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Asyl wegen mangelnder Schutzfähigkeit des Herkunftsstaates

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

GFK: Art 1

RL 2011/95/EU: Art 7, Art 8

Einer von Privatpersonen bzw von privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK (Genfer Flüchtingkonvention) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren.

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Die Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU), die iS einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mitzuberücksichtigen ist, sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben.

VwGH 24. 2. 2015, Ra 2014/18/0063

Sachverhalt

Der Revisionswerber, ein muslimischer Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, beantragte im Sommer 2005 in Österreich Asyl. Zu seinen Fluchtgründen brachte er zusammengefasst vor, er sei während des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien in der jugoslawischen Armee als Berufsoffizier und Sicherheitsbegleiter für leitende Offiziere eingesetzt gewesen. In dieser Funktion habe er für General Ratko Mladic und Admiral Ljubisa Beara gearbeitet, denen Kriegsverbrechen an der bosnischen Bevölkerung zur Last gelegt würden. Der Revisionswerber sei - wie der Öffentlichkeit bekannt sei - im Verfahren vor dem International Strafgerichtshof wegen dieser Verbrechen als wichtigster Zeuge der Verteidigung des Ljubisa Beara geladen worden.

Wegen dieser Umstände werde der Revisionswerber in Bosnien und Herzegowina als Verräter angesehen und er werde deshalb mit dem Tod bedroht. Es habe bereits Attentate auf ihn gegeben: im Mai 2000 sei sein Auto mit einer Handgranate gesprengt worden; im Oktober 2000 sei er in einem Café in S tätlich angegriffen und verletzt worden; im Dezember 2000 habe im Krankenhaus von S ein Schussattentat auf ihn stattgefunden; nach seiner Flucht sei im Jänner 2006 auf das Auto seines Vaters in S ein Brandanschlag verübt worden.

Bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohe ihm die Ermordung. Die Sicherheitsbehörden in Bosnien und Herzegowina seien nicht gewillt, ihn vor dieser Verfolgung zu schützen. Als er sich an die Polizei um Hilfe gewandt habe, sei ihm lediglich gesagt worden, er müsse nun verantworten, was er getan habe. Er habe die ihm bekannten Namen von Attentätern bekannt gegeben; es sei aber nichts passiert.

Mit Bescheid vom 22. 2. 2008 wies das Bundesasylamt den Antrag gem § 7 AsylG (1997) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Bosnien und Herzegowina gemäß § 8 Abs 1 AsylG für zulässig und wies den Revisionswerber gem § 8 Abs 2 AsylG nach Bosnien und Herzegowina aus.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers in Bezug auf Asyl und subsidiären Schutz ab. Gemäß § 75 Abs 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

Der VwGH hob dieses Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Entscheidung

Ausgehend von den im Leitsatz wiedergegeben Ausführungen sprach der VwGH aus, dass es im vorliegenden Fall nicht ausreicht, den Revisionswerber darauf zu verweisen, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden in Bosnien und Herzegowina ohnedies seine Anzeigen wegen der behaupteten Attentate aufgenommen hätten. Es greift nach Ansicht des VwGH auch zu kurz, von Fehlverhalten einzelner polizeilicher Organe zu sprechen, wenn dem Revisionswerber von Polizeiorganen in Reaktion auf seine Anzeige gesagt worden sein sollte, er müsse nun verantworten, was er getan habe. Entscheidend sei vielmehr, ob das Vorbringen des Revisionswerbers zutrifft, wonach Personen wie dem Revisionswerber, die in den Augen der Öffentlichkeit für Kriegsverbrechen an der bosnischen Bevölkerung verantwortlich gemacht und als „Verräter“ angesehen werden, seitens der Sicherheitsbehörden des Herkunftsstaates tatsächlich kein wirksamer Schutz gegen private Verfolgung gewährt wird. Dazu bedürfte es einer Auseinandersetzung mit den realen Gegebenheiten in Bosnien und Herzegowina, die sich dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnehmen lässt, und die auch nicht durch einen allgemeinen Hinweis auf die Aufnahme dieses Staates in die Liste der sicheren Drittstaaten ersetzt werden kann.

Das BVwG hatte sich darauf berufen, dass eine zukünftige Verfolgung auch deshalb unwahrscheinlich sei, weil die behaupteten Vorfälle schon lange zurücklägen. Dem erwiderte der VwGH, dass der Revisionswerber seinen Herkunftsstaat bereits im Jahr 2005 verlassen hat, sodass das Unterbleiben von Angriffen auf ihn seit damals keinen Rückschluss auf seine mögliche Gefährdung bei Rückkehr in den Herkunftsstaat zulässt. Auch diesbezüglich wäre es bei Zugrundelegung seines Vorbringens erforderlich, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es - geächteten - Personen wie dem Revisionswerber in Bosnien und Herzegowina in der heutigen Situation ergehen würde.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19279 vom 09.04.2015