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6. Urlaubswoche – Vordienstzeiten bei anderen Arbeitgebern

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

UrlG: § 2, § 3

AEUV: Art 45

VO (EU) 492/2011: Art 7

Der OGH sieht zwar keine mittelbare Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern oder Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die nationalen Regelungen, wonach für den erhöhten Urlaubsanspruch von 6 Wochen (nach insg 25 Dienstjahren) Dienstzeiten bei anderen (in- oder ausländischen) Arbeitgebern nur im Höchstausmaß von insgesamt 5 Jahren angerechnet werden (§ 3 Abs 2 Z 1 iVm § 3 Abs 3 und § 2 Abs 1 UrlG). Selbst bei Bejahung einer mittelbaren Ungleichbehandlung und/oder einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit scheint die Beschränkung der Anrechnung der Vordienstzeiten bei „anderen“ Arbeitgebern außerdem zulässig und auch angemessen zu sein, weil sie geeignet ist, das beschäftigungspolitische Ziel der Bindung an den Arbeitgeber, dh die Treue eines Arbeitnehmers gegenüber einem bestimmten Arbeitgeber, zu honorieren.

Dennoch richtet der OGH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Frage, ob das europarechtliche Diskriminierungsverbot für Wanderarbeitnehmer den besagten Bestimmungen des österreichischen Urlaubsrechts entgegensteht.

OGH 29. 6. 2017, 8 ObA 33/17m

Ausgangsfall

Im vorliegenden Feststellungsverfahren gemäß § 54 Abs 1 ASGG argumentiert der klagende Betriebsrat ua damit, dass durch die beschränkte Anrechnung von Vordienstzeiten bei anderen Arbeitgebern Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt würden. Die Belohnung nach dem UrlG erfolge deshalb, damit von der Freizügigkeit nicht Gebrauch gemacht werde.

Das ErstG wies das Feststellungsbegehren ab. Das BerufungsG bestätigte diese Entscheidung. Der OGH leitete nun ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH ein. Er führt dazu zusammengefasst Folgendes aus:

1. Vorabentscheidungsersuchen

Der OGH ersucht den EuGH um Klärung der Frage, ob Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der VO 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung (wie hier § 3 Abs 2 Z 1 iVm § 3 Abs 3 und § 2 Abs 1 UrlG) entgegenstehen, wonach einem Arbeitnehmer, der insgesamt 25 Dienstjahre aufweist, diese aber nicht beim selben österreichischen Arbeitgeber absolviert hat, ein Jahresurlaub nur im Ausmaß von fünf Wochen gebührt, während einem Arbeitnehmer, der 25 Dienstjahre beim selben österreichischen Arbeitgeber erbracht hat, ein Anspruch auf sechs Wochen Urlaub pro Jahr zusteht.

2. Keine Diskriminierung

Zunächst hält der OGH fest, dass jedenfalls keine unmittelbare Ungleichbehandlung vorliegt: Zwar werden nach dem Wortlaut des § 3 Abs 2 Z 1 UrlG Vordienstzeiten bei einem „anderen“ Arbeitgeber nur dann berücksichtigt, wenn sie „im Inland“ zugebracht wurden. Dieser Wortlaut wird jedoch durch die Rsp korrigiert: Nach unzweifelhafter Ansicht des OGH und einhelliger Literaturmeinung (siehe ua Reissner in Zeller Kommentar2 § 3 UrlG Rz 14) sind Vordienstzeiten bei anderen inländischen und ausländischen Arbeitgebern gleich zu behandeln und daher auch ausländische Vordienstzeiten im Ausmaß von insgesamt höchstens 5 Jahren anzurechnen.

Auch eine etwaige mittelbare Diskriminierung verneint der OGH: Die Bejahung einer mittelbaren Ungleichbehandlung würde die Annahme voraussetzen, dass inländische Arbeitnehmer signifikant häufiger beim selben Arbeitgeber bleiben und daher weniger häufig von der Anrechnungsbeschränkung nach § 3 Abs 2 Z 1 iVm Abs 3 UrlG betroffen sind als Wanderarbeitnehmer. Nur in diesem Fall wäre die Gruppe der Wanderarbeitnehmer von der Anrechnungsbeschränkung in besonderer Weise betroffen und benachteiligt. Eine gerichtsnotorische Tatsache, dass Inländer in einer relevanten Anzahl von Fällen ihren Arbeitsplatz über 25 Jahre hindurch nicht wechseln und daher eher als EU-Ausländer in den Genuss der sechsten Urlaubswoche gelangen, besteht nicht. Vielmehr wechseln auch inländische Arbeitnehmer häufig ihren Arbeitsplatz.

3. Keine Beschränkung der AN-Freizügigkeit

Art 45 AEUV enthält allerdings auch ein allgemeines Beschränkungsverbot. Danach sind nationale Regelungen verboten, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigen. Verboten ist jede Maßnahme, die geeignet ist, den Zugang zum Arbeitsmarkt in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.

Dass im Anlassfall dieser Beschränkungstatbestand erfüllt wäre, hält der OGH für fraglich:

Dazu wäre vorausgesetzt, dass ein Wanderarbeitnehmer deshalb von einem Arbeitsplatzwechsel nach Österreich absieht, weil seine bisherige ausländische Dienstzeit nicht zur Gänze auf das Urlaubsausmaß angerechnet wird. Dies scheint schon deshalb ausgeschlossen, weil der jährliche Urlaubsanspruch in Österreich auch ohne derartige gänzliche Anrechnung der Vordienstzeiten in jedem Fall fünf Wochen pro Jahr beträgt und daher über dem europäischen Mindesturlaub gem der RL 2003/88/EG liegt.

Davon abgesehen liegt das Ereignis, das die zusätzliche sechste Urlaubswoche entstehen lässt, nämlich die Vollendung von 25 Dienstjahren, idR noch in weiter Ferne und wird die aktuelle Berufsentscheidung in aller Regel nicht beeinflussen.

Die österreichische Regelung über die Beschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten wirkt daher nach Auffassung des OGH zu indirekt, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigen zu können (vgl EuGH 21. 1. 2000, C-190/98, Graf, ARD 5095/1/2000).

Auch wenn man bedenkt, dass vom Beschränkungsverbot nach der Rsp des EuGH auch Heimkehrer erfasst sind (also österr. Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz in Österreich aufgeben, ins EU-Ausland wechseln und später uU wieder nach Österreich zurückzukehren), erscheint dem OGH die Auswirkung der österr. Urlaubsregelung für einen potenziellen Heimkehrer nicht nur nicht aktuell, sondern auch ungewiss. Auch in diesem Zusammenhang wirkt die in Rede stehende Regel daher ebenfalls zu indirekt, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Österreich verlassen und später wieder zurückkehren wollen, beeinträchtigen zu können.

4. Rechtfertigung

Nach Ansicht des OGH mangelt es im Anlassfall damit schon an der Tatbestandsmäßigkeit einer mittelbaren Ungleichbehandlung sowie einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Selbst bei Bejahung einer mittelbaren Ungleichbehandlung und/oder einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit wäre die Beschränkung der Anrechnung der Vordienstzeiten bei „anderen“ Arbeitgebern aber zulässig, wenn sie objektiv gerechtfertigt ist. Diesbezüglich steht den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern nach der Rsp des EuGH bei der Festlegung sozial- und beschäftigungspolitischer Schutzziele und der für ihre Erreichung geeigneten Maßnahmen ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl EuGH 5. 12. 2013, C-514/12, SALK, ARD 6387/13/2014, oder OGH 13. 9. 2012, 8 ObA 20/12t, ARD 6282/4/2012).

In dieser Hinsicht vertritt der OGH die Auffassung, dass die volle Anrechnung der Vordienstzeiten für die Bemessung des Urlaubsausmaßes nur hinsichtlich jener Dienstzeiten, die bei ein und demselben Arbeitgeber erbracht wurden, eine Belohnung für die Betriebstreue und damit eine Treueprämie darstellt, mit der ausschließlich die Arbeitnehmer belohnt werden sollen, die ihre langjährige Laufbahn beim selben Arbeitgeber absolvieren. Dazu hat der EuGH bereits anerkannt, dass das beschäftigungspolitische Ziel der Bindung an den Arbeitgeber ein legitimes Schutzziel bzw ein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses darstellt (vgl EuGH 10. 3. 2005, C-178/04, Marhold, ARD 5605/6/2005).

Eine Anrechnung aller Vordienstzeiten bei sämtlichen Arbeitgebern würde außerdem nach Ansicht des OGH dem besonders gewichtigen beschäftigungspolitischen Ziel entgegenstehen, wonach älteren Arbeitnehmern die Eingliederung in den Arbeitsprozess ermöglicht werden soll.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23899 vom 19.07.2017