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Asylwerber: Schubhaft zur Überstellung in anderen „Dublin-Staat“?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

FPG § 76

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Z 2 und der Z 4 des § 76 Abs 2 FPG enthalten für sich betrachtet keine gesetzlich festgelegten objektiven Kriterien für die Annahme von (erheblicher) Fluchtgefahr iSd Dublin III-VO [VO (EU) 604/2013], sondern knüpfen im gegebenen Zusammenhang nur an die Führung eines Verfahrens nach der Dublin III-VO an, was für sich genommen deren Art 28 Abs 1 widersprechen würde. Dass die Verordnung aber eine ausdrückliche Festlegung im Gesetz verlangt, ist nach dem eindeutigen, keiner anderen Auslegung zugänglichen Wortlaut des Art 2 lit n Dublin III-VO ganz klar, sodass es diesbezüglich auch keiner Befassung des EuGH nach Art 267 AEUV bedarf.

Da Art 2 lit n Dublin III-VO unmissverständlich gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der im Unionsrecht für die Verhängung von Schubhaft (ua) normierten Voraussetzung des Vorliegens von „Fluchtgefahr“ verlangt, ist auch ein Rückgriff auf die Kriterien nicht ausreichend, die der VwGH in seiner bisherigen Judikatur va zu § 76 Abs 2 Z 4 FPG für die Annahme von „Fluchtgefahr“ (Gefahr des „Untertauchens“) als maßgeblich angesehen hat. Solche Umstände hätten gesetzlich determiniert werden müssen. Solange dies nicht der Fall ist, kommt Schubhaft gegen Fremde, die sich in einem Verfahren nach der Dublin III-VO befinden, zwecks Sicherstellung dieses Überstellungsverfahrens nach Art 28 Dublin III-VO nicht in Betracht.

VwGH 19. 2. 2015, Ro 2014/21/0075

Entscheidung

In seiner Begründung führt der VwGH ua aus:

„Auszugehen ist davon, dass die seit 1. 1. 2014 anzuwendende Dublin III-VO anders als die bis dahin geltende Dublin II-VO (EG) 343/2003 nunmehr selbst Vorschriften für die Inhaftnahme von Fremden zum Zweck der Überstellung in den nach der genannten Verordnung zuständigen Mitgliedstaat enthält. Danach dürfen die Mitgliedstaaten gem Art 28 Abs 1 Dublin III-VO eine Person nicht allein deshalb in Haft nehmen, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt. Allerdings dürfen sie nach Abs 2 im Einklang mit dieser Verordnung 'die entsprechende Person' zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Unter dem Begriff der 'Fluchtgefahr' ist nach Art 2 lit n Dublin III-VO 'das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte', zu verstehen.“

In seiner Pressemitteilung merkt der VwGH ergänzend an, dass in dem zur Zeit in Begutachtung befindlichen Entwurf für ein Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 (92/ME) auch Vorschläge für eine gesetzliche Umschreibung der „Fluchtgefahr“ in Schubhaftfällen enthalten sind, mit denen den Vorgaben des Unionsrechts entsprochen werden soll.

Hinweis: Der Volltext der Entscheidung ist derzeit auf der Homepage des VwGH (www.vwgh.gv.at) unter „Aktuelles“ – „Pressemitteilungen“ abrufbar.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19162 vom 19.03.2015