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EuGH: Vertrag mit einer BV-Kasse – Vergabe?

Bearbeiter: Barbara Tuma

AEUV: Art 49, Art 56

Auch wenn der Abschluss eines Beitrittsvertrags zwischen einem Arbeitgeber – hier: einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft – und einer Betrieblichen Vorsorgekasse nicht allein vom Willen des Arbeitgebers abhängt, sondern der Zustimmung durch die Arbeitnehmerschaft bzw den Betriebsrat bedarf, muss der Arbeitgeber als öffentlicher Auftraggeber die Grundregeln des AEUV über die öffentliche Auftragsvergabe beachten. Dazu gehört insb das Transparenzgebot, das sich aus den Art 49 und 56 AEUV ergibt und vom öffentlichen Auftraggeber einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit verlangt, der zum einen eine Öffnung für den Wettbewerb und zum anderen die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind.

EuGH 4. 4. 2019, C-699/17, Allianz Vorsorgekasse

Ausgangsfall

Zum Vorabentscheidungsersuchen VwGH 29. 11. 2017, Ro 2016/04/0053 (EU 2017/0010)

Im Ausgangsfall geht es um die Verwaltung und Veranlagung von Beiträgen zur Finanzierung von Abfertigungen für die Arbeitnehmer der Bundestheater-Holding GmbH, der Burgtheater GmbH, der Wiener Staatsoper GmbH, der Volksoper Wien GmbH und der ART for ART Theaterservice GmbH.

Entscheidung

Vergabe unter Mitwirkung der Belegschaft

Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen wollte der VwGH va wissen, ob der Abschluss eines Vertrags zwischen einem öffentlichen Auftraggeber (= Arbeitgeber) und einer BV-Kasse in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Vergaberechts fällt (va RL 2014/24/EU und Art 49 und 56 AEUV), wenn für den Vertragsabschluss und die Auswahl der BV-Kasse die Zustimmung der Arbeitnehmerschaft notwendig ist. Gem § 9 Abs 1 BMSVG hat die Auswahl der BV-Kasse nämlich durch eine Betriebsvereinbarung nach § 97 Abs 1 Z 1b ArbVG zu erfolgen und – bei Fehlen eines BR – muss der Arbeitgeber nach § 9 Abs 2 BMSVG eine andere BV-Kasse vorschlagen, wenn zumindest ein Drittel der Arbeitnehmer gegen die beabsichtigte Auswahl der BV-Kasse schriftlich Einwände erhebt.

Auf die Anwendbarkeit der RL 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe hatte der EuGH nicht einzugehen, weil der Auftragswert im Ausgangsfall (ca € 174.000,-) unter dem maßgeblichen Schwellenwert (€ 209.000,- gem Art 4 Buchst c RL 2014/24/EU) liegt und die Vorlageentscheidung auch keine Anhaltspunkte dafür enthält, dass der nationale Gesetzgeber unmittelbar und unbedingt auf die RL 2014/24/EU verwiesen hätte.

Der EuGH bezog die Vorlagefrage daher nur auf die Anwendbarkeit der Grundregeln des AEUV für das öffentliche Auftragswesen (Art 49 und 56 AEUV sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz).

Dazu hält er zunächst fest, dass das Mitentscheidungsrecht des BR bei der Wahl der Vorsorgekasse gem § 9 Abs 1 BMSVG und das Widerspruchsrecht eines Drittels der Arbeitnehmer gem § 9 Abs 2 BMSVG zwei Ausdrucksformen des Grundrechts auf Kollektivverhandlungen darstellen (Art 28 GRC).

Allerdings kann der Grundrechtscharakter des Rechts auf Kollektivverhandlungen als solches einen Arbeitgeber nicht ohne Weiteres der Verpflichtung entheben, die Vorschriften des AEUV über das öffentliche Auftragswesen zu beachten. Auch wenn der Arbeitgeber im Hinblick auf das Mitentscheidungs- bzw Widerspruchsrecht der Belegschaft nicht beliebig einen bestimmten Bieter bevorzugen kann, hat er jedoch zumindest mittelbar Einfluss auf die Auswahl des Vertragspartners (Anm: etwa im Zuge der Verhandlungen über die Betriebsvereinbarung). Außerdem geht aus § 9 und § 11 BMSVG hervor, dass der Beitrittsvertrag zwischen dem Arbeitgeber und der Vorsorgekasse abgeschlossen wird, was eben bedeutet, dass der Arbeitgeber einen solchen zumindest mittelbaren Einfluss auf die Auswahl der Vorsorgekasse hat.

Die Ausübung eines der Kollektivverhandlungsrechte des § 9 BMSVG befreit den Arbeitgeber daher nicht von seiner Verpflichtung, als öffentlichen Auftraggeber die Grundregeln des AEUV einzuhalten, insb das Transparenzgebot, das sich aus den Art 49 und 56 AEUV ergibt.

Transparenzanforderungen

Dazu führt der EuGH weiters aus, dass das Transparenzgebot – einhergehend mit dem Gleichheitssatz – im Wesentlichen gewährleisten soll, dass alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer die Entscheidung über die Teilnahme an Ausschreibungen auf der Grundlage sämtlicher einschlägiger Informationen treffen können und die Gefahr von Günstlingswirtschaft und Willkür seitens des öffentlichen Auftraggebers ausgeschlossen ist.

Es verlangt, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, genau und eindeutig formuliert sind, so dass zum einen alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt die genaue Bedeutung dieser Informationen verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen dem Ermessen des öffentlichen Auftraggebers Grenzen gesetzt werden und dieser tatsächlich überprüfen kann, ob die Gebote der Bieter die für das betreffende Verfahren geltenden Kriterien erfüllen.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Die Art 49 und 56 AEUV sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz sind dahin auszulegen, dass sie auf den Abschluss eines Beitrittsvertrags zwischen einem Arbeitgeber – einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft – und einer Betrieblichen Vorsorgekasse betreffend die Verwaltung und Veranlagung von Beiträgen zur Finanzierung von Abfertigungen, die an die Arbeitnehmer dieses Arbeitgebers ausbezahlt werden, anwendbar sind, obwohl der Abschluss einer solchen Vereinbarung nicht allein vom Willen des Arbeitgebers abhängt, sondern der Zustimmung durch die Arbeitnehmerschaft bzw den Betriebsrat bedarf.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27111 vom 05.04.2019