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EuGH: Grenzüberschreitende Verbandsklage – anzuwendendes Recht?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 93/13/EWG: Art 3

RL 95/46/EG: Art 4

VO (EG) 864/2007 (Rom II-VO): Art 6

Das österreichische Vorabentscheidungsersuchen betrifft eine grenzüberschreitende vorbeugende Unterlassungsklage eines Verbraucherschutzverbandes wegen Verwendung angeblich missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden im elektronischen Geschäftsverkehr in Verträgen mit Privatpersonen, die in anderen Mitgliedstaaten als der Gewerbetreibende ansässig sind. Nach Ansicht des EuGH richtet sich das auf diese Klage anzuwendende Recht nach Art 6 Abs 1 VO (EG) 864/2007 (Rom II).

Das bei der Beurteilung einer bestimmten Vertragsklausel anzuwendende Recht ist hingegen stets anhand der VO (EG) 593/2008 (Rom I) zu bestimmen, unabhängig davon, ob diese Beurteilung im Rahmen einer Individualklage oder einer Verbandsklage vorgenommen wird.

Weiters hält es der EuGH für missbräuchlich gem Art 3 Abs 1 RL 93/13/EWG, wenn in solchen AGB der falsche Eindruck erweckt wird, dass auf den Vertrag allein das Recht des Sitzmitgliedstaats des Unternehmers anwendbar sei, ohne den Verbraucher darüber zu informieren, dass er sich auch auf den Schutz durch die zwingenden Vorschriften des Rechts berufen kann, das ohne die Klausel anwendbar wäre.

Eine Verarbeitung personenbezogener Daten dieses Unternehmen unterliegt dem Recht jenes Mitgliedstaats, auf den das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit ausrichtet, wenn es dort eine Niederlassung hat und dort die Datenverarbeitung vorgenommen wird.

EuGH 28. 7. 2016, C-191/15, Verein für Konsumenteninformation

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts siehe LN Rechtsnews 21746 vom 3. 6. 2016 = RdW 2016/351.

Zum Vorabentscheidungsersuchen OGH 9. 4. 2015, 2 Ob 204/14k, siehe LN Rechtsnews 19395 vom 28. 4. 2015 = RdW 2015/320.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Die VO (EG) 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) und die VO (EG) 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) sind dahin auszulegen, dass unbeschadet des Art 1 Abs 3 beider Verordnungen das auf eine Unterlassungsklage iSd RL 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 4. 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, die sich gegen die Verwendung vermeintlich unzulässiger Vertragsklauseln durch ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen richtet, das im elektronischen Geschäftsverkehr Verträge mit Verbrauchern abschließt, die in anderen Mitgliedstaaten, insb im Staat des angerufenen Gerichts, ansässig sind, anzuwendende Recht nach Art 6 Abs 1 der VO (EG) 864/2007 zu bestimmen ist, während das bei der Beurteilung einer bestimmten Vertragsklausel anzuwendende Recht stets anhand der VO (EG) 593/2008 zu bestimmen ist, unabhängig davon, ob diese Beurteilung im Rahmen einer Individualklage oder einer Verbandsklage vorgenommen wird.
2.Art 3 Abs 1 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Gewerbetreibenden enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der auf einen auf elektronischem Weg mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrag das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden ist, in dem der Gewerbetreibende seinen Sitz hat, missbräuchlich ist, sofern sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaats anwendbar, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art 6 Abs 2 der VO (EG) 593/2008 auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre; dies hat das nationale Gericht im Licht aller relevanten Umstände zu prüfen.
3.Art 4 Abs 1 Buchst a der RL 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch ein im elektronischen Geschäftsverkehr tätiges Unternehmen dem Recht jenes Mitgliedstaats unterliegt, auf den das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit ausrichtet, wenn sich zeigt, dass das Unternehmen die fragliche Datenverarbeitung im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung vornimmt, die sich in diesem Mitgliedstaat befindet. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob dies der Fall ist.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22058 vom 29.07.2016