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Einzelrichterliches Strafverfahren – Kognitionsbefugnis des Berufungsgerichts

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EMRK: Art 6

StPO: § 2, § 3, § 12, § 55, § 222, § 258, § 270, § 473, § 489

Das BerufungsG muss sich in der Berufungsentscheidung mit Urkunden nicht auseinandersetzen, die (bloß) vorgelegt und in der Berufungsverhandlung mangels Verlesung nicht prozessförmig vorgekommen sind; nicht prozessförmig vorgekommene Beweise dürften im Gegenteil im Berufungsurteil gar nicht berücksichtigt werden (hier: eine Bestätigung betr eine Zeugenaussage). Hält das BerufungsG im Rahmen seines Beweiswürdigungsermessens die erstgerichtlichen Feststellungen des Einzelrichters für unbedenklich und die Vernehmung neuer Zeugen für nicht notwendig (§ 473 Abs 2 erster Satz StPO), hat es sich bei seiner Entscheidung auf die in erster Instanz aufgenommenen Protokolle zu beschränken (§§ 489 Abs 1 zweiter Satz, 473 Abs 2 zweiter Satz StPO).

Von verschiedenen Zuständigkeiten zur Rechtsmittelentscheidung abgesehen besteht der Unterschied in der Anfechtung von kollegialgerichtlichen Urteilen und Urteilen von Einzelrichtern darin, dass bei diesen die Anfechtung der Feststellungen zu den entscheidenden Tatsachen (betr die Schuld- und Subsumtionsfrage) nicht auf das Aufzeigen formaler Begründungsmängel beschränkt ist, sondern umfassend, auch durch neue Tatsachenbehauptungen und neues Beweisvorbringen zulässig ist. Ankläger und Angeklagter sollen auch in der Schuldfrage nicht der Beweiswürdigung eines einzelnen Richters ausgeliefert sein. Bloß darin bestehen die „erhöhten Garantien“ der Verhandlung vor dem BerufungsG mir drei Richtern.

Das BerufungsG ist (im Rahmen der Anfechtungsrichtung) gesetzlicher Richter mit voller Kognitionsbefugnis und in der zu Sachentscheidung führenden Beweiswürdigung aufgrund einer Schuldberufung völlig frei. Nur im Fall von Bedenken gegen die erstinstanzliche Feststellung entscheidender Tatsachen ist es – Zeugen und Sachverständige betreffend – nach § 473 Abs 2 erster Satz StPO vor eigener meritorischer Entscheidung zur Beweiserhebung verpflichtet. Fehlen Bedenken an Feststellungen im Urteil erster Instanz, verlangt die StPO – im Einklang mit der Rsp des EGMR – keine Erwägungen über § 270 Abs 2 Z 5 (§ 489 Abs 1 zweiter Satz [§ 474]) StPO hinaus.

OGH 16. 10. 2018, 11 Os 82/18w

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 26342 vom 19.11.2018