 II (2015) 1579; Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3 (2011) 1372.


31

Diese Vorgangsweise verwendete der OGH bereits in seiner E 6. 12. 1994, 4 Ob 137/94. Er sprach aus: "Für die Beurteilung des Umfangs der Gewerbeberechtigung sind gemäß § 29 GewO 1994 im Zweifelsfall auch die in den beteiligten gewerblichen Kreisen bestehenden Anschauungen und Vereinbarungen heranzuziehen."


32

Funk-Leisch, Das Recht der Versicherungsvermittlung in Österreich (2010) 17.



34

OGH 10. 5. 2011, 4 Ob 57/11b, ÖBl 2011, 210 mit einem zustimmenden Kommentar von Gamerith; ecolex 2011, 837 mit einem kritischen Kommentar von Tonninger.



Artikel-Nr.
RdW 2016/398

18.08.2016
Heft 8/2016
Autor/in
Hanspeter Hanreich
Univ.-Prof. Dr. Hanspeter Hanreich ist an der Universität Wien für Wirtschaftsrecht habilitiert und Senior Expert am Institut für Höhere Studien in Wien.