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Anfechtbarkeit der Kündigung eines für die Behaltezeit abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

BAG: § 18 Abs 1

ArbVG: §§ 105 ff

Der Lehrberechtigte ist nach § 18 Abs 1 BAG verpflichtet, den Lehrling, dessen Lehrverhältnis mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit endet oder der die Lehrabschlussprüfung erfolgreich ablegt, im Betrieb 3 Monate – bzw falls der Kollektivvertrag eine längere Behaltefrist vorsieht auch länger – im erlernten Beruf weiter zu beschäftigen. Wurde der Behaltepflicht durch Abschluss eines neuen unbefristeten Arbeitsverhältnisses entsprochen, kann dieses vom Arbeitgeber durch Kündigung aufgelöst werden, wobei die entsprechenden gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen über Kündigungsfristen und -termine einzuhalten sind. Dieses Dienstverhältnis unterliegt auch den Bestimmungen über den allgemeinen Kündigungsschutz nach §§ 105 ff ArbVG.

OGH 24. 6. 2021, 9 ObA 48/21f

Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Das Lehrverhältnis des Klägers endete am 5. 10. 2019 mit dem Abschluss der Lehre. Danach wurde er vom beklagten Unternehmen in ein unbefristetes Dienstverhältnis übernommen. Mit Schreiben vom 6. 3. 2020 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 5. 4. 2020 auf.

Der Kläger ficht die Kündigung wegen eines verpönten Motivs iSd § 105 Abs 3 Z 3 lit i ArbVG an. Das Erstgericht wies das Klagebegehren (ohne Feststellungen zum behaupteten Kündigungsmotiv zu treffen) ab, weil eine Kündigungsanfechtung im Sinne des ArbVG in Bezug auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Ablaufs der Behaltefrist nach einem Lehrverhältnis nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil aber zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Da das zwischen den Parteien neu begründete Arbeitsverhältnis das Lehrverhältnis nicht fortsetze, unterliege dieses dem allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 105 ff ArbVG. Die während der Behaltefrist zu dessen Ende wirksam und termingerecht ausgesprochene Kündigung des Arbeitgebers sei daher nach § 105 Abs 3 Z 3 lit i ArbVG anfechtbar.

Der OGH bestätigte nun die Rechtsansicht des Berufungsgerichts:

Entscheidung

Die Weiterverwendungspflicht des ausgelernten Lehrlings nach § 18 Abs 1 BAG (hier: nach dem Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe für 6 Monate) bewirkt nicht schon einen automatischen Vertragsabschluss ex lege. § 18 Abs 1 BAG normiert lediglich eine einseitige Verpflichtung des Lehrberechtigten zum Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrags. Bei der Weiterbeschäftigung des Lehrlings nach dem Ende der Lehrzeit wird nicht das bestehende Arbeitsverhältnis (= Lehrverhältnis) fortgesetzt, sondern ein neues Arbeitsverhältnis begründet. In diesem Sinne haben die Parteien (unstrittig) schlüssig ab 6. 10. 2019 ein neues unbefristetes Arbeitsverhältnis abgeschlossen.

Wurde – wie hier – der Behaltepflicht durch Abschluss eines neuen unbefristeten Arbeitsverhältnisses entsprochen, kann dieses vom Arbeitgeber durch Kündigung aufgelöst werden, wobei die entsprechenden gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen über Kündigungsfristen und -termine einzuhalten sind (vgl OGH 12. 10. 1994, 9 ObA 187/94, ARD 4616/3/95).

Das zur Erfüllung der Weiterverwendungspflicht des ausgelernten Lehrlings (befristet oder unbefristet) abgeschlossene neue Arbeitsverhältnis unterliegt grundsätzlich (eine der Ausnahmebestimmungen des § 36 Abs 2 Z 1 bis 7 ArbVG liegt hier unstrittig nicht vor) dem allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 105 ff ArbVG. Eine „Weitergeltung des besonderen Kündigungsschutzes für Lehrlinge“, wie der beklagte Arbeitgeber in seinem Rekurs behauptet, lässt sich mit den § 14, § 15 BAG, die ausdrücklich auf das „Lehrverhältnis“ abstellen, nicht in Einklang bringen. § 14 BAG bestimmt in seinem Abs 1, dass das Lehrverhältnis mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit endet; Abs 2 enthält Tatbestände, bei deren Verwirklichung das Lehrverhältnis ex lege (automatisch) vor Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer endet. § 15 Abs 1 BAG sieht darüber hinaus bestimmte Arten der vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses durch die Vertragsparteien vor; § 15 Abs 3 BAG enthält Gründe, die den Lehrberechtigten zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigen.

Somit unterscheidet sich die Aufkündbarkeit des in Entsprechung der Weiterverwendungspflicht nach § 18 BAG auf unbestimmte Zeit neu eingegangenen Arbeitsverhältnisses wesentlich von der Aufkündbarkeit von Arbeitsverhältnissen, die dem besonderen Kündigungsschutz unterliegen. Letztere können rechtswirksam erst nach Ablauf der im jeweiligen Gesetz zwingend geregelten Schutzfrist ausgesprochen werden. Nur solange der besondere Kündigungsschutz der Lehrlinge zur Unzulässigkeit der Kündigung während der Lehrzeit führt, ist der allgemeine Kündigungsschutz nicht relevant. Der allgemeine Kündigungsschutz greift dann aber nach Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes im neuen Arbeitsverhältnis zur Erfüllung der Weiterverwendungspflicht des ausgelernten Lehrlings iSd § 18 Abs 1 BAG.

Zusammengefasst sind auf ein in Entsprechung der Weiterverwendungspflicht nach § 18 BAG auf unbestimmte Zeit neu eingegangenes Arbeitsverhältnis die Bestimmungen über den allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 105 ff ArbVG anzuwenden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31354 vom 23.08.2021