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EuGH: Nachranganleihen bei internationaler Verschmelzung

Bearbeiter: Barbara Tuma

AktG § 226

RL 2005/56/EG: Art 4, Art 14

Dritte RL 78/855/EWG idF RL 2009/109/EG: Art 15

Auf eine Anleihe, die die übertragende Gesellschaft vor der grenzüberschreitenden Verschmelzung (Verschmelzung durch Aufnahme) begeben hat, ist betreffend Auslegung, Erfüllung und Auflösungsarten des Anleihevertrags (hier: Nachranganleihen) auch nach der Verschmelzung dasselbe Recht anzuwenden wie vor der Verschmelzung.

Für den Schutz der Gläubiger der übertragenden Gesellschaft gelten weiterhin die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, dem diese Gesellschaft unterlag.

Art 15 RL 78/855/EWG verleiht nicht der Emittentin gewisse Rechte, sondern bezweckt den Schutz der Interessen der Inhaber der Wertpapiere, die mit Sonderrechten verbunden, aber keine Aktien sind.

EuGH 7. 4. 2016, C-483/14, KA Finanz

Zu den Schlussanträge des Generalanwalts vom 12. 11. 2015 siehe LN Rechtsnews 20571 vom 13. 11. 2015.

Zum Ausgangsfall siehe ausführlich OGH 28. 8. 2014, 6 Ob 137/13k, LN Rechtsnews 18361 vom 5. 11. 2014 = RdW 2014/773.

Kurz gefasst geht es im Ausgangsfall um Nachranganleihen, die eine zypriotische Tochtergesellschaft einer österreichischen AG emittiert hatte und bei deren Zeichnung die Anwendung deutschen Rechts vereinbart worden war. In weiterer Folge wurde die österreichische AG verstaatlicht, das Kerngeschäft in eine andere AG abgespalten und die zypriotische Ltd als übertragende Gesellschaft in die verbliebene österreichische „Bad Bank“ als aufnehmende Gesellschaft verschmolzen.

Entscheidung

Im Hinblick auf die zeitliche Lagerung der Vorgänge waren die RL 2011/35/EU und die Rom I-Verordnung hier noch nicht anzuwenden, weshalb der EuGH auch nicht alle Vorlagefragen behandelte.

Anwendung des bisherigen Rechts

Zur Beantwortung der Frage, welches Recht nach einer grenzüberschreitenden Verschmelzung durch Aufnahme anzuwenden ist, beschäftigt sich der EuGH va mit der RL 2005/56/EG: Danach bedeutet eine Verschmelzung durch Aufnahme, dass die übernehmende Gesellschaft die übertragende Gesellschaft vollständig erwirbt, ohne dass Verpflichtungen erlöschen, wie dies bei einer Liquidation der Fall wäre. Ohne Novation führe dies dazu, dass die übernehmende Gesellschaft hinsichtlich sämtlicher Verträge, die von der übertragenden Gesellschaft geschlossen wurden, als Partei an deren Stelle tritt. Damit ist das Recht, das vor der Verschmelzung auf diese Verträge anzuwenden war, auch nach der Verschmelzung auf sie anzuwenden, so der EuGH.

Gläubigerschutz bei Nachranganleihen

Weiters stellt der EuGH klar, dass die Mitgliedstaaten auch im Rahmen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung betreffend den Gläubigerschutz die Art 13 bis 15 der RL 78/855/EWG einhalten müssen. Art 13 und 14 der RL regeln dabei den Schutz der Gläubiger unabhängig davon, ob sie Inhaber von Schuldverschreibungen sind oder nicht. Art 15 RL 78/855/EWG betrifft hingegen den Schutz der Inhaber von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind.

Der EuGH beschäftigt sich daher zunächst mit der Frage, wie die Wertpapiere iSv Art 15 RL 78/855/EWG von den sonstigen Schuldtiteln zu unterscheiden sind und hält als Ergebnis fest, dass damit ua Schuldverschreibungen gemeint sind, bei denen ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien, ein Vorzugsrecht auf Zeichnung des Gesellschaftskapitals oder ein Anspruch auf Gewinnbeteiligung eingeräumt wird. Es handelt sich mithin – so der EuGH – um Wertpapiere, deren Inhaber mehr Rechte haben als das auf bloße Tilgung der Verbindlichkeiten und Zahlung der vereinbarten Zinsen. Dies gelte insb für die Wertpapiere, deren Inhaber das Recht auf Umtausch gegen Aktien oder Anspruch auf Gewinnbeteiligung an der Emittentin haben.

Nach den Emissionsbedingungen des vorliegenden Falls haben die Inhaber der strittigen Wertpapiere offenbar nicht mehr Rechte als das Recht auf bloße Tilgung der Verbindlichkeiten und Zahlung der vereinbarten Zinsen. Nach Ansicht des EuGH fallen diese Wertpapiere daher nicht unter Art 15 der RL 78/855/EWG, was aber nun der OGH im Detail zu prüfen haben wird.

Für den Fall, dass der OGH zum gegenteiligen Ergebnis gelangen sollte, weist der EuGH noch darauf hin, dass nach Art 15 RL 78/855/EWG die Inhaber dieser Wertpapiere mit Sonderrechten grds auch in der übernehmenden Gesellschaft Rechte erhalten müssen, die mindestens denen gleichwertig sind, die sie in der übertragenden Gesellschaft hatten, es sei denn,

-eine Versammlung der Inhaber hat einer Änderung dieser Rechte zugestimmt (sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen) oder
-jeder einzelne Inhaber hat der Änderung seines Rechts zugestimmt oder
-diese Inhaber haben einen Anspruch auf Rückkauf ihrer Wertpapiere durch die übernehmende Gesellschaft.

Art 15 RL 78/855/EWG bezweckt somit nach seinem Wortlaut den Schutz der Interessen der Inhaber von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind.

Da aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass mit § 226 Abs 3 AktG Art 15 RL 78/855/EWG umgesetzt werden sollte und nach § 226 Abs 3 AktG die Emittentin der Wertpapiere offenbar berechtigt ist, ihr Rechtsverhältnis zum Zeichner dieser Wertpapiere einseitig zu beenden und ihn in vollem Umfang abzufinden (arg. „... gleichwertige Rechte zu gewähren oder die Änderung der Rechte oder das Recht selbst angemessen abzugelten“), stellt der EuGH auch noch fest, dass ein solches Recht in Art 15 RL 78/855/EWG weder dem Wortlaut noch dem Sinne nach vorgesehen ist; nach diesem Artikel wird der Inhaber der Wertpapiere berechtigt, nicht jedoch deren Emittentin. Eine Vorschrift wie § 226 Abs 3 AktG könne somit keine Umsetzung von Art 15 RL 78/855/EWG darstellen.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass

-nach einer grenzüberschreitenden Verschmelzung durch Aufnahme auf die Auslegung, die Erfüllung der Verpflichtungen und die Arten des Erlöschens eines von der übertragenden Gesellschaft geschlossenen Anleihevertrags wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dasselbe Recht anzuwenden ist wie das vor der Verschmelzung auf diesen Vertrag anzuwendende Recht;
-für den Schutz der Gläubiger einer übertragenden Gesellschaft in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden weiterhin die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts gelten, dem diese Gesellschaft unterlag.

2. Art 15 der Dritten RL 78/855/EWG des Rates vom 9. 10. 1978 gem Art 54 Abs 3 Buchstabe g des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften in der durch die RL 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 9. 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass danach dem Inhaber von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, Rechte verliehen werden, nicht aber ihrer Emittentin.

Hinweis:

Die Dritte RL 78/855/EWG wurde durch die RL 2011/35/EU über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften ersetzt.

Die RL 2011/35/EU ist jedoch ebenso wie die Rom I-Verordnung auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21420 vom 08.04.2016