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EuGH: Umweltschutzorganisation – Parteistellung, Rechtsmittel

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

Aarhus-Übereinkommen: Art 9

GRC: Art 47

RL 2000/60/EG: Art 4, Art 14

Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des VwGH hat der EuGH ua ausgesprochen, dass ein Bescheid von einer – nach nationalem Recht ordnungsgemäß gegründeten und tätigen – Umweltorganisation vor einem Gericht angefochten werden können muss, wenn mit dem Bescheid ein Vorhaben gebilligt wird, das möglicherweise gegen die Verpflichtung aus Art 4 RL 2000/60/EG (Wasserrahmen-RL) verstößt, eine Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper zu verhindern.

Nicht mit Art 9 Abs 3 des Übereinkommens von Aarhus iVm Art 47 GRC sowie Art 14 Abs 1 Wasserrahmen-RL vereinbar ist nationales Verfahrensrecht, das Umweltorganisationen nicht das Recht zuerkennt, sich an einem Bewilligungsverfahren zur Umsetzung der Wasserrahmen-RL als Partei zu beteiligen, und das Recht zur Anfechtung von Entscheidungen in diesem Verfahren nur Personen zuerkennt, die im Verwaltungsverfahren Parteistellung hatten.

EuGH 20. 12. 2017, C-664/15, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation

Vorabentscheidungsersuchen

Zum Vorabentscheidungsersuchen VwGH 26. 11. 2015, Ra 2015/07/0055 (EU 2015/0008), siehe Rechtsnews 20777.

Zu den Schlussanträgen der Generalanwältin siehe Rechtsnews 24343.

Das Vorabentscheidungsersuchen des VwGH ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation (Protect) und der BH Gmünd wegen des Antrags dieser Organisation, ihr in einem Verfahren über einen Antrag der Aichelberglift Karlstein GmbH auf Wiedererteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung für eine Beschneiungsanlage die Stellung als Partei zuzuerkennen.

Ein weiteres Vorabentscheidungsersuchens des VwGH mit vergleichbaren Fragen (VwGH 26. 11. 2015, Ra 2015/07/0051 [EU 2015/0007]) war zur GZ C-663/15, Umweltverband WWF Österreich, beim EuGH anhängig, wurde vom VwGH jedoch einstweilen zurückgenommen; diese Rs wurde durch Beschluss vom 14. 7. 2017 im Register des EuGH ordnungsgemäß gestrichen.

Entscheidung

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Art 9 Abs 3 des am 25. 6. 1998 in Aarhus unterzeichneten, mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. 2. 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten iVm Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass ein Bescheid, mit dem ein möglicherweise gegen die Verpflichtung aus Art 4 der RL 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, eine Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper zu verhindern, verstoßendes Vorhaben gebilligt wird, von einer nach den Voraussetzungen des nationalen Rechts ordnungsgemäß gegründeten und tätigen Umweltorganisation vor einem Gericht angefochten werden können muss.
2.Art 9 Abs 3 des mit dem Beschluss 2005/370 genehmigten Übereinkommens iVm Art 47 der Charta der Grundrechte sowie Art 14 Abs 1 der RL 2000/60 sind dahin auszulegen, dass nationales Verfahrensrecht, das in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens Umweltorganisationen nicht das Recht zuerkennt, sich an einem Bewilligungsverfahren zur Umsetzung der RL 2000/60/EG als Partei zu beteiligen, und das Recht, Entscheidungen, die im Rahmen des Bewilligungsverfahrens ergehen, anzufechten, nur Personen, die im Verwaltungsverfahren die Stellung als Partei hatten, zuerkennt, nicht mit diesen Bestimmungen vereinbar ist.
3.Unter dem Vorbehalt der Überprüfung der relevanten tatsächlichen Umstände und des einschlägigen nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht ist Art 9 Abs 3 und 4 des mit dem Beschluss 2005/370 genehmigten Übereinkommens iVm Art 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass mit diesen Bestimmungen nicht vereinbar ist, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens für eine Umweltorganisation nach den nationalen Verfahrensvorschriften eine Ausschlussregelung gilt, nach der eine Person ihre Stellung als Partei im Verwaltungsverfahren verliert und deshalb keine Beschwerde gegen eine in diesem Verfahren ergangene Entscheidung erheben kann, wenn sie Einwendungen nicht rechtzeitig bereits im Verwaltungsverfahren, spätestens in dessen mündlichem Abschnitt, erhoben hat.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24707 vom 22.12.2017