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AG: Abgehen vom Vollausschüttungsgebot - Anfechtung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB § 1295 Abs 2

AktG: § 104, § 195, § 196

1. Die Hauptversammlung kann nur über die Verwendung des Bilanzgewinns beschließen, der im Jahresabschluss aufscheint; die Höhe des zu verwendenden Betrags kann sie also grundsätzlich nicht beeinflussen. Die Gewinnausschüttung an die Aktionäre ganz oder teilweise unterbinden darf die Hauptversammlung nur auf satzungsmäßiger Grundlage, die allerdings unter Umständen in der bloßen Ermächtigung der Hauptversammlung zur „freien Verfügung“ über den Bilanzgewinn bestehen kann. Ohne satzungsmäßige Grundlage für einen gänzlichen oder teilweisen Ausschluss des Bilanzgewinns von der Verteilung ist auch ein Gewinnvortrag auf neue Rechnung unzulässig.

Gewinnverwendungsvorschriften müssen - wie grundsätzlich alle korporativen Satzungsbestimmungen - deutlich formuliert sein. Die Formulierung der vorliegenden Satzung, wonach die Hauptversammlung über die „Verwendung“ des Bilanzgewinns entscheidet, wiederholt nur die gesetzliche Kompetenzverteilung und stellt keine ausreichende Grundlage für den Vortrag des Bilanzgewinns dar - auch wenn dies bisher stets anders gehandhabt wurde. Auch eine personalistische Strukturierung (ca 95 % der Aktien befinden sich im Besitz zweier Familien), vermag am Gebot der objektiven Auslegung nichts zu ändern.

2. Auch ein „(Zwerg-)Aktionär“ handelt nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er (hier mittels Anfechtungsklage) wegen seines minimalen Gewinnanteils von ca 7 € die Gesellschaft zur Ausschüttung des Gesamtgewinns von ca 10 Mio € zwingen will. Im Regelfall muss kein Aktionär seine Ausschüttungsinteressen dem Gesellschaftsinteresse unterordnen. Das Gesetz beschränkt die Förderpflicht des Aktionärs auf die Leistung der Einlage und gegebenenfalls auf die Erbringung satzungsmäßig festgelegter Nebenleistungen. Eine Pflicht des Aktionärs zu weiteren treuepflichtbedingten Vermögensopfern besteht nicht.

OGH 24. 10. 2016, 6 Ob 169/16w

Sachverhalt

Die Satzung der beklagten „Familien-AG“ lautet: „Die Hauptversammlung beschließt alljährlich [...] über die Verwendung des Bilanzgewinns [...].“ Die Hauptversammlung beschloss, nur einen Teil des Gewinns (ca 1 Mio €) auszuschütten.

Dagegen erhob der Kl, ein Verein und Aktionär der „Familien-AG“, rechtzeitig Widerspruch. Mit seiner Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses begehrt er die Nichtigerklärung dieses Beschlusses und die Feststellung des Beschlusses der Vollausschüttung des gesamten ausgewiesenen Bilanzgewinns (ca 10,2 Mio €). Der angefochtene Beschluss würde gegen das gesetzliche Gebot verstoßen, den Bilanzgewinn vollständig an die Aktionäre auszuschütten, weil die Satzung keine dahin gehende Ermächtigung enthalte.

Das ErstG wies das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung ab, es sei schikanös und rechtsmissbräuchlich, wegen eines Interesses in Höhe von bloß 7,42 € die Bekl zur Ausschüttung eines Betrags von 10,2 Mio € zu zwingen. Eine positive Feststellungsklage sei für das Begehren des Kl unzulässig.

Das BerufungsG gab der Beschlussanfechtungsklage statt und wies das Begehren auf Feststellung eines Beschlusses über die Vollausschüttung ab.

Der OGH gab den dagegen erhobenen Revisionen nicht Folge.

Entscheidung

Kein Rechtsmissbrauch

Die Anfechtungsklage trotz minimalen Gewinnanteils erachtete der OGH als nicht rechtsmissbräuchlich (siehe Leitsatz) und hielt weiters fest, dass - über das Verbot des Rechtsmissbrauchs hinaus - die Treuepflicht des Aktionärs auch nicht die Verpflichtung begründet, von einer Anfechtungsklage wegen entgegenstehender Gesellschaftsinteressen Abstand zu nehmen. Treuwidrig würde ein Aktionär dann handeln, wenn er die Rücknahme der Klage gegen Gewährung nicht gerechtfertigter Sondervorteile in Aussicht stelle. Dies war hier jedoch nicht der Fall.

Auch der Umstand, dass der Kl (hier: ein Verein) möglicherweise wiederholt Anfechtungsklagen einbringt und sich dabei Unternehmen mit „problematischen“ Satzungsbestimmungen als „Ziele“ aussucht, ist nach Ansicht des OGH für sich genommen nicht sittenwidrig und vom Vereinszweck der kl P gedeckt. Es läge an der bekl AG, ihre Satzung an die geltende Rechtslage anzupassen, zumal seit der E OGH 3 Ob 59/07h (= RdW 2008/32) über die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Ermächtigung der Hauptversammlung zu einem Gewinnvortrag in der Satzung kein Zweifel bestehen konnte und die Lit in neuerer Zeit auf das Erfordernis einer diesbezüglichen Änderung bestehender Satzungen hingewiesen hat (vgl Brix, GesRZ 2015, 123 [124]).

Keine „positive Beschlussfeststellungsklage“

Als unzulässig beurteilte der OGH hingegen die „positive Beschlussfeststellungsklage“. Der Kl steht auf dem Standpunkt, ohne die begehrte Feststellung entstünde ein Rechtsschutzdefizit, weil es dann die Mehrheit der Aktionäre in der Hand hätte, in bewusster Verletzung zwingender Bestimmungen des AktG den rechtlich gebotenen Beschluss dauerhaft zu verhindern.

Dem folgte der OGH nicht:

Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Frage, welcher Beschluss zustandegekommen ist, sondern darum, ob der Beschluss, den Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, einer inhaltlichen Prüfung standhält. Selbst, wenn man diesbezüglich zu dem Ergebnis kommt, dass die Anfechtungsklage berechtigt ist, bedeutet dies noch nicht, dass damit automatisch ein gegenteiliger Beschluss auf Vollausschüttung gefasst worden wäre, weil es dann etwa auch möglich gewesen wäre, die Satzung in der Hauptversammlung zu ändern und so die Möglichkeit eines Vortrags des Bilanzgewinns auf neue Rechnung ausdrücklich zu schaffen (vgl Gruber in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 104 Rz 46).

Auch in der dt Lit wird der Fall einer „positiven Beschlussfeststellungsklage“ lediglich für den Fall erwähnt, einen tatsächlich getroffenen Beschluss feststellen zu lassen, etwa wenn Stimmrechtsausschlüsse nicht beachtet wurden oder sich Zählfehler ereignet haben (Englisch in Hölters, AktG2 § 246 Rz 65 f; Koch in Hüffer/Koch, AktG12 § 246 Rz 42; Dörr in Spindler/Stilz, AktG3 § 246 Rz 57 ff).

Konsequenz einer erfolgreichen Anfechtung wie im vorliegenden Fall ist daher nur, dass die Hauptversammlung erneut über die Gewinnverwendung zu beschließen hat. Das vom Kl behauptete Rechtsschutzdefizit liegt nach Ansicht des OGH nicht vor, zumal nicht feststeht, dass die anderen Aktionäre selbst im Fall der Stattgebung der Anfechtungsklage beharrlich eine Vollausschüttung des Gewinns verweigern würden.

Außerdem hält der OGH - zumindest für die hier zu beurteilende Konstellation einer „Familien-AG“ - eine Leistungsklage gegen andere Gesellschafter auf Zustimmung zu einem Beschluss auf Vollausschüttung für einen nicht unzumutbaren Weg für den Kl. In dieser Konstellation kämen die von Diregger (in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 195 Rz 36) geäußerten praktischen Bedenken gegen eine Leistungsklage auf eine bestimmte Stimmabgabe nicht zum Tragen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22771 vom 13.12.2016