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Abgabenverfahren: keine Wiederaufnahme nach Verjährung verfassungswidrig?

Bearbeiter: Barbara Tuma

BAO § 304

Der VfGH hat beschlossen, § 304 BAO idgF BGBl I 2013/14 von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen: Danach ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach Eintritt der Verjährung „nur zulässig, wenn der Wiederaufnahmsantrag vor Eintritt der Verjährung eingebracht ist.“

Der VfGH hält es nun zwar für unbedenklich, wenn der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit die Möglichkeit für einen Wiederaufnahmeantrag beschränkt. Der Gesetzgeber hat dabei allerdings dem Sachlichkeitsgebot zu entsprechen und der VfGH hält in diesem Zusammenhang das Anknüpfen an eine Verjährungsfrist von grundsätzlich drei bzw fünf Jahren (§ 207 Abs 2 BAO) vorläufig für unsachlich, zumal die Möglichkeit einer Wiederaufnahme bei Ergreifung eines Rechtsmittels in vielen Fällen faktisch ausgeschlossen sein dürfte.

VfGH 28. 6. 2017, E 250/2017

Prüfungsbeschluss

Verfassungswidrigkeit der Vorgängerversionen

Die geltende Fassung des § 304 BAO entspricht inhaltlich der Stammfassung des § 304 BAO, die der VfGH bereits mit Erkenntnis VfGH 22. 6. 1992, G 3/92, ARD 4408/31/92, VfSlg 13.114/1992, als verfassungswidrig aufgehoben hat. Danach wäre zwar das Ziel verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, zu verhindern, dass nach Bewilligung einer Wiederaufnahme des Verfahrens eine Abgabe wegen Verjährung des Anspruchs nicht mehr festgesetzt werden kann; die Regelung schoss über dieses Ziel jedoch hinaus: Anstatt der Behörde bloß die neuerliche Festsetzung der Abgabe bis zum ursprünglichen Ausmaß zu ermöglichen, schloss sie nämlich die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag der Partei schon nach Ablauf von einem, drei oder fünf Jahren nach Erlassung des Bescheides überhaupt aus. Für eine derartige Einschränkung des Rechts, Wiederaufnahme des Verfahrens zu begehren, sah der VfGH damals keine sachliche Begründung.

Unter Verweis auf dieses Erkenntnis hob der VfGH auch § 304 BAO idF BGBl 1993/12 auf (VfGH 16. 6. 1994, G 97/94, ARD 4581/51/94, VfSlg 13.778/1994; wobei die damalige Fassung dem VfGH nicht nur untauglich zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit der Stammfassung erschien, sondern der bereits festgestellten Verfassungswidrigkeit eine neue hinzufügte).

Gleiche Bedenken gegen geltende Fassung

Der VfGH geht vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung im Wesentlichen jenen Bestimmungen entspricht, die der VfGH mit den Erkenntnissen VfSlg 13.114/1992 und VfSlg 13.778/1994 als verfassungswidrig aufgehoben hat, und dass damit die in diesen Erkenntnissen genannten Bedenken in gleicher Weise auf die nun in Prüfung gezogene Bestimmung zutreffen.

Außerdem geht der VfGH - anders als das BMF - vorläufig davon aus, dass die Aufhebung der Vorgängerbestimmungen nicht (nur) deshalb erfolgte, weil damit eine Besserstellung der amtswegigen Wiederaufnahme gegenüber der Verfügung der Wiederaufnahme auf Antrag erfolgte, sondern (auch) weil diese Regelungen unsachlich waren. Insofern dürfte die bloße Harmonisierung der Beschränkungen der amtswegigen und der auf Antrag erfolgenden Wiederaufnahme - wie sie der Gesetzgeber mit der Schaffung der geltenden Fassung des § 304 BAO angestrebt hat (vgl ErlRV 2007 BlgNR 24. GP, 22) - die Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen, die mit den Erkenntnissen VfSlg 13.114/1992 und VfSlg 13.778/1994 festgestellt wurde.

Nach Auffassung des VfGH ist es zwar unbedenklich, wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit für einen Wiederaufnahmeantrag aus Gründen der Rechtssicherheit beschränkt. Der Gesetzgeber hat dabei allerdings eine dem Sachlichkeitsgebot entsprechende Regelung im Hinblick auf die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags zu treffen. In diesem Zusammenhang dürfte sich das Anknüpfen an eine Verjährungsfrist von grundsätzlich drei bzw fünf Jahren (§ 207 Abs 2 BAO) als unsachlich erweisen, zumal die Möglichkeit einer Wiederaufnahme bei Ergreifung eines Rechtsmittels in vielen Fällen faktisch ausgeschlossen sein dürfte.

Der VfGH hat daher beschlossen, § 304 BAO, BGBl 1961/194 idF BGBl I 2013/14, von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23833 vom 06.07.2017