News

EuGH: Vertraulichkeit von Akten einer Finanzaufsichtsbehörde

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

RL 2004/39/EG: Art 54

In Art 54 Abs 1 RL 2004/39/EG [über Märkte für Finanzinstrumente ...] ist für Finanzaufsichtsbehörden das allgemeine Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen aufgestellt. Nicht alle in der Akte einer Finanzaufsichtsbehörde enthaltenen Informationen sind zwangsläufig vertraulich. Als vertraulich einzustufen sind Informationen, die erstens nicht öffentlich zugänglich sind und bei deren Weitergabe zweitens die Gefahr einer Beeinträchtigung der Interessen der natürlichen oder juristischen Person, die sie geliefert hat, oder der Interessen Dritter oder des ordnungsgemäßen Funktionierens des vom Unionsgesetzgeber durch den Erlass der RL 2004/39/EG geschaffenen Systems zur Überwachung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen bestünde.

Unter das allgemeine Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen in Art 54 Abs 1 RL 2004/39/EG fallen Informationen, die bei der Prüfung des Zugangsantrags (Antrag auf Zugang zu den betreffenden Informationen) als „vertraulich“ einzustufen sind, unabhängig davon, wie sie zum Zeitpunkt ihrer Übermittlung an diese Behörden einzustufen waren.

Da Art 54 Abs 1 RL 2004/39/EG die zuständigen Behörden nur dazu verpflichten soll, die Weitergabe vertraulicher Informationen iS dieser Vorschrift grundsätzlich zu verweigern, steht es den Mitgliedstaaten frei, den Schutz vor der Weitergabe auf den gesamten Inhalt der Überwachungsakten der zuständigen Behörden zu erstrecken oder umgekehrt den Zugang zu Informationen zu gestatten, die den zuständigen Behörden vorliegen und keine vertraulichen Informationen iS dieser Vorschrift sind.

Informationen, bei denen es sich die möglicherweise Geschäftsgeheimnisse gehandelt hat, die aber mindestens fünf Jahre alt sind, sind aufgrund des Zeitablaufs grundsätzlich als nicht mehr aktuell und deshalb als nicht mehr vertraulich anzusehen, es sei denn, die Partei, die sich auf die Vertraulichkeit beruft, weist ausnahmsweise nach, dass die Informationen trotz ihres Alters immer noch wesentliche Bestandteile ihrer eigenen wirtschaftlichen Stellung oder der von betroffenen Dritten sind. Diese Erwägungen gelten nicht für die diesen Behörden vorliegenden Informationen, deren Vertraulichkeit aus anderen Gründen als ihrer Bedeutung für die wirtschaftliche Stellung der fraglichen Unternehmen gerechtfertigt sein könnte, etwa wegen der von den zuständigen Behörden angewandten Überwachungsmethoden und -strategien.

EuGH 19. 6. 2018, C-15/16, Baumeister

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Art 54 Abs 1 der RL 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der RL 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der RL 93/22/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass weder alle Informationen, die das überwachte Unternehmen betreffen und von ihm an die zuständige Behörde übermittelt wurden, noch alle in der Überwachungsakte enthaltenen Äußerungen dieser Behörde, einschließlich ihrer Korrespondenz mit anderen Stellen, ohne weitere Voraussetzungen vertrauliche Informationen darstellen, die infolgedessen von der in dieser Vorschrift aufgestellten Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses gedeckt sind. Als vertraulich einzustufen sind die den Behörden, die von den Mitgliedstaaten zur Erfüllung der in der RL vorgesehenen Aufgaben benannt wurden, vorliegenden Informationen, die erstens nicht öffentlich zugänglich sind und bei deren Weitergabe zweitens die Gefahr einer Beeinträchtigung der Interessen der natürlichen oder juristischen Person, die sie geliefert hat, oder der Interessen Dritter oder des ordnungsgemäßen Funktionierens des vom Unionsgesetzgeber durch den Erlass der RL 2004/39/EG geschaffenen Systems zur Überwachung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen bestünde.
2.Art 54 Abs 1 der RL 2004/39/EG ist dahin auszulegen, dass die Vertraulichkeit von Informationen, die das überwachte Unternehmen betreffen und den von den Mitgliedstaaten zur Erfüllung der in der RL vorgesehenen Aufgaben benannten Behörden übermittelt wurden, zu dem Zeitpunkt zu beurteilen ist, zu dem diese Behörden ihre Prüfung im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Zugang zu den betreffenden Informationen vornehmen müssen, unabhängig davon, wie sie bei ihrer Übermittlung an diese Behörden einzustufen waren.
3.Art 54 Abs 1 der RL 2004/39/EG ist dahin auszulegen, dass die den Behörden, die von den Mitgliedstaaten zur Erfüllung der in der RL vorgesehenen Aufgaben benannt wurden, vorliegenden Informationen, die möglicherweise Geschäftsgeheimnisse waren, aber mindestens fünf Jahre alt sind, aufgrund des Zeitablaufs grundsätzlich als nicht mehr aktuell und deshalb als nicht mehr vertraulich anzusehen sind, es sei denn, die Partei, die sich auf die Vertraulichkeit beruft, weist ausnahmsweise nach, dass die Informationen trotz ihres Alters immer noch wesentliche Bestandteile ihrer eigenen wirtschaftlichen Stellung oder der von betroffenen Dritten sind. Diese Erwägungen gelten nicht für die diesen Behörden vorliegenden Informationen, deren Vertraulichkeit aus anderen Gründen als ihrer Bedeutung für die wirtschaftliche Stellung der fraglichen Unternehmen gerechtfertigt sein könnte.

Hinweis:

Die RL 2004/39/EG wurde mit Wirkung vom 3. 1. 2017 durch die RL 2014/65/EU [über Märkte für Finanzinstrumente ...] aufgehoben. Art 54 Abs 1 RL 2004/39/EG ist in Art 76 Abs 1 RL 2014/65/EU geregelt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25577 vom 20.06.2018