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Anhängige Normenprüfungen beim VfGH – Übersicht

Bearbeiter: Barbara Tuma / Bearbeiter: Sabine Kriwanek

Zusammengestellt von der LexisNexis-Redaktion

Die Herbstsession des VfGH hat begonnen und wird voraussichtlich bis 14. 10. 2017 dauern.

1. Va auf der Tagesordnung

Auf der Tagesordnung der Session stehen laut Presseaussendung des VfGH ua folgende Fälle:

-2-wöchige Frist für Beschwerden gegen Entscheidungen des BFA in bestimmten Fällen; Prüfung von Wortfolgen in § 16 Abs 1 BFA-VG idgF BGBl I 2016/24. VfGH 27. 6. 2017, E 502/2017 (G 134/2017), Rechtsnews 23852.
-Unterbringung von Asylwerbern – Durchgriffsrecht des Bundes: Im Oktober 2016 hat der BMI auf Grundlage des „BVG über die Unterbringung und Aufteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden“ („BVG Unterbringung“; BGBl I 2015/120 = Rechtsnews 20293) die Unterbringung von Asylwerbern in Wels angeordnet. Nach erfolgloser Anrufung des BVwG macht die Stadt Wels vor den VfGH nun geltend, dass das BVG Unterbringung den Baugesetzen der Verfassung widerspreche (Verstoß gegen das föderalistische und das rechtsstaatliche Prinzip und gegen das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden).
Hinweis: Mit dem BVG Unterbringung hatte sich der VfGH bereits zu befassen, musste damals auf die verfassungsrechtlichen Fragen allerdings nicht eingehen, weil die Gemeinde (damals: Ossiach) den Bescheid des BMI direkt beim VfGH bekämpft hatte, was jedoch nicht möglich ist, weil es sich um kein Erkenntnis oder einen Beschluss eines Verwaltungsgerichts handelt (VfGH 8. 3. 2016, E 2310/2015, Rechtsnews 21288).
-Polizeiliches Staatsschutzgesetz: Mit dem PStSG, BGBl I 2016/5 (= Rechtsnews 21190) wurde die Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) neu geregelt; 61 Nationalratsabgeordnete haben dagegen beim VfGH einen Aufhebungsantrag eingebracht, weil sie durch das PStSG und damit zusammenhängende Regelungen im SPG die Grundrechte verletzt sehen.
-Höhe von Verwaltungsstrafen nach § 99d BWG: Anfechtungsantrag des BVwG wegen eines möglichen Verstoßes gegen Art 91 B-VG; va der Strafrahmen (höchstmögliche Strafhöhe von € 3.135.494,83 pro Verstoß) erscheint dem BVwG zu hoch (auch unter Berücksichtigung des Kumulationsprinzips im Verwaltungsstrafverfahren), als dass die Verhängung solcher Strafen der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit entzogen sein sollte. BVwG 21. 11. 2016, W 230 2138107-1 (vgl auch BVwG 24. 11. 2016, W 210 2138108-1; BVwG 22. 12. 2016, W 148 2118633-1; BVwG 23. 12. 2016, W 107 2118633-2; BVwG 13. 3. 2017, W 107 2145121-1).
-Bestpreisklauseln von Buchungsplattformen: Mit BGBl I 2016/99 (= Rechtsnews 22689) wurde die „Schwarze Liste“ im Anhang zum UWG wird durch eine Z 32 ergänzt und damit verboten, dass der Betreiber einer Buchungsplattform gegenüber einem Beherbergungsunternehmen verlangt, dass dieses auf anderen Vertriebswegen inklusive seiner eigenen Website keinen günstigeren Preis anbieten darf. Der VfGH hat nun über Individualanträge der Hotel-Buchungsplattformen booking.com und Expedia zu entscheiden, mit denen diese eine Aufhebung dieses Verbots von Bestpreisklauseln erreichen wollen.
-Apothekenvorbehalt (Verkaufsverbot von rezeptfreien Medikamenten): Nachdem der erste Individualantrag der Drogeriemarktkette dm zu eng gefasst war (Zurückweisung durch VfGH 10. 10. 2016, G 49/2016, siehe Rechtsnews 22678), bekämpft dm nun neuerlich die einschlägigen Bestimmungen des AMG wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot und wegen Unsachlichkeit.
-Werbeabgabe: Ungleichbehandlung des Printbereichs wegen Nichterfassung von Werbeleistungen am Onlinesektor; Beschwerde nach der E BFG 10. 8. 2016, RV/5100956/2016; beim VfGH anhängig zu E 2133/2016.
-Steuerbegünstigung für Parteifeste: Mit dem EU-AbgÄG 2016, BGBl I 2016/77 (= Rechtsnews 22110) wurden – gleichzeitig mit Erleichterungen für die Gastronomie – auch Besserstellungen für Veranstaltungen von politischen Parteien und deren Vorfeldorganisationen beschlossen, wie sie auch für gemeinnützige Vereine gelten. Dagegen wendet sich der „Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs“, der va im Bereich des Gastgewerbes tätig ist.
-Pensionstransfer der Bank Austria: Mit BGBl I 2016/18 (= Rechtsnews 21448) wurde die Möglichkeit für eine Übertragung von Dienstverhältnissen in das Pensionsversicherungssystem des ASVG ausgeweitet (§ 311a ASVG neu; „Lex Bank Austria“) und der Überweisungsbetrag nicht nur für diese Fälle, sondern auch für die schon bisher bestehende Übertragungsmöglichkeit nach § 311 ASVG, mit 22,8 % des Letztbezugs für jeden Monat des PV-freien Dienstverhältnisses festgelegt (zuvor: 7 %) – dies zudem rückwirkend. Das BVwG hat die Aufhebung dieser Bestimmungen beantragt, weil sich der Überweisungsbetrag für die Bank Austria damit um mehr als das Dreifache auf rund € 790 Mio erhöht habe und die Bank Austria durch diese Vorgangsweise einseitig und gleichheitswidrig belastet werde.
-Jagdfreistellung von Grundstücken in weiteren Bundesländern: In der Herbst-Session 2016 hat der VfGH entschieden, dass der Kärntner Landesgesetzgeber nicht verpflichtet ist, ethischen Bedenken eines Grundeigentümers gegen die Ausübung der Jagd auf seinem Grundstück durch die Möglichkeit einer Jagdfreistellung des betreffenden Grundstücks Rechnung zu tragen (VfGH 15. 10. 2016, G 7/2016, Rechtsnews 22574). Offen ist nach wie vor, welche Folgerungen sich aus dieser Entscheidung für vergleichbare Beschwerdefälle in Niederösterreich und in der Steiermark ergeben.

2. Weitere offene Fragen

Weiters sind – soweit überblickbar – zu folgenden wichtigen veröffentlichten Prüfungsbeschlüssen bzw Gesetzesprüfungsanträgen bisher noch keine Endentscheidungen ergangen:

Wirtschaftsrecht

-Verfahren rund um Hypo/Heta: Schon auf der Tagesordnung der Sommer-Session 2016 standen mehrere Verfahren zur Causa Hypo/Heta, ua eine Gesetzesbeschwerde einer deutschen Bank betr die Anwendung des Bankensanierungsgesetzes (BaSAG) auf die Abwicklung der Hypo/Heta. Wie der VfGH zunächst auf seiner Website mitgeteilt hat, wollte er eine Entscheidung des EuGH abwarten, der bereits vom HG Wien und vom BVwG angerufen wurde (Quelle: www.vfgh.gv.at vom 20. 6. 2016).
In der Zwischenzeit wurden allerdings diese beiden Vorabentscheidungsersuchen zurückgezogen und die Rs C-282/16, RMF Financial Holdings, und C-309/16, Kärntner Ausgleichszahlungs-Fonds (Corbin Opportunity Fund, Corbin Capital Partners ua) dementsprechend mit Beschlüssen vom 25. 11. 2016 bzw 17. 1. 2017 im Register des Gerichtshofs gestrichen.
-Neuerlicher (erweiterter) Aufhebungsantrag zu § 39 Abs 2 GewO 1994 betr die Anforderungen an die gewerberechtliche Geschäftsführung einer juristischen Person (Organstellung bzw versicherungspflichtige Beschäftigung für mehr als die Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit): Nach Ansicht des VwGH dürfte die angefochtenen Bestimmungen die unternehmerische Entscheidung, welche Person innerhalb einer Gesellschaft welche Funktion ausüben soll, unverhältnismäßig beschränken und daher gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verstoßen (Art 16 StGG; im Ausgangsverfahren durfte der Mehrheitsgesellschafter der GmbH [mit 75 % der Gesellschaftsanteile] nicht zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellt werden). VwGH 18. 8. 2017, Ro 2016/04/0006 (A 2017/0002), Rechtsnews 24182.

Öffentliches Recht

-Grazer „Tempo 30-Verordnung“ – Bedenken va nach wie vor wegen unzureichender Prüfung der spezifischen Verkehrs- und Gefahrensituation auf den einzelnen Straßen. VfGH 14. 6. 2017, E 3314/2016 (V 85/2017), Rechtsnews 23855.
-Zuständigkeiten des zuständigen Bundesministers im BG über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (§ 2): BVwG 25. 11. 2016, W 170 2115136-1.
-Zuständigkeitsverteilung, wonach die Feststellung einer Schusswaffe als Kriegsmaterial durch den Bundesminister für Landesverteidigung und Sport zu erfolgen hat (§ 44 zweiter Satz WaffG): Die behördliche Zuständigkeitsabgrenzung zur Einstufung einer halbautomatischen Schusswaffe ist nach Ansicht des BVwG nicht klar geregelt. Die Zuständigkeit der jeweiligen Behörde ergibt sich erst durch die von ihr mit Bescheid vorzunehmende Kategorisierung der Schusswaffe. BVwG 2. 3. 2017, W 136 2136365-1, sowie BVwG 2. 3. 2017, W 136 2136853-1.
-Streichung aus der Ärzteliste – Zuständigkeit des BVwG für Beschwerden? Prüfungsantrag VwGH 22. 6. 2017, Ro 2017/11/0003 (A 2017/0001), Rechtsnews 24041.

Arbeitsrecht

-AusländerbeschäftigungPunktesystem der „Rot-Weiß-Rot-Karte“; Prüfung des § 12a Z 2 AuslBG und der Anlage B (Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gem § 12a Z 2 AuslBG). Prüfungsbeschluss VfGH 14. 3. 2017, E 1913/2015 (G 56/2017) = ARD 6543/5/2017.

Abgabenrecht

-Abfertigung von Vorstandsmitgliedern – Deckelung der Begünstigung (§ 67 Abs 6 EStG); Beschwerde nach der E BFG 12. 2. 2016, RV/5100292/2015, LN Rechtsnews 21960 vom 12. 7. 2016; Beschwerde beim VfGH anhängig zu E 549/2016.
-Sachbezugsüberbewertung von Vorführwagen (20 %-Zuschlag gem § 4 Abs 6 Sachbezugswerte-VO); Prüfungsantrag BFG 2. 8. 2016, RN/7100003/2016; beim VfGH anhängig zu V 46/2016.
-Kfz mit ausländischem Kennzeichen – widerrechtliche Verwendung; Beschwerde nach der E BFG 1. 9. 2016, RV/4100280/2014; beim VfGH anhängig zu E 2655/2016.
-Gebührenpflicht nach § 13 Abs 3 GebG für Sachwalter; Beschwerde nach der E BFG 26. 1. 2017, RV/7105533/2015; beim VfGH anhängig zu E 829/2017.
-Wiederaufnahme: Prüfung des § 304 BAO (idgF), der einen Wiederaufnahmeantrag nach Verjährung ausschließt. Prüfungsbeschluss VfGH 28. 6. 2017, E 250/2017 (G 131/2017), Rechtsnews 23833.
-Verlängerte Entscheidungsfrist von 24 Monaten für das BFG in Rechtsmittelverfahren, die ihm gem Art 131 Abs 5 B-VG durch Landesgesetz übertragen wurden (hier: Verwaltungsstrafverfahren betr Wr Parkometerabgabe) – Prüfung einer Wortfolge in § 24 BFGG (idgF). Prüfungsbeschluss VfGH 14. 6. 2017, E 114/2016 (G 182/2017), Rechtsnews 23907.
-Private Grundstücksveräußerungen: Prüfung des Abzugsverbots für Werbungskosten und der Einschränkungen beim Verlustausgleich – Prüfung von § 20 Abs 2 EStG 1988 idF BGBl I 2012/22 und des § 30 Abs 7 EStG 1988 idF BGBl I 2012/112. Prüfungsbeschluss VfGH 14. 6. 2017, E 1156/2016 (G 183/2017), Rechtsnews 23906.
Anm: Trotz der Unterschiede der geprüften zur geltenden Fassung der Bestimmungen dürften die Bedenken des VfGH auch für die geltende Fassung relevant sein.

3. Erledigte Fälle der letzten Session

Neben den Erkenntnissen, über die bereits in den Rechtsnews berichtet wurde, wurden in der vorhergehenden Session ua auch folgende Fälle erledigt:

-Geschwindigkeitsbeschränkung in Innsbruck nicht gesetzwidrig (Prüfung einer Verordnung des Stadtmagistrats betr 30 km/h in der Innerkoflerstraße): Die Bedenken des Prüfungsbeschlusses konnten im Verfahren zerstreut werden: Aus der Äußerung des Stadtmagistrats der Stadt Innsbruck und den vorgelegten Unterlagen ergab sich, dass die geprüfte Verordnung nicht aus Gründen des Lärmschutzes erlassen worden ist, sondern im Zuge eines größeren Verkehrsprojekts, bei dem die Innerkoflerstraße im Vergleich zum Innrain „abgewertet“ wurde. Aus dem Blickwinkel der Voraussetzungen des § 43 Abs 1 lit b Z 1 StVO 1960 hatte der VfGH daher keine Bedenken mehr dagegen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit für die Innerkoflerstraße – ausgehend von den beabsichtigten Hauptverkehrswegen – auf 30 km/h reduziert wurde. VfGH 8. 6. 2017, V 65/2016.
-Beschwerde gegen eine verfahrensrechtliche Entscheidung der Schlichtungsstelle betreffend die Unterbrechung des mietrechtlichen Verfahrens – Instanzenzug nicht an die ordentlichen Gerichte, sondern an die Verwaltungsgerichte. Der VfGH sieht sich durch Art 94 Abs 2 B-VG idF der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nicht veranlasst, von der Rsp zum Rechtsschutz bei verfahrensrechtlichen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden im Bereich sukzessiver Zuständigkeiten abzugehen. Selbständige verfahrensrechtliche Entscheidungen von Verwaltungsbehörden sind nunmehr allerdings mittels Beschwerde an das Verwaltungsgericht zu bekämpfen (und nicht wie früher durch Anrufung des VwGH oder VfGH). VfGH 12. 6. 2017, E 404/2017 = Zak 2017/457.
-Neuregelung der Pauschalgebühr im Rechtsmittelverfahren betr einstweilige Verfügungen nach Aufhebung durch den VfGH – Aufhebung der Rückwirkungsanordnung der Neuregelung wegen Verstoßes gegen das Vertrauensschutzgebot des Gleichheitssatzes (Aufhebung der Wortfolge „, die Anmerkung 1a zur Tarifpost 2“ in Art VI Z 54 GGG idF BGBl I 2013/190). Angesichts des langen Zeitraums (rund 1 Jahr), in dem der Gesetzgeber eine neue verfassungsrechtlich einwandfreie Regelung erlassen konnte, sieht der VfGH keine Rechtfertigung für die rückwirkende Inkraftsetzung. Auch die Dauer der Rückwirkung von „lediglich“ zwei Monaten kann an der Erheblichkeit des gesetzlichen Eingriffs nichts ändern. VfGH 30. 6. 2017, G 55/2017 = Zak 2017/458.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24237 vom 22.09.2017