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Der Börsenkurs als Unternehmenswert

Bearbeiter: Markus Patloch-Kofler

Abstract

Ob der Börsenkurs bzw die Marktkapitalisierung einen Unternehmenswert darstellen kann, ist im betriebswirtschaftlichen Schrifttum nach wie vor ein strittiges Thema. Der deutsche FAUB hat sich in einem kürzlich veröffentlichten Artikel dazu geäußert und den Börsenkurs (abermals) als Unternehmenswert ausgeschlossen.

Preis vs Wert

In der Unternehmensbewertung spielt der Börsenkurs eine umstrittene Rolle. Während das Fachgutachten KFS/BW 1 in Rz 17 ihn lediglich als Mittel zur Plausibilisierung eines Ertragswerts bzw fundamental ermittelten Unternehmenswert sieht, wird in der jüngeren deutschen Rechtsprechung zu gesellschaftsrechtlichen Abfindungsbemessungen stärkere Gewichtung von bzw eine regelmäßige oder gar alleinige Orientierung an Börsenkursen vertreten.

Eine Minderheit des Schrifttums und der Bewertungspraxis sieht sich aufgrund dieser Spruchpraxis in ihrer Ansicht bzgl der Bedeutung des Börsenkurses als Unternehmenswert bestätigt. Der Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW bezog nun in WPg 15/2021 zu diesem Thema (erneut) Stellung und äußerte sich klar gegen den Börsenkurs als primären Wertmaßstab für Unternehmen. Denn der Börsenkurs als Preis einer Aktie ist von jeglicher Wertkonzeption grundsätzlich klar abzugrenzen. Diese Abgrenzung stellt in der Betriebswirtschaft eigentlich eine fundamentale Unterscheidung dar.

Rechts- vs Tatfrage

Nach der Auffassung des deutschen BGH soll es im Hinblick auf die für die Ermittlung der angemessenen Kompensation heranzuziehenden Bewertungsmethode entscheidend darauf ankommen, dass die jeweilige Methode in der Betriebswirtschaftslehre bzw Wirtschaftswissenschaft anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist.1 Wie der FAUB in seinem Beitrag „Zur Bedeutung des Börsenkurses für die Abfindungsbemessung aus Sicht der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie und Praxis“ allerdings darlegt, „kann es nicht die Aufgabe der Rechtsprechung sein, Lösungen für bewertungsmethodische Ansätze selbstständig zu entwickeln, für die in der Betriebswirtschaftslehre noch kein Konsens gefunden wurde. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe von Spruchverfahren, wirtschaftswissenschaftlich umstrittene Fragen der Bewertung zu klären“.

Damit wird einmal mehr die Kompetenzverteilung zwischen RichterIn und BewerterIn offengelegt und zwischen der Rechts- und der Tatfrage unterschieden. Denn die Rechtsfrage besteht darin, das gesetzliche Bewertungsziel zu definieren, während erst nachgelagert in der Tatfrage zu klären ist, wie das durch die Rechtsnorm vorgegebene Bewertungsziel zu erreichen ist.2 In diesem Sinne ist die Wahl der Bewertungsmethode als Tatfrage zu qualifizieren und somit dem bzw der betriebswirtschaftlich ausgebildeten Sachverständigen zu überlassen.

Bezüglich der Eignung des Börsenkurses als Unternehmenswert ist aus Sicht des FAUB deshalb die Betriebswirtschaftslehre gefordert normzweckadäquate Ansätze zur Verfügung zu stellen.

Fundamentalwert vs Marktkapitalisierung

Der Börsenkurs bzw die Marktkapitalisierung als Unternehmenswert wäre nur dann geeignet, wenn der Kapitalmarkt in Bezug auf die betreffenden Anteile streng informations- und allokationseffizient ist. „Nur unter diesen idealisierten perfekten Bedingungen führt der Kapitalmarkt im Wege der Verarbeitung aller vorhandenen Informationen zu einer „richtigen“ Bewertung.“3 Das entspricht allerdings nicht der Realität. Stattdessen verfügen Unternehmen über zusätzliche Informationen, die häufig wettbewerbsrelevant sind und der allgemeinen Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stehen und somit auch nicht im Börsenkurs verarbeitet sein können.

Eine Analyse des historischen Handelsvolumens, historischer Kursverläufe oder Kursreaktionen börsennotierter Aktien können allein deshalb schon eine fundamentale Ertragswert- bzw Discounted-Cashflow-Bewertung nicht ersetzen. Dementsprechend kann aus rechtlichen Gesichtspunkten der Börsenkurs als Preis im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Auseinandersetzungen allenfalls als Wertuntergrenze herangezogen werden.4

Conclusio

Entgegen jüngeren Rechtsprechungen in Deutschland, welche in bestimmten gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen den Börsenkurs teilweise als primären Wertmaßstab für den Unternehmenswert sehen, äußert sich der FAUB (erneut) in einem kürzlich erschienenen Artikel entschieden gegen diesen Bewertungsansatz. Ein Börsenkurs könne demnach eine fundamentale Unternehmensbewertung nicht ersetzen. Weiterhin ist der Wert eines Unternehmens klar vom Preis (im Sinne eines Börsenkurses) zu unterscheiden.

1

Vgl BGH, Beschluss vom 29. 9. 2015 – II ZB 23/14, AG 2016, S. 135; BGH, Beschluss vom 12. 1. 2016 – II ZB 25/14, AG 2016, S. 359.


2

Zur Abgrenzung von Rechts- und Tatfrage siehe auch Henke (1968), Rechtsfrage oder Tatfrage – eine Frage ohne Antwort?, ZZP 81/1968, S 196–351.


3

FAUB (2021), Zur Bedeutung des Börsenkurses für die Abfindungsbemessung aus Sicht der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie und Praxis, WPg 15/2021.


4

Siehe dazu im Detail Bertl/Patloch-Kofler (2019)‚ Der Liquidationswert von Beteiligungen im Jahresabschluss nach UGB – Auswirkungen von KFS/BW 1 E 8 auf AFRAC 24, in: Zink/Seidl/Isola (Hrsg), Unternehmen und Unternehmensrecht in Lehre und Praxis – Festschrift für Gunter Nitsche, Verlag der TU Graz, Graz.


Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31306 vom 09.08.2021