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Der Börsenkurs als Unternehmenswert – aktuelle Entwicklung

Bearbeiter: Markus Patloch-Kofler

Abstract

Ob der Börsenkurs bzw die Marktkapitalisierung einen Unternehmenswert darstellen kann, ist im betriebswirtschaftlichen Schrifttum teils ein strittiges Thema. Jüngst entschied der deutsche Bundesgerichtshof, alleinig auf den Börsenkurs als Unternehmenswert zu setzen. Der deutsche FAUB äußerte sich nahezu umgehend dazu und beharrt weiterhin auf einer Fundamentalbewertung.

BGH 21. 2. 2023, II ZB 12/21

Die anhaltende Diskussion

In der Unternehmensbewertung spielt der Börsenkurs eine umstrittene Rolle. Während das Fachgutachten KFS/BW 1 in Rz 17 ihn lediglich als Mittel zur Plausibilisierung eines Ertragswerts bzw fundamental ermittelten Unternehmenswert sieht, wird in der jüngeren deutschen Rechtsprechung zu gesellschaftsrechtlichen Abfindungsbemessungen stärkere Gewichtung von bzw eine regelmäßige oder gar alleinige Orientierung an Börsenkursen vertreten.

Eine Minderheit des Schrifttums und der Bewertungspraxis sieht sich aufgrund dieser Spruchpraxis in ihrer Ansicht bzgl der Bedeutung des Börsenkurses als Unternehmenswert bestätigt.

Nun liegt eine neue Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs vor.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 21. 2. 2023 (Az.: II ZB 12/21) ua entschieden, dass eine Abfindung von Aktionären nach § 305 dAktG allein anhand des Börsenkurses bestimmt werden konnte. Auch der Ausgleich nach § 304 dAktG konnte vorliegend ausschließlich aus dem Börsenkurs abgeleitet werden.

Eine Fundamentalbewertung des betroffenen Unternehmens – bspw auf Basis eines DCF-Verfahrens – spielte dabei keine Rolle.

Das befeuert die zunehmende Diskussion über die Relevanz des Börsenkurses in der Unternehmensbewertung, die zuletzt auch ins österreichische Schrifttum getragen wurde.1

Die Stellungnahme des FAUB

Der deutsche Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW reagierte am 14. 6. 2023 mit einer Stellungnahme zu dieser Rechtsprechung. Darin beschreibt er, dass der konkret entschiedene Fall gegenüber typischen Abfindungsfällen wesentliche Besonderheiten aufweist.2

-Die beiden börsennotierten Unternehmen waren auf die Immobilienwirtschaft spezialisiert, der Marktwert des Vermögens (Immobilienwerte gemäß IFRS) waren öffentlich bekannt,
-die Anteile der danach beherrschten Aktiengesellschaft lagen bis kurz vor Bekanntmachung des Unternehmensvertrags in breitem Streubesitz,
-die Abfindung erfolgte in Aktien, dh es kam auf die Angemessenheit der Wertrelation an,
-die von dem entscheidenden Landgericht verwendete Relation der Börsenkurse war mit der Relation der gutachtlich ermittelten Ertragswerte nahezu identisch.

Im Gegensatz dazu seien laut Auffassung des FAUB bei typischen Abfindungsfällen idR wertrelevante unternehmensinterne Informationen dem Kapitalmarkt nicht bekannt und somit nicht im Börsenkurs reflektiert, auch unterliegen Börsenkurse kurzfristigen Stimmungen.

Im Ergebnis verharrt der FAUB auf seiner kritischen Grundhaltung gegenüber der Rolle des Börsenkurses in der Unternehmensbewertung und hält fest, „dass es nicht sachgerecht ist, zur Bestimmung von Abfindungen und anderen Angemessenheitsprüfungen ausschließlich auf den Börsenkurs abzustellen, ohne eine Zukunftserfolgswertermittlung durchzuführen.“3

Der FAUB verfolgt damit auch weiterhin seine Linie, die er auch 2021 im Beitrag „Zur Bedeutung des Börsenkurses für die Abfindungsbemessung aus Sicht der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie und Praxis“ darlegte. Demnach „kann es nicht die Aufgabe der Rechtsprechung sein, Lösungen für bewertungsmethodische Ansätze selbstständig zu entwickeln, für die in der Betriebswirtschaftslehre noch kein Konsens gefunden wurde. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe von Spruchverfahren, wirtschaftswissenschaftlich umstrittene Fragen der Bewertung zu klären“.4

(Möglicher) Ausblick

Die Diskussion rund um die Rolle des Börsenkurses in der Unternehmensbewertung ist damit um ein weiteres Judikat und eine weitere Stellungnahme des FAUB reicher. Beides könnte sich aber in der künftigen Auseinandersetzung dieses Themas im einschlägigen Schrifttum als maßgeblich herauskristallisieren:

Denn mit dem Hinweis des FAUB auf die Besonderheiten des entschiedenen Sachverhalts hinsichtlich der Geschäftstätigkeit und Informationsgüte des Bewertungsobjekts hält er zwar eine mögliche Generalisierung der höchstgerichtlichen Entscheidung im Zaum, definiert allerdings zeitgleiche erste (!) Kriterien, unter welchen ein Heranziehen des Börsenkurses als Unternehmenswert vertretbar sein könnte. Diese beschriebenen Kriterien stellen möglicherweise eine praktische Umsetzung dessen dar, was der FAUB 2021 in seinem Beitrag aus theoretischer Perspektive erläutert hat: Demnach wäre der Börsenkurs als Unternehmenswert nur dann geeignet, wenn der Kapitalmarkt in Bezug auf die betreffenden Anteile streng informations- und allokationseffizient ist. „Nur unter diesen idealisierten perfekten Bedingungen führt der Kapitalmarkt im Wege der Verarbeitung aller vorhandenen Informationen zu einer „richtigen“ Bewertung.“5

In allen anderen Fällen – und diese stellen die überwiegende Mehrheit dar – wird weiterhin der Fundamentalwert maßgeblich sein.

Conclusio

In einer deutschen Rechtsprechung wird für den Börsenkurs als alleiniger Wertmaßstab für den Unternehmenswert entschieden und der deutsche FAUB wehrt sich gegen diese Ansicht – abermals. Aufbauend darauf kann aber möglicherweise erstmals eine Konkretisierung vorgenommen werden, unter welchen Umständen der Börsenkurs doch als Unternehmenswert herangezogen werden kann. In allen anderen Fällen bleibt weiterhin der Fundamentalwert der sachgerechte Wertmaßstab.

1

Vgl Rabel, Börsenkurse und Angemessenheit des Umtauschverhältnisses bei Verschmelzungen, RWZ 2020/69.


2

Vgl FAUB am 14. 6. 2023 zur Relevanz von Börsenkursen, abgerufen unter: https://www.idw.de/idw/themen-branchen/unternehmensbewertung-bwl/boersenkurse.html, abgerufen am 19. 6. 2023.


3

FAUB am 14. 6. 2023 zur Relevanz von Börsenkursen, abgerufen unter: https://www.idw.de/idw/themen-branchen/unternehmensbewertung-bwl/boersenkurse.html, abgerufen am 19. 6. 2023.


4

FAUB, Zur Bedeutung des Börsenkurses für die Abfindungsbemessung aus Sicht der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie und Praxis, WPg 2021, 958.


5

FAUB, WPg 2021, 958.


Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34190 vom 27.06.2023