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Einhaltung von Betriebsübungen – Überwachung durch Betriebsrat

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

ArbVG: § 89

Gemäß § 89 ArbVG hat der Betriebsrat das Recht, die „Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebes betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen“. Der Begriff „Rechtsvorschriften“ ist dabei nicht auf Gesetz, Verordnung, Kollektivvertrag, Satzung, Mindestlohntarif oder Betriebsvereinbarungen beschränkt, sondern umfassender auch im Sinne von betrieblichen Übungen zu verstehen, die zumindest einen Teil der Belegschaft betreffen. Das Überwachungsrecht des Betriebsrates bezieht sich somit auch auf die Überwachung der Einhaltung einer konkreten betrieblichen Übung durch den Arbeitgeber.

Im vorliegenden Fall geht es um das Recht der Arbeitnehmer, dass ihre Wünsche laut ihrem Eintrag in den sogenannten „Freiwunschkalender“ bei der Dienstplanerstellung berücksichtigt werden. Dieses Recht ist über eine betriebliche Übung Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden. Da dem Betriebsrat nur durch eine Einsicht in den Freiwunschkalender und durch den Vergleich mit den erstellten Dienstplänen die Überwachung der Einhaltung der betrieblichen Übung möglich ist, kommt ihm auch ein Überwachungsrecht hinsichtlich der Führung des Freiwunschkalenders zu.

OGH 27. 2. 2019, 9 ObA 9/19t -> zu OLG Wien 7 Ra 6/18f, ARD 6630/9/2019 (Bestätigung)

Sachverhalt

In einem Vorverfahren wurde über die Klage des auch hier klagenden Betriebsrats festgestellt, dass bestimmte Angestellten des beklagten Vereins, deren Dienstverhältnisse vor dem 1. 2. 2010 begründet wurden, aufgrund einer jahrelangen betrieblichen Übung auch nach dem 1. 3. 2012 das Recht haben, dass der Arbeitgeber mit ihnen die Lage der Normalarbeitszeit vereinbart und ihre Wünsche nach Eintragung in den „Freiwunschkalender“ bei der Erstellung der Dienstpläne berücksichtigt.

Der Arbeitgeber setzte diese gerichtlich festgestellte Verpflichtung, eine Möglichkeit zur Abgabe von Freizeitwünschen bereitzustellen, im Rahmen eines elektronischen Kalenders um. Jeder der betroffenen Arbeitnehmer kann über die IT-Applikation Eintragungen vornehmen. Danach werden die Dienstpläne vom Arbeitgeber erstellt und die Arbeitnehmer per E-Mail darüber informiert, ob ihre Freiwünsche akzeptiert wurden.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Ausfolgung sämtlicher Listen mit Freiwünschen bzw als Eventualbegehren die Bereitstellung eines Zugangs zu den Listen mit Freiwünschen der Beschäftigten. Der Betriebsrat stützt sein Begehren auf das allgemeine Überwachungsrecht des § 89 ArbVG. Er erhalte nur eine Kopie des Dienstplans, aber keine Aufstellung, welche Freiwünsche beantragt worden seien, und habe auch keine Einsichtsmöglichkeit in das Programm. Erst mit dieser Information sei es ihm aber möglich, anhand des Dienstplans zu prüfen, welche und wie viele Freiwünsche der Arbeitgeber aufgrund der bestehenden betrieblichen Übung erfüllt habe.

Anders als das ErstGt bejaht das OLG Wien ein Überwachungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Führung des Freiwunschkalenders nach § 89 Z 1 letzter Satz und Z 2 erster Satz ArbVG.

Der OGH ließ die Revision wegen des Fehlens von Rsp zur Frage zu, ob dem Betriebsrat ein Überwachungsrecht betreffend die Einhaltung betrieblicher Übungen zusteht. In der Sache bestätigte der OGH aber die Entscheidung des BerufungsG:

Entscheidung

Im Anlassfall stellt sich die Frage, ob auch betriebliche Übungen unter den Begriffen „Rechtsvorschriften“ (bzw „sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“) in der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG zu verstehen sind, deren Einhaltung der Betriebsrat zu überwachen hat. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dem Betriebsrat auch ein Überwachungs- und Einsichtsrecht in Einzelarbeitsverträge der Arbeitnehmer zusteht, um seine Rechte nach § 89 ArbVG wahrnehmen zu können, muss hier nicht geklärt werden; ein derartiges Recht macht der Betriebsrat mit seiner Klage nicht geltend.

Der OGH gesteht dem Arbeitgeber zu, dass die einfache Wortinterpretation des Begriffs „Rechtsvorschriften“ auf den ersten Blick darauf hindeutet, dass damit generelle Normen gemeint sind (zB gesetzliche und kollektivvertragliche Bestimmungen), wird dieser Begriff im ArbVG doch auch an anderer Stelle offenbar in diesem Sinn verwendet (vgl § 91 Abs 2, § 260 Abs 1 ArbVG).

Die einschlägigen Gesetzesmaterialien zeigen jedoch ein umfassenderes Bild des Begriffs „Rechtsvorschriften“: Nach den ErläutRV bei Einführung des ArbVG (RV 840 BlgNR 13. GP 81) wird das Überwachungsrecht des Betriebsrats mittels einer Generalklausel umschrieben und durch die beispielsweise Aufzählung einzelner Überwachungsbefugnisse ausgeformt. Die umfassende Formulierung der Generalklausel soll ein umfassendes Überwachungsrecht des Betriebsrats bezüglich der Einhaltung aller die Arbeitnehmer berührenden Normen (zB arbeits-, steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Inhalts) sicherstellen. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich solche Normen aus Gesetz, Verordnung, Kollektivvertrag, Satzung, Mindestlohntarif oder Betriebsvereinbarungen, Bescheid oder Einzelarbeitsvertrag, oder etwa aus schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Betriebsinhaber ergeben.

Im Hinblick auf die historischen Gesetzesmaterialien, die sogar den Einzelarbeitsvertrag als Norm nennen, deren Einhaltung der Betriebsrat zu überwachen hat, und nach Beschäftigung mit dem Schrifttum, das ebenfalls überwiegend bejaht, dass auch betriebliche Übungen vom Überwachungsrecht des Betriebsrats gemäß § 89 ArbVG umfasst sind, hält der 9. Senat des OGH zusammenfassend fest, dass der Begriff „Rechtsvorschriften“ in der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG nicht auf Gesetz, Verordnung, Kollektivvertrag, Satzung, Mindestlohntarif oder Betriebsvereinbarungen beschränkt ist, sondern umfassender auch im Sinne von betrieblichen Übungen zu verstehen ist.

Im vorliegenden Fall stützt der klagende Betriebsrat sein Haupt- und Eventualbegehren auf die Überwachung der Einhaltung einer konkreten betrieblichen Übung durch den Arbeitgeber. Er will damit nicht einzelne Arbeitsverträge oder „Wünsche“ der Angestellten überwachen (so der Arbeitgeber) und fordert auch nicht die Einsicht in die Einzelarbeitsverträge der von der Betriebsübung betroffenen Mitarbeiter, sondern strebt (nur) die Einsicht in die entsprechenden „Freiwunschlisten“ bzw eventualiter die Gewährung eines Zugangs zum elektronischen System an, um feststellen zu können, welche Freiwünsche überhaupt abgegeben wurden. Nur dadurch und durch den Vergleich mit den erstellten Dienstplänen ist dem Betriebsrat die Überwachung der Einhaltung der betrieblichen Übung und damit des Anspruchs dieser Mitarbeiter möglich. Der Betriebsrat kann seine Überwachungsrechte gem § 89 ArbVG wirkungsvoll nur dann wahrnehmen, wenn er in Kenntnis aller erforderlichen Informationen ist bzw sich diese durch Einsicht in die entsprechenden Unterlagen beschaffen kann. Nur wenn er in die „Freiwunschlisten“ der Mitarbeiter – in welcher Form auch immer – Einsicht nehmen kann, kann er auch seiner Pflicht nachkommen, die Einhaltung der betrieblichen Übung zu überwachen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27262 vom 03.05.2019