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EuGH: UVP bei Testförderung von Erdgas?

RL 85/337/EWG idF RL 2009/31/EG: Art 4, Anh I, Anh II, Anh III

Schon bei einer Aufschlussbohrung, in deren Rahmen eine Testförderung von Erdgas und Erdöl beabsichtigt ist, um die wirtschaftliche Abbauwürdigkeit einer Lagerstätte zu erforschen, kann sich die Pflicht zur Vornahme einer Umweltverträglichkeitsprüfung aus Art 4 Abs 2 der RL 85/337/EWG idF der RL 2009/31/EG1 iVm Anhang II Nr 2 Buchstabe d RL 85/337/EWG ergeben. Die zuständigen nationalen Behörden müssen daher eine „Vorprüfung“ vornehmen, dh eine besondere Prüfung der Frage, ob unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III der RL 85/337/EWG idF der RL 2009/31/EG eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist. Dabei sind die Auswirkungen zu prüfen, die das Projekt zusammen mit anderen haben könnte. Mangels einer Präzisierung ist diese Pflicht im Übrigen nicht allein auf gleichartige Projekte beschränkt. In diese Vorprüfung ist somit auch einzubeziehen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen. Die Beurteilung der Auswirkungen anderer Projekte kann nicht von den Gemeindegrenzen abhängen und die nationalen Behörden dürfen auch nicht einen Teil des Projekts außer Acht lassen, der in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführen ist.

EuGH 11. 2. 2015, C-531/13, Kornhuber ua

Zu den Schlussanträgen der Generalanwältin siehe LN Rechtsnews 18180 vom 13. 10. 2014.

Zum Vorabentscheidungsersuchen VwGH 11. 9. 2013, 2011/04/0178 (EU 2013/0003), siehe LN Rechtsnews 16023 vom 18. 10. 2013.

Maßgebliche unionsrechtliche Grundlagen:

Hinweis: Im Ausgangsverfahren ist noch die RL 85/337/EWG idF der RL 2009/31/EG maßgebend. Die entscheidenden Bestimmungen sind aber durch die Kodifizierung der RL 2011/92/EU nicht geändert worden.

Welche Projekte einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen, ist in Art 4 Abs 1 bis 3 und den Anhängen I bis III der UVP-RL näher geregelt:

„(1) Projekte des Anhangs I werden … einer Prüfung gem den Art 5 bis 10 unterzogen.

(2) Bei Projekten des Anhangs II bestimmen die Mitgliedstaaten vorbehaltlich des Art 2 Abs 3 anhand

a) einer Einzelfalluntersuchung oder

b) der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte bzw Kriterien, ob das Projekt einer Prüfung gem den Artikeln 5 bis 10 unterzogen werden muss. Die Mitgliedstaaten können entscheiden, beide unter den Buchst a und b genannten Verfahren anzuwenden.

(3) Bei der Einzelfalluntersuchung oder der Festlegung von Schwellenwerten bzw Kriterien iSd Absatzes 2 sind die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III zu berücksichtigen.“

Anhang I Nr 14 der UVP-RL betrifft die Gewinnung von Erdgas:

„Gewinnung von Erdöl und Erdgas zu gewerblichen Zwecken mit einem Fördervolumen von mehr als 500 t/Tag bei Erdöl und von mehr als 500.000 m³/Tag bei Erdgas.“

Auch Anhang II Nr 2 Buchst d und e nennt potenziell Projekttypen, die Bezug zur Aufsuchung von Erdgas haben können:

„d) Tiefbohrungen, insb

– Bohrungen zur Gewinnung von Erdwärme,

– Bohrungen iZm der Lagerung von Kernabfällen,

– Bohrungen iZm der Wasserversorgung, ausgenommen Bohrungen zur Untersuchung der Bodenfestigkeit.

e) Oberirdische Anlagen zur Gewinnung von Steinkohle, Erdöl, Erdgas und Erzen sowie von bituminösem Schiefer.“

Anhang II Nr 13 Buchst b der UVP-RL betrifft die Entwicklung und Erprobung:

„Projekte des Anhangs I, die ausschließlich oder überwiegend der Entwicklung und Erprobung neuer Verfahren oder Erzeugnisse dienen und nicht länger als zwei Jahre betrieben werden.“

Anhang III der UVP-RL schließlich enthält die in Art 4 Abs 3 angesprochenen Auswahlkriterien für Projekte des Anhangs II:

„1. Merkmale der Projekte Die Merkmale der Projekte sind insb hinsichtlich folgender Punkte zu beurteilen:

– Größe des Projekts,

– Kumulierung mit anderen Projekten,

– …

2. Standort der Projekte

Die ökologische Empfindlichkeit der geographischen Räume, die durch die Projekte möglicherweise beeinträchtigt werden, muss unter Berücksichtigung insb folgender Punkte beurteilt werden:

– bestehende Landnutzung;

– …“

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten idF der RL 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 4. 2009 ist dahin auszulegen, dass eine Aufschlussbohrung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in deren Rahmen eine Testförderung von Erdgas und Erdöl beabsichtigt ist, um die wirtschaftliche Abbauwürdigkeit einer Lagerstätte zu erforschen, nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt.
2.Art 4 Abs 2 der RL 85/337/EWG idF der RL 2009/31/EG iVm Anhang II Nr 2 Buchst d der RL 85/337/EWG ist dahin auszulegen, dass sich bei einer Tiefbohrung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufschlussbohrung aus dieser Vorschrift die Pflicht zur Vornahme einer Umweltverträglichkeitsprüfung ergeben kann. Die zuständigen nationalen Behörden müssen daher eine besondere Prüfung der Frage vornehmen, ob unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III der RL 85/337/EWG idF der RL 2009/31/EG eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist. In diesem Rahmen ist ua zu prüfen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen. Diese Beurteilung kann nicht von den Gemeindegrenzen abhängen.
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RL 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten idF RL 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 4. 2009


Bearbeiterin: Sabine Kriwanek

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 18936 vom 12.02.2015