Unternehmensbewertung

Planungsrechnungen bei rechtsgeprägten Unternehmensbewertungen

Andreas Creutzmann

Die Analyse der Planungsrechnungen gehört im Rahmen des Prozesses der Unternehmensbewertung zur Unternehmensanalyse.1 Sie nimmt, unabhängig vom Zweck der Unternehmensbewertung, einen wesentlichen Teil des zeitlichen Aufwandes für eine Unternehmensbewertung in Anspruch. Das zentrale Ziel der Analyse der Planungsrechnungen liegt darin, dass der Bewerter ein Urteil über die Plausibilität der Planungsrechnung bekommen muss. Nur eine plausible Planungsrechnung führt bei einer sachgerechten Ableitung der zu diskontierenden Zahlungsüberschüsse im Rahmen der Diskontierungsverfahren zu einem sachgerechten Unternehmenswert. Dies gilt jedoch unabhängig davon, ob es sich um eine rechtsgeprägte Unternehmensbewertung handelt oder um einen anderen Bewertungsanlass. Dem nachfolgenden Beitrag liegt ein Vortrag auf dem Linde-Forum "Unternehmensbewertung 2023" mit dem Schwerpunktthema "Rechtsgeprägte Unternehmensbewertung" vom 14. November 2023 in Wien zugrunde. Er setzt sich zunächst mit den Anforderungen an Planungsrechnungen auseinander. Es werden sodann die Plausibilität und Vertretbarkeit von Annahmen dargestellt. Regelmäßig werden Plananpassungen zur Ableitung plausibler nachhaltiger Ergebnisse notwendig sein, sodass hier das Problembewusstsein für Bewertungsprofessionals besonders geschärft sein muss. Abschließend wird insoweit ein Bezug zur rechtsgeprägten Unternehmensbewertung hergestellt, als einzelne Beschlüsse aus der Rechtsprechung aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen dargestellt werden.

1. Anforderungen an Planungsrechnungen

Die Anforderungen an integrierte Planungsrechnungen sind grds unabhängig vom jeweiligen Bewertungsanlass. Demnach gelten für rechtsgeprägte Unternehmensbewertungen die gleichen Anforderungen an Planungsrechnungen wie bei allen anderen Bewertungsanlässen. In der folgenden Abbildung sind die fünf Elemente eines systematischen Planungssystems dargestellt.

Abbildung 1: Fünf Elemente eines systematischen Planungssystems

Der Planungsgegenstand bzw die Planungsebenen sowie die planenden Organisationseinheiten hängen häufig von der Unternehmensgröße ab. Je größer ein Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es eine eigene Abteilung für das Controlling gibt. Die Unterscheidung in eine strategische und in eine operative Planung findet häufig bei KMU nicht statt. Kleinere und mittlere Unternehmen verfügen meist nur über eine operative Planung, die einen Planungshorizont von einem Jahr ausweist. Über strategische Planungen verfügen KMU seltener. Eng damit verbunden ist, dass die Unternehmensplanung vom Unternehmer selbst oder der Geschäftsleitung erstellt wird. Bei größeren Unternehmen, die über eine Controlling-Abteilung verfügen, wird die Planungsrechnung weit überwiegend dort erarbeitet. Die Geschäftsleitung nutzt dann die bereits von der Controlling-Abteilung vor- und aufbereiteten Informationen, um darauf aufbauend die Planungsrechnung anzupassen und zu überarbeiten. Da die Unternehmensplanung in der Verantwortung der Geschäftsleitung ist, wird ein gewissenhafter und ordentlicher Geschäftsleiter sich intensiv mit ihr beschäftigen und maßgeblich Einfluss auf die zentralen Annahmen und Werttreiber der Planungsrechnung nehmen.

Bei internationalen Konzernen beginnt der Planungsprozess meist im Sommer vor dem Beginn eines nächsten Geschäftsjahres, sofern das Geschäftsjahr dem Kalenderjahr entspricht. Hier gilt es bei Bewertungen im ersten Planjahr darauf zu achten, dass die der Planungsrechnung zugrunde liegenden Annahmen und Werttreiber nach wie vor aktuell sind. Das Herzstück einer jeden Planungsrechnung sind die jeweiligen Planungsprämissen. Es ist langjährige Praxis, dass als ein zentrales Planungsinstrument Excel genutzt wird.

Aus einem systematischen Planungssystem ergeben sich die folgenden vier Analysefelder, die in Abbildung 2 dargestellt sind.

Abbildung 2: Analysefelder des Planungssystems

Die in Abbildung 2 dargestellten Analysefelder eines Planungssystems gilt es für einen Bewertungsprofessional sowohl bei rechtsgeprägten als auch bei allen anderen Unternehmensbewertungen zu analysieren. Das Ergebnis dieser Analysen ist im Bewertungsgutachten darzustellen.

Zunächst einmal gilt es neben dem Verständnis darüber, wer und wann in die Erstellung einer Planungsrechnung eingebunden ist, den Planungsprozess genau zu verstehen und sich mit der Planungsorganisation auseinanderzusetzen. Für eine plausible Planungsrechnung ist es beim Planungsprozess unerheblich, ob ihr eine Top-Down-Planung oder Bottom-up-Planung oder das sog "Gegenstromverfahren" zugrunde liegt. Bei Anwendung des Gegenstromverfahrens wird in einem iterativen Prozess mehrmals eine Top-Down-Planung und eine Bottom-up-Planung durchlaufen.

Es erscheint naheliegend, dass eine plausible Planungsrechnung insb dann erstellt werden kann, wenn alle Ebenen des Unternehmens in die Erstellung der Planungsrechnung eingebunden sind. Im Umkehrschluss wäre es jedoch falsch zu sagen, dass jede Top-Down-Planung oder Bottom-up-Planung zu einer unplausiblen Planungsrechnung führen würde. Denn eine plausible Planungsrechnung basiert auf einem plausiblen Mengen- und Wertgerüst, das im Rahmen der Analyse der Planungsprämissen zu untersuchen ist. Die Plausibilität des Mengen- und Wertgerüstes korreliert jedoch nicht zwingend mit der Methode des Planungsprozesses. Denn andernfalls gäbe es ein Primat einer Methode im Rahmen eines Planungsprozesses. Das ist nicht der Fall.

2. Plausibilität und Vertretbarkeit von Annahmen

2.1. Vorbemerkung

Die Plausibilität und Vertretbarkeit von Annahmen haben im Rahmen von aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen, als ein Spezialfall rechtsgeprägter Unternehmensbewertungen, eine besondere Bedeutung. Nach § 327a Abs 1 AktG muss die Höhe der gewährten Abfindung angemessen sein. Der Begriff der "Angemessenheit" wird jedoch im deutschen Aktiengesetz inhaltlich nicht näher definiert. Die ständige deutsche Rechtsprechung fordert eine volle Entschädigung des Minderheitsaktionärs beim Squeeze-Out für den Verlust seiner Beteiligung.2 Demnach muss die Abfindung den wirklichen bzw wahren Wert der Beteiligung abbilden, damit der ausscheidende Aktionär für den Verlust seiner Rechtsposition wirtschaftlich voll entschädigt wird. Die Beurteilung der Angemessenheit einer Barabfindung erfolgt daher sowohl im Rahmen der Angemessenheitsprüfung als auch in dem sich anschließenden Spruchverfahren auf Basis einer Gesamtbetrachtung.3 Nur in diesem Rahmen kann sichergestellt werden, dass der ausscheidende Aktionär eine volle Entschädigung für den Verlust seiner Beteiligung erhält.

Sowohl rechtsgeprägte Unternehmensbewertungen als auch Bewertungen für andere Anlässe enthalten einerseits bei der Prognose der finanziellen Überschüsse und andererseits bei der Ermittlung der Kapitalkosten eine Vielzahl von Annahmen. Diese Annahmen sind durch Bewerter auf Plausibilität zu prüfen. In Deutschland hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) einen Praxishinweis veröffentlicht.4 Dieser Praxishinweis ist maßgeblich für die Beurteilung von Planungsrechnungen von deutschen Wirtschaftsprüfern. Er beschäftigt sich jedoch ausschließlich mit dem Cashflow im Zähler des Bewertungskalküls. Die Plausibilität und Vertretbarkeit von Bewertungsannahmen gilt es jedoch gleichermaßen im Nenner bei den Kapitalkosten zu beurteilen. Die Einhaltung des Grundsatzes der Risikoäquivalenz bei Unternehmensbewertungen bedeutet, dass die Bewertungsprämissen sowohl im Zähler als auch im Nenner in ihrem Zusammenspiel plausibel sein müssen. Aus diesem Grund dient der folgende Beurteilungsmaßstab im Hinblick auf die Plausibilität und Vertretbarkeit von Bewertungsannahmen, der sowohl für den Zähler als auch für den Nenner bei Unternehmensbewertungen zugrunde gelegt werden kann.5

2.2. Genereller Beurteilungsmaßstab zur Plausibilität und Vertretbarkeit von Annahmen

Der nachfolgend dargestellte Maßstab zur Beurteilung der Plausibilität und Vertretbarkeit von Annahmen gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Annahme im Zähler oder im Nenner handelt.

Im Rahmen von Plausibilitätsbeurteilungen wird eine Annahme dann als plausibel betrachtet, wenn sie

(1) auf einer sachgerechten Methodik und

(2) einer vollständigen Datenbasis beruht,

(3) der Höhe nach vertretbar ist und

(4) die rechnerische Richtigkeit gewährleistet wird.

Die Ermittlungsmethodik ist als sachgerecht anzusehen, wenn sie im Einklang mit den aktuellen wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Unternehmensbewertung steht. Sofern hingegen eine nicht anerkannte oder nicht gebräuchliche Methodik angewendet wird, ist die Sachgerechtigkeit zumindest kritisch zu hinterfragen.

Die Vollständigkeit der Datenbasis ist gegeben, wenn eine ausreichende Datengrundlage für die Beurteilung einer Annahme vorliegt. Hierbei kann es sich etwa um Daten aus der Vergangenheitsanalyse oder entsprechende Mengen- und Wertgerüste handeln, welche einer angenommenen bestimmten Entwicklung zugrunde liegen.

Eine Annahme ist der Höhe nach als vertretbar zu beurteilen, wenn sich der betrachtete Parameterwert innerhalb einer üblichen und intersubjektiv nachvollziehbaren Bandbreite von möglichen Parameterwerten bewegt. Abhängig von den konkret zu analysierenden Annahmen kann sich diese Bandbreite etwa aus der Anwendung verschiedener, jeweils sachgerechter Methoden ergeben und enger oder weiter gefasst sein. Sofern der betrachtete Parameterwert außerhalb dieser Bandbreite liegt, ist die Annahme nicht mehr als vertretbar anzusehen.

Darüber hinaus ist zu analysieren, ob die Annahme rechnerisch richtig abgeleitet wurde und in sich konsistent ist.

Die folgende Abbildung 3 stellt die einzelnen Prüfschritte bei der Beurteilung der Plausibilität einer Annahme zusammenfassend dar:

Abbildung 3: Beurteilungsmaßstab für die Plausibilität einer Annahme

Wenn sämtliche Kriterien erfüllt sind, ist die Annahme insgesamt als plausibel anzusehen. Wird hingegen mindestens ein Kriterium nicht erfüllt, ist die Plausibilität der Annahme zu hinterfragen. Dieser Beurteilungsmaßstab gilt sowohl bei der Betrachtung in Bezug auf die Planungsrechnung (Zähler des Kalküls) als auch in Bezug auf den Kapitalisierungszinssatz (Nenner des Kalküls).

2.3. Beurteilungsmaßstab zur materiellen Planungsplausibilisierung gemäß IDW-Praxishinweis 2/2017

Bei der Betrachtung von Annahmen in Bezug auf die Planungsrechnung haben deutsche Wirtschaftsprüfer den vom IDW veröffentlichten Praxishinweis "Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierungen, Due Diligence und Fairness Opinion", der sich mit der Plausibilisierung von Planungsrechnungen befasst, zu berücksichtigen.6 Der Praxishinweis bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Plausibilität einer Planungsrechnung und damit auf den Zähler des Bewertungskalküls. Gemäß dem IDW-Praxishinweis gliedert sich die materielle Plausibilität einer Planungsrechnung in die interne und die externe Plausibilität.

Im Rahmen der materiellen Plausibilitätsanalyse wird gewürdigt, ob die der Planung zugrunde gelegten Annahmen sowie die aus den Annahmen und dem Planungsmodell resultierenden Ergebnisse insgesamt unter angemessener Berücksichtigung von Chancen und Risiken abgeleitet wurden. Die Plausibilität ist gegeben, wenn die Annahmen und die Planansätze für den jeweiligen Anlass nachvollziehbar, konsistent und frei von Widersprüchen, dh in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen aus der Vergangenheits-, Markt-, Wettbewerbs- und Unternehmensanalyse sind. Bestehen Abweichungen zu den Erkenntnissen aus den vorgenannten Analysen, sollten diese intersubjektiv nachvollziehbar sein. Ein sachkundiger Dritter sollte bei entsprechender Informationslage zu vergleichbaren Einschätzungen kommen. Die materiellen Analysehandlungen lassen sich unterteilen in die Analyse der internen und der externen Plausibilität.7

Die folgende Abbildung 4 zeigt die vom IDW konkret empfohlenen Maßnahmen im Rahmen der materiellen Planungsplausibilisierung für Bewertungszwecke.


Materielle, interne Plausibilität Materielle, externe Plausibilität
Erläuterungen des Managements Unternehmensanalyse (einschließlich Vergangenheitsanalyse) Marktanalyse Analyse der Wettbewerber
Nachvollziehbarkeit und Konsistenz der Planung mit den ErläuterungenNachvollziehbarkeit und Konsistenz der Planung mit den Ist-Entwicklungen in der Vergangenheit und den Unternehmenspotenzialen zum StichtagNachvollziehbarkeit und Konsistenz der Planung zB mit volkswirtschaftlichen Prognosen, Absatzmarkt-analysen etcNachvollziehbarkeit und Konsistenz der Planung zB mit Ist-Zahlen und Analystenschätzungen

Abbildung 4: Maßnahmen der materiellen Planungsplausibilisierung gemäß IDW-Praxishinweis 2/2017

Wie in Abbildung 4 dargestellt, werden im Rahmen der materiellen Plausibilitätsprüfung sowohl interne als auch externe Aspekte gewürdigt, wobei das IDW weder den Aspekten der internen noch der externen Plausibilität eine Gewichtung zukommen lässt.

Die interne Plausibilität betrifft den Abgleich der zugrunde liegenden Planungsrechnung mit den entsprechenden Erläuterungen des Managements und damit verbunden die Würdigung, ob die in der Planungsrechnung verarbeiteten Annahmen mit den strategischen Vorstellungen und beabsichtigten operativen Maßnahmen des Managements in Übereinstimmung stehen. Des Weiteren ist im Rahmen der internen Plausibilitätsprüfung eine Vergangenheits- und Lageanalyse des Unternehmens durchzuführen. Hierzu werden in der Vergangenheit erzielte Ist-Werte mit entsprechenden Plan-Werten für GuV- und Bilanzgrößen verglichen (Planungstreue).8

Im Rahmen der externen Plausibilitätsprüfung werden die der Planung zugrunde liegenden Annahmen der Markt- und Wettbewerbsanalyse für das Unternehmen auf Grundlage der zum Planungszeitpunkt vorherrschenden Rahmenbedingungen gegenübergestellt. Dabei soll die externe Plausibilitätsprüfung insb eine Analyse der Entwicklung der für das Unternehmen relevanten Absatz- und Beschaffungsmärkte sowie der Ist-Entwicklung und Prognosen wesentlicher Wettbewerber beinhalten.9

2.4. Reformüberlegungen des IDW im Hinblick auf die Planungsplausibilisierung als Vorbild für österreichische Wirtschaftsprüfer?

Sowohl der deutsche Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW als auch der österreichische Fachsenat für Betriebswirtschaft und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder erarbeiten seit Längerem aktuelle Neufassungen ihrer maßgeblichen Bewertungsstandards für Wirtschaftsprüfer. Im Hinblick auf mögliche Reformüberlegungen des IDW bei der Planungsplausibilisierung haben im letzten Jahr einzelne Mitglieder des FAUB die nachfolgende Tabelle 1 für Diskussionszwecke vorgestellt.10

Tabelle 1: Reformüberlegungen zum Umfang der Plausibilitätsbeurteilung von Planungsrechnungen des IDW

Die genauen Begrifflichkeiten sind laut den Referenten noch in der Diskussion. Sofern die in der Tabelle 1 dargestellten Reformüberlegungen umgesetzt würden, müssten deutsche Wirtschaftsprüfer in Zukunft im Hinblick auf den Umfang der Plausibilitätsbeurteilung danach unterscheiden, ob eine vollständige Plausibilitätsbeurteilung, eine ausreichende Plausibilitätsbeurteilung oder keine oder keine ausreichende Plausibilitätsbeurteilung erfolgen soll. Hinweise, nach welchen Kriterien eine Abgrenzung zwischen einer vollständigen Plausibilitätsbeurteilung und einer ausreichenden Plausibilitätsbeurteilung erfolgen soll, sind bislang nicht bekannt. Vermutlich wird hier als Ausgangspunkt der zuvor dargestellte Praxishinweis 2/2017 des IDW dienen. Wenn weder eine interne noch eine externe Plausibilitätsbeurteilung durch einen Wirtschaftsprüfer erfolgt, liegt vermutlich ein Fall einer Wertberechnung zugrunde.

Auf Basis internationaler Standards, wie bspw dem Standard der NACVA/EACVA, werden schon länger sog "calculated values" ermittelt, die dem Gedanken einer Wertermittlung ohne jegliche Plausibilisierungshandlungen entsprechen könnten.11 In Deutschland wie in Österreich wird seit vielen Jahren im Rahmen von Bewertungsleistungen die Ermittlung sog "indikativer Werte" sehr erfolgreich verkauft. Sofern die Reformüberlegungen des IDW so umgesetzt werden, bleibt abzuwarten, ob es in Zukunft für deutsche Wirtschaftsprüfer noch möglich sein wird, indikative Werte zu ermitteln. Bislang gibt es weder in einem Praxishinweis noch in dem maßgeblichen IDW S 1 "Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen" konkrete Vorgaben für deutsche Wirtschaftsprüfer, wie indikative Werte ermittelt werden sollen. Es lag in der Eigenverantwortung eines jeden Wirtschaftsprüfers, in Abstimmung mit dem Mandanten, den indikativen Wert so zu definieren, dass er den jeweils gewünschten Umfang der Plausibilisierungshandlungen umfasste. Im Gegensatz zu einer Planungsrechnung bei einer rechtsgeprägten Unternehmensbewertung, die stets auf einer plausiblen integrierten Planungsrechnung aufsetzt, können bei einer Wertberechnung bzw einer indikativen Bewertung auch vereinfachende Annahmen zugrunde liegen und Werte bspw anhand von Multiplikatoren ermittelt werden. Bei rechtsgeprägten Unternehmensbewertungen wird nach wie vor stets eine vollständige Planungsplausibilisierung erforderlich sein.

3. Plananpassungen zur Ableitung plausibler nachhaltiger Ergebnisse

Die zentrale Annahme zur Ableitung eines plausiblen nachhaltigen Ergebnisses besteht darin, dass sich das Unternehmen in einem sog eingeschwungenen Zustand befinden muss. Im eingeschwungenen Zustand wachsen alle Posten der Bilanz- und der Gewinn- und Verlustrechnung in Höhe des Wachstumsabschlags unendlich weiter. Sowohl der Praxishinweis des IDW 2/2017 als auch der österreichische Bewertungsstandard KFS/BW 1 fordern eine Verlängerung des Planungszeitraums am Ende des Detailplanungszeitraums der Unternehmensplanung durch eine Übergangsphase (Grobplanungsphase, Konvergenzphase), wenn am Ende der Detailplanungsphase noch kein eingeschwungener Gleichgewichtszustand vorliegt.12 Dies kann bspw der Fall sein, wenn Investitionszyklen noch nicht abgeschlossen sind; auch längerfristige Produktlebenszyklen, überdurchschnittliche Wachstumsraten bei den Umsatzerlösen oder EBITDA bzw EBIT, Steuer- oder andere Sondereffekte können eine Grobplanungsphase erfordern.

Die meisten Unternehmen befinden sich am Ende des Detailplanungszeitraums nicht in einem eingeschwungenen Zustand, sodass es inzwischen zur "state-of-the-Art" in der Bewertungspraxis geworden ist, den Detailplanungszeitraum durch eine Grobplanungsphase zu verlängern. Weimann/Jahn haben im Rahmen von empirischen Analysen die Häufigkeit der Nutzung von Konvergenzphasen bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen untersucht.13 Befindet sich das Unternehmen am Ende des Detailplanungszeitraums nicht in einem eingeschwungenen Zustand und versäumt es der Bewerter dann am Ende der Detailplanungsphase, den Planungshorizont um eine Grobplanungsphase zu verlängern, um sichtbar ein plausibles nachhaltiges Ergebnis abzuleiten, liegt unabhängig von ggf sonst plausiblen Bewertungsprämissen ein "harter" methodischer Fehler in der Unternehmensbewertung vor. Über die Wertbandbreiten plausibler Bewertungsannahmen beim Mengen- und Wertgerüst kann man in der Bewertungspraxis sicher streiten. Harte methodische Bewertungsfehler, wie das Nichtvorhandensein eines eingeschwungenen Zustands, führen jedoch unabhängig davon, ob der Unternehmenswert trotz dieses methodischen Fehlers noch in einer angemessenen Bandbreite liegt, zu einem Verwerfen des Unternehmenswertes. Eine Unternehmensbewertung sollte stets auf einer richtigen und belastbaren methodischen Vorgehensweise basieren. Hat eine Unternehmensbewertung methodische Fehler, sollten diese beseitigt werden. Dies gilt sowohl für rechtsgeprägte Unternehmensbewertungen als auch für andere Bewertungsanlässe.

4. Rechtsprechung zur Vertretbarkeit von Bewertungsannahmen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich im Zusammenhang mit seinem Beschluss über die Berücksichtigung eines Barwerts der Ausgleichszahlung als Abfindungsbetrag für einen Minderheitsaktionär bei einem bestehenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag auch zum Thema Vertretbarkeit geäußert.14 Der BGH stellt in seinem Beschluss fest, dass jede Wertermittlung mit zahlreichen Prognosen, Schätzungen und methodischen Einzelentscheidungen verbunden ist, die jeweils nicht auf Richtigkeit, sondern nur auf Vertretbarkeit gerichtlich überprüfbar sind, und keine Bewertungsmethode den Wert der Unternehmensbeteiligung exakt berechnen kann. Vielmehr kann jede Methode nur rechnerische Ergebnisse liefern, die Grundlage und Anhaltspunkt für die Schätzung des Gerichts nach § 287 Abs 1 ZPO bilden.

Das Oberlandesgericht München hat unter Bezugnahme auf weitere Beschlüsse festgestellt, dass die Planungsrechnungen der Gesellschaft im Spruchverfahren nur eingeschränkt nachprüfbar sind, denn sie sind das Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung der Gesellschaft verantwortlichen Personen.15 Diese Entscheidungen haben auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen aufzubauen; sie dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein. Genügt die Planung diesen Anforderungen, darf sie nicht durch andere - letztlich ebenfalls nur vertretbare - Annahmen des Gerichts ersetzt werden. Vorhandene Planungsrechnungen sind deshalb auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Fehlen Planungsrechnungen oder sind sie nicht plausibel, so sind sachgerechte Prognosen zu treffen oder Anpassungen vorzunehmen

Auch das Oberlandesgericht Zweibrücken bezieht sich auf das Vertretbarkeitsgebot von Bewertungsannahmen und nicht auf ein Richtigkeitsgebot.16 Sofern die Unternehmensplanung aufgrund zutreffender Informationen und Annahmen realistisch und plausibel ist, ist sie der weiteren Wertermittlung nach Auffassung des OLG Zweibrücken zugrunde zu legen.

Das Oberlandesgericht München stellt ergänzend hierzu fest, dass eine Bandbreite von Werten als "wahrer", "wirklicher" Wert der Beteiligung angesehen werden und eine höhere Kompensationsleistung erst dann angenommen werden kann, wenn eine gewisse Grenze überschritten ist, was jedoch nicht bedeutet, dass das Gericht nicht gehalten wäre, diejenige Berechnungsweise zugrunde zu legen, die dem "wahren", "wirklichen" Wert am nächsten kommt.17

Das Landgericht München I hat mit Bezugnahme auf andere Rechtsprechung in seinem Beschluss am 22. Juni 2022 bei einer Abweichung von 4,73 % von der angebotenen Barabfindung hierzu festgestellt:18

"Diese liegt um etwa 4,73 % über der von der Hauptversammlung festgelegten Abfindung von38,26 je Aktie. Dann aber ist eine Erhöhung nicht gerechtfertigt. Einen exakten, einzig richtigen Wert eines Unternehmens kann es unabhängig von der angewandten Bewertungsmethode nicht geben, weil jede in die Zukunft gerichtete Prognose naturgemäß gewisse Unsicherheiten bedingt, die auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes hinzunehmen sind. Solange die vorgenommene Bewertung nach ihrer Methodik und der zugrunde liegenden Prämissen wie hier mit dem Bewertungsziel in Einklang steht, muss eine gewisse Bandbreite von Werten als noch angemessen angesehen werden. Eine höhere Barabfindung kann erst dann angenommen werden, wenn eine gewisse Grenze überschritten ist. Wenn eine Abweichung des gesamten Unternehmenswertes, wie vorliegend unterhalb von 5 % liegt, lässt sich eine Unangemessenheit der von der Hauptversammlung festgesetzten Barabfindung nicht bejahen. "

Die Rechtsprechung überlässt es dabei regelmäßig den Sachverständigen im Spruchverfahren sowie den Abfindungsprüfern, wann Annahmen realistisch und plausibel sind und was dem "wahren" oder "wirklichen" Wert am nächsten kommt. Auf Basis der Gutachten und Prüfungsberichte findet dann eine Überprüfung im Spruchverfahren dahin gehend statt, ob eine angemessene Barabfindung vor dem Hintergrund der zuvor als plausibel oder unplausibel beurteilten Planungsrechnung angeboten wurde.

5. Zusammenfassung und Ausblick

Der Beitrag beschäftigt sich mit Planungsrechnungen bei rechtsgeprägten Unternehmensbewertungen. Im Hinblick auf die Plausibilität einer integrierten Planungsrechnung spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Bewertungsanlass im Zusammenhang mit einer rechtsgeprägten Unternehmensbewertung oder mit einen anderen Bewertungsanlass handelt. Die meisten Unternehmen befinden sich am Ende des Detailplanungszeitraums nicht in einem eingeschwungenen Zustand, sodass Plananpassungen durch eine Verlängerung des Detailplanungszeitraums um eine Grobplanungsphase inzwischen weit überwiegend zur Regel geworden sind. Der Grundsatz der Risikoäquivalenz besagt, dass die Prognose der finanziellen Cashflows ("Zähler") risikoäquivalent respektive konsistent zu den Kapitalkosten ("Nenner") im Bewertungskalkül behandelt werden müssen. Insofern sind plausible Planungsrechnungen der Ausgangspunkt für plausible Unternehmenswerte.

Der generelle Beurteilungsmaßstab im Hinblick auf die Plausibilität und Vertretbarkeit von Bewertungsannahmen gilt sowohl für den Zähler als auch für den Nenner im Bewertungskalkül. Eine Annahme ist der Höhe nach als vertretbar zu beurteilen, wenn sich der betrachtete Parameterwert innerhalb einer üblichen bzw intersubjektiv nachvollziehbaren Bandbreite von möglichen Parameterwerten bewegt. Abhängig von den konkret zu analysierenden Annahmen kann sich diese Bandbreite etwa aus der Anwendung verschiedener, jeweils sachgerechter Methoden ergeben und enger oder weiter gefasst sein. Sofern der betrachtete Parameterwert außerhalb dieser Bandbreite liegt, ist die Annahme nicht mehr als vertretbar anzusehen. Sowohl für Sachverständige im Spruchverfahren und Abfindungsprüfer als auch für alle anderen Bewertungsprofessionals gilt es demnach Bandbreiten vertretbarer Werte festzulegen und diese Bewertungsannahmen offenzulegen. Bislang ist die Offenlegung von Wertbandbreiten eher in einem Spruchverfahren anzutreffen als in Bewertungsgutachten und Prüfungsberichten. Erst durch die Offenlegung der Bandbreiten wird intersubjektiv nachprüfbar, ob ein Wert sich am oberen oder unteren Rand einer Bandbreite befindet. Naheliegend wird in den meisten Fällen der Mittelwert der Bandbreite als sachgerechte und plausible Annahme anzusehen sein. Befindet sich ein Wert am oberen oder unteren Rand einer Bandbreite und werden diese Ränder möglicher Bandbreiten einseitig ausgeübt, können kumulative Effekte zu einer unangemessenen Barabfindung bzw zu einem unplausiblen Unternehmenswert führen. Insofern konkretisiert und quantifiziert der hier dargestellte generelle Beurteilungsmaßstab zur Plausibilität einer Annahme das Kriterium der Vertretbarkeit.

Der IDW-Praxishinweis 2/2017 liefert ein sehr gutes Schema zur Beurteilung der Plausibilität von Planungsrechnungen. Er konkretisiert die Pflichten von deutschen Wirtschaftsprüfern im Zusammenhang mit der Analyse von Planungsrechnungen. Es dürfte unstrittig sein, dass auf Basis der Reformüberlegungen zum IDW S 1 nur dann von einer vollumfänglichen Planungsplausibilisierung gesprochen werden kann, wenn sowohl die interne als auch die externe Plausibilität im Rahmen der Unternehmensanalyse untersucht wurde. Es bleibt abzuwarten, nach welchen Kriterien die Abgrenzung dahin gehend erfolgt, ob eine ausreichende oder keine ausreichende Plausibilitätsbeurteilung erfolgt. Insb wird die Frage zu beantworten sein, ob deutsche Wirtschaftsprüfer nach Einführung der dreigeteilten Plausibilitätsbeurteilungen ihren Mandanten noch indikative Bewertungen anbieten können. Denn der Begriff der indikativen Bewertung ist bislang nicht vom IDW definiert worden. Vielleicht erfolgt jedoch in der vermutlich in diesem Jahr zu veröffentlichenden Entwurfsfassung des IDW S 1 eine Klarstellung dahin gehend, dass es sich bei einer Wertberechnung um einen indikativen Wert handelt. Das wäre zumindest dann naheliegend.

1

Vgl Creutzmann, Bewertungsprojekte effektiv und effizient managen, BewertungsPraktiker Januar-März 2008, 24-27-


2

Vgl BGH, Beschluss v 31. 1. 2017 - Az II ZR 285/15BGH, ZIP 2017, 469; BGH, Beschluss v 12. 1. 2016 - Az II ZB 25/14, AG 2016, 359 Rz 21 mwN.; OLG Frankfurt am Main, Beschluss v 26. 1. 2017 - Az 21 W 75/15; OLG Frankfurt am Main, Beschluss v 17. 1. 2017 - Az 21 W 37/12, ZIP 2017, 974; OLG Frankfurt am Main, Beschluss v 20. 7. 2016 - Az 21 W 21/14, BB BBL2017-1585-6; OLG Karlsruhe, Beschluss v 12. 9. 2017 - Az 12 W 1/17, NZG 2017, 1188; BayObLG, Beschluss v 19. 10. 1995 - Az 3Z BR 17/90, AG 1996, 127.


3

Vgl Stephan in Schmidt/Luther (Hrsg), AktG3 § 305 Rz 65; Ruiz de Vargas in Bürgers/Körber (Hrsg), Aktiengesetz4 Anh § 305 Rn 7a.


4

Vgl IDW, IDW Life 3/2017, Praxishinweis 2/2017: Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierungen, Due Diligence und Fairness Opinion 345.


5

Die nachfolgenden Ausführungen gehen auf den Beitrag von Creutzmann, Plausibilität und Vertretbarkeit von Annahmen bei Unternehmensbewertungen, BewertungsPraktiker 1/2021, 12-14, zurück.


6

Vgl IDW, IDW Life 3/2017, Praxishinweis 2/2017: Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierungen, Due Diligence und Fairness Opinion 345.


7

Vgl IDW, Praxishinweis 2/2017 Tz 16, 345.


8

Vgl IDW, Praxishinweis 2/2017 Tz 17, 28, 32.


9

Vgl IDW, Praxishinweis 2/2017 Tz 17, 28, 32.


10

Quelle: Vortrag von Dr. Sven Schieszl (Ernst & Young) zum Thema "Aktuelle Entwicklungen bei der Unternehmensbewertung von Wirtschaftsprüfern" am 30. 11. 2023 in Berlin auf der 16. Jahreskonferenz der EACVA.


11

Vgl NACVA Professional Standards vom 1. 6. 2023, https://www.nacva.com/Files/NACVA_Professional_Standards_Effective_06-01-23.pdf (abgerufen am 6. 1. 2024).


12

Vgl IDW, Praxishinweis 2/2017 Tz 55, sowie KFS/BW 1l Tz 61.


13

Weimann/Jahn, Strukturmaßnahmen: Empirische Daten zu Bewertungsmethoden, Börsenwert, Phasenmodellen und Sonderwerten, BewP 04/2023, 98-107.



15

Vgl OLG München Beschluss v 14. 7. 2009, 31 Wx 121/06 openJur 2012, 102099.


16

Vgl OLG Zweibrücken Beschluss v 2. 7. 2020, 9 W 1/17 AG 1/2021, 33.


17

Vgl OLG München Beschluss v 3. 12. 2020, 31 Wx 330/16, https://openjur.de/u/2309777.html.


18

Vgl LG München I 22. 6. 2022, 5 HKO 16226/08, S 326 (Tz 665, abgerufen am 5. 11. 2023: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2022-N-18492?hl=true.


Artikel-Nr.
RWZ digital exklusiv 2024/33

01.03.2024
Autor/in
Andreas Creutzmann

Andreas Creutzmann ist ein auf Unternehmensbewertungen spezialisierter Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Certified Valuation Analyst (CVA). Er ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der EACVA sowie der IVA VALUATION & ADVISORY AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sowie Unternehmer, Buchautor und Redner. Nähere Informationen unter www.creutzmann.eu.