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EuGH: Integrationspflicht trotz langfristiger Aufenthaltsberechtigung

Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2003/109/EG: Art 5, Art 11

Die RL 2003/109/EG [betr die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen] und insbesondere deren Art 5 Abs 2 und Art 11 Abs 1 stehen einer nationalen Regelung (hier: in den Niederlanden) nicht entgegen, die Drittstaatsangehörigen, die bereits im Besitz der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sind, die bußgeldbewehrte Pflicht zur erfolgreichen Ablegung einer Integrationsprüfung auferlegt, sofern die Modalitäten für deren Umsetzung nicht so gestaltet sind, dass sie die Verwirklichung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele gefährden. Dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts. Ob die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten vor oder nach Auferlegung der Pflicht zur erfolgreichen Ablegung einer Integrationsprüfung erlangt wurde, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.

EuGH 4. 6. 2015, C-579/13, P und S; zu einem niederländischem Vorabentscheidungsersuchen

Ausgangsfall

P und S sind Drittstaatsangehörige, die in den Niederlanden seit 14. 11. 2008 bzw 8. 6. 2007 unbefristete reguläre langfristige Aufenthaltsberechtigungen innehaben, die auf die RL 2003/109/EG gestützt sind. Gemäß dem niederländischen „Integrationsgesetz“ wurden sie mit Bescheiden vom 1. 8. 2008 (P) bzw 24. 2. 2010 (S) unter Androhung einer Verwaltungsstrafe zur erfolgreichen Ablegung einer Integrationsprüfung bis Ende Juni 2013 bzw Ende August 2013 verpflichtet.

Entscheidung

In seinen Entscheidungsgründen weist der EuGH zunächst darauf hin, dass es hier nicht um die Erlangung oder Erhaltung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten geht, sondern nur um die Verhängung einer Geldbuße für den Fall, dass die Integrationsprüfung bis zum Ablauf der festgesetzten Frist nicht erfolgreich abgelegt wurde.

Außerdem weist der EuGH auf die Bedeutung hin, die der Unionsgesetzgeber Integrationsmaßnahmen beimisst (vgl den vierten Erwägungsgrund der RL 2003/109/EG) und beschäftigt sich mit der Vorlagefrage im Lichte dieser Erwägungen.

Zu Art 5 RL 2003/109/EG hält der EuGH va fest, dass es diese Vorschrift den Mitgliedstaaten weder gebietet noch untersagt, von Drittstaatsangehörigen nach Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten die Erfüllung von Integrationspflichten zu verlangen. Art 5 RL 2003/109/EG stehe einer Integrationsmaßnahme wie im Ausgangsverfahren somit nicht entgegen.

Art 11 RL 2003/109/EG garantiere allerdings Drittstaatsangehörigen, die die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangt haben, dass sie auf den dort genannten Gebieten wie Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats behandelt werden. Daher sei als nächstes zu prüfen, ob die Integrationspflicht diesem Gleichbehandlungsgrundsatz widerspricht, was der EuGH letztlich verneint: Bei niederländischen Staatsangehörigen könne davon ausgegangen werden, dass sie - mündlich und schriftlich - über die abgeprüften Kenntnisse der niederländischen Sprache und der niederländischen Gesellschaft verfügen; damit sei ihre Situation nicht vergleichbar. Allerdings dürften die Modalitäten zur Durchführung dieser Integrationspflicht den Grundsatz der Nichtdiskriminierung auf den in Art 11 Abs 1 RL 2003/109/EG genannten Gebieten nicht beeinträchtigen.

Im Hinblick auf das vorrangige Ziel der RL 2003/109/EG - die Integration von Drittstaatsangehörigen in dem Mitgliedstaat, in dem sie langfristig ansässig sind - hegt der EuGH zunächst grds keine Bedenken gegen die Verpflichtung zur erfolgreichen Ablegung einer Prüfung zum Nachweis der erworbenen Kenntnisse, weil der Erwerb von Kenntnissen sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats den Drittstaatsangehörigen die Verständigung, die Interaktion und Entwicklung sozialer Beziehungen und den Zugang zu Arbeitsmarkt und Berufsausbildung deutlich erleichtere und damit im Einklang mit den Zielen der RL stehe.

Allerdings muss nach Ansicht des EuGH bei den Modalitäten insb der für die erfolgreiche Ablegung der Integrationsprüfung geforderte Kenntnisstand, die Zugänglichkeit der Kurse und des Materials zur Prüfungsvorbereitung sowie die Höhe der Einschreibungsgebühren berücksichtigt und auch besondere individuelle Umstände, wie Alter, Analphabetismus oder Bildungsniveau, beachtet werden.

Gegen die Verhängung einer Geldbuße an sich hegt der EuGH grds keine Bedenken, hält den Höchstbetrag der Geldbuße im Ausgangsverfahren (€ 1.000) allerdings für relativ hoch und beanstandet konkret auch, dass die Geldbuße unabhängig davon ist, ob die betroffenen Drittstaatsangehörigen während der gesetzten Frist niemals oder wiederholt an dieser Prüfung teilgenommen haben, und dass die Drittstaatsangehörigen die Kosten für die Teilnahme an der Integrationsprüfung (für jedes Antreten € 230) zu tragen haben - die Verhängung einer Geldbuße somit nicht die einzige negative Auswirkung für die Drittstaatsangehörigen ist, denen es nicht gelingt, diese Prüfung vor Ablauf der gesetzten Frist erfolgreich abzulegen.

Unter solchen Umständen könnte die Zahlung einer Geldbuße zusätzlich zur Zahlung der Gebühren für die wahrgenommenen Prüfungstermine nach Ansicht des EuGH die Verwirklichung der mit der RL 2003/109/EG verfolgten Ziele gefährden und daher dieser ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Die genauen Umstände seien allerdings vom vorlegenden Gericht zu prüfen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19620 vom 08.06.2015