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„Altersfeststellung“ eines Asylwerbers

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AsylG 2005 § 2

BFA-VG: § 10, § 13

Auch im Anwendungsbereich des AsylG 2005 und des BFA-VG (idF des FrÄG 2015) handelt es sich bei jenen Verfahrensschritten, die der Feststellung des Geburtsdatums eines Asylwerbers dienen, um einen Teil des Ermittlungsverfahrens. Das Ermittlungsverfahren dient der Feststellung des für die Entscheidung insgesamt maßgeblichen Sachverhalts und die entsprechenden – fallbezogen entscheidungswesentlichen – Feststellungen sind in die Begründung der abschließenden Entscheidung aufzunehmen; dazu gehört auch die Frage der Minderjährigkeit oder Volljährigkeit des Asylwerbers, weil seine Prozessfähigkeit (weiterhin) auch in nach dem BFA-VG zu führenden Verfahren als Vorfrage zu beurteilen ist. Dadurch entsteht für den Asylwerber kein Rechtsverlust, weil er die verfahrensabschließende Entscheidung bekämpfen und dabei geltend machen kann, dass er entgegen dem Gesetz als volljährig beurteilt worden sei und infolgedessen die für minderjährige Asylwerber anwendbaren Verfahrensvorschriften missachtet worden seien.

VwGH 25. 2. 2016, Ra 2016/19/0007

Entscheidung

Altersdiagnostik

Hinsichtlich der Altersdiagnostik verweist der VwGH auf das Erkenntnis VwGH 25. 2. 2015, Ra 2014/20/0045, zu § 13 Abs 3 BFA-VG:

Danach können die Asylbehörden die Durchführung einer multifaktoriellen Untersuchungsmethodik zur Altersdiagnose anordnen, wenn die behauptete Minderjährigkeit aufgrund der bisher vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zweifelhaft ist und es dem Antragsteller nicht gelingt, seine Minderjährigkeit nachzuweisen. Weder § 13 Abs 3 BFA-VG noch den Erläuterungen zur inhaltsgleichen Vorläuferbestimmung des § 15 Abs 1 Z 6 AsylG 2005 idF BGBl I 2009/122 ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass eine multifaktoriellen Altersdiagnose bei Behauptung der Minderjährigkeit des Antragstellers jedenfalls zu erfolgen habe (arg: „kann“). Die multifaktorielle Altersdiagnose soll daher nur dann angeordnet werden, wenn weder aus den bisher vorliegenden Ermittlungsergebnissen hinreichend gesicherte Aussagen zur Volljährigkeit bzw Minderjährigkeit des Antragstellers gezogen werden können, noch der Antragsteller seine behauptete Minderjährigkeit durch geeignete Bescheinigungsmittel nachweisen kann.

Liegen jedoch Ermittlungsergebnisse vor, die die Annahme der Volljährigkeit des Antragstellers bei Asylantragstellung rechtfertigen, so ist weder verpflichtend von Amts wegen eine multifaktorielle Altersdiagnose anzuordnen noch kommt die Zweifelsregel zugunsten Minderjähriger zur Anwendung.

Ermittlungsverfahren

Der genannten Entscheidung lag die Anfechtung einer das Verfahren abschließenden Erledigung zugrunde und der VwGH musste sich nicht ausdrücklich mit der Frage befassen, in welcher Form das Ergebnis der behördlichen Ermittlungen dem Asylwerber zur Kenntnis zu bringen ist. Dennoch ist dieser Entscheidung nach Ansicht des VwGH zu entnehmen, dass jene Verfahrensschritte, die zur Eruierung des tatsächlichen Lebensalters dienen sollen, als Teil des gesamten Ermittlungsverfahrens zur Feststellung des für die Entscheidung insgesamt maßgeblichen Sachverhalts anzusehen sind. Gerade nicht ausgesprochen wurde in jener Entscheidung hingegen, dass die Beurteilung der Frage Minder- oder Volljährigkeit – die unweigerlich Auswirkungen auf die Prozessfähigkeit hat –, einem separaten (Zwischen-)Verfahren vorbehalten wäre (und demgemäß zur Rechtswidrigkeit der dort angefochtenen verfahrensabschließenden Entscheidung hätte führen müssen).

Dies steht nach Auffassung des VwGH auch im Einklang mit der bisherigen Rsp zu „Altersfeststellungen“ im Rahmen von Asylverfahren.

Der VwGH geht daher für die hier anzuwendende Rechtslage des AsylG 2005 und des BFA-VG (idF des FrÄG 2015) in Ermangelung einer maßgeblichen inhaltlichen Änderung der relevanten Vorschriften auch weiterhin davon aus, dass es sich bei jenen Verfahrensschritten, die der Feststellung des Geburtsdatums eines Asylwerbers dienen, um einen Teil des Ermittlungsverfahrens handelt; dieses hat – falls fallbezogen entscheidungswesentlich – zu entsprechenden Feststellungen des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalts zu führen, die in die Begründung der abschließenden Entscheidung aufzunehmen sind. Die Frage der Prozessfähigkeit ist (weiterhin) auch in nach dem BFA-VG zu führenden Verfahren als Vorfrage zu beurteilen.

Kein Rechtsschutzdefizit

Eine andere Sicht ist nach Auffassung des VwGH – wie schon bisher – auch aus (Rechtschutz-)Überlegungen nicht geboten. Da der Bf die verfahrensabschließenden Entscheidung bekämpfen kann, verneint der VwGH einen Rechtsverlust des Bf und hegt auch – unter Bedachtnahme auf die Rsp des VfGH zum AsylG 2005 idF vor dem FNG, die aber insoweit auf die nunmehrigen Rechtslage übertragbar ist (vgl VfGH 3. 3. 2014, U 2416/2013) – gegen die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem BFA-VG und dem AsylG 2005 keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Auch nach dem Unionsrecht sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, zur Beurteilung, ob ein Antragsteller ein solcher mit besonderen Bedürfnissen ist – worunter auch ein minderjähriger Asylwerber zu zählen ist – ein (separates) Verwaltungsverfahren einzurichten (Art 22 Abs 2 RL 2013/33/EU).

Kein „Minderjährigkeitsgrundsatz“

Der Bf hatte die Ansicht vertreten, allein bereits aufgrund seiner Behauptungen, er sei minderjährig, seien diverse für minderjährige Asylwerber geschaffene Verfahrensbestimmungen solange auf ihn anzuwenden, als seine Volljährigkeit nicht rechtskräftig festgestellt sei.

Diese Prämisse trifft nach Ansicht des VwGH nicht zu: Es existiert keine gesetzliche Vorschrift, die solches für Verfahren nach dem AsylG 2005 anordnen würde, und auch § 13 Abs 3 BFA-VG kann eine solche Bedeutung nicht beigemessen werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21366 vom 31.03.2016