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EuGH: Vertrieb von Produkten mehrerer GesbR unter einer gemeinsamen Marke - landwirtschaftliche Pauschalierung

Bearbeiter: Birgit Bleyer

UStG: § 2 Abs 1, § 22

RL 77/388/EWG idF RL 2004/66/EG: Art 4, Art 25

RL 2006/112/EG: Art 9, Art 10, Art 296

Mehrere Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die als solche gegenüber ihren Lieferanten, gegenüber öffentlichen Stellen und zu einem gewissen Grad gegenüber ihren Kunden eigenständig auftreten und von denen jede ihre eigene Produktion sicherstellt, indem sie im Wesentlichen ihre Produktionsmittel verwendet, sind auch dann als mehrwertsteuerpflichtige eigenständige Unternehmer anzusehen, wenn sie einen Großteil ihrer Produkte (hier: Wein) unter einer gemeinsamen Marke über eine Kapitalgesellschaft vertreiben, deren Anteile wiederum von den Mitgliedern der Gesellschaften bürgerlichen Rechts und anderen Angehörigen der betreffenden Familie gehalten werden.

Nach den Vorschriften des Unionsrechts besteht jedoch die Möglichkeit, die Anwendung der gemeinsamen Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf diese Gesellschaften bürgerlichen Rechts abzulehnen, sofern die Gesellschaften bürgerlichen Rechts aufgrund ihrer Verbindungen zur Kapitalgesellschaft faktisch in der Lage sind, die Verwaltungskosten iZm den sich aus der Anwendung der normalen oder der vereinfachten Mehrwertsteuerregelung ergebenden Aufgaben zu tragen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

EuGH 12. 10. 2016, C-340/15, Christine Nigl ua

Sachverhalt

zum Vorabentscheidungsersuchen siehe BFG 29. 6. 2015, RE/7100001/2015, ÖStZB 2015/254

zu den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 30. 6. 2016 zu C-340/15, Nigl ua, LN Rechtsnews 21920 vom 4. 7. 2016

Die Familie Nigl ist seit Langem im Weinanbau und in der Weinerzeugung tätig. Im Zuge der Erweiterung der Produktion und der Vergrößerung der Anbauflächen wurden in die Tätigkeit immer mehr neue Familienmitglieder einbezogen. Zurzeit bilden sie drei Gesellschaften bürgerlichen Rechts, von denen jede auf ihren Flächen Wein anbaut. Auch der Wein wird aus der Ernte aus den Flächen der einzelnen Gesellschaften getrennt erzeugt und entsprechend gekennzeichnet, allerdings unter dem gemeinsamen Namen „Nigl“ verkauft.

Zudem gründeten die Familienmitglieder im Jahr 2001 die Weingut Nigl GmbH. Diese Gesellschaft betreibt va den Weinverkauf im Namen und für Rechnung der drei GesbR. Sie stellt auch im eigenen Namen Wein aus den Trauben her, die sie von den drei GesbR bezieht.

Begründung

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Art 4 Abs 1 und Abs 4 Unterabs 1 der Sechsten RL 77/388/EWG idF RL 2004/66/EG sowie Art 9 Abs 1 Unterabs 1 und Art 10 der RL 2006/112/EG sind dahin auszulegen, dass mehrere Gesellschaften bürgerlichen Rechts wie die des Ausgangsverfahrens, die als solche gegenüber ihren Lieferanten, gegenüber öffentlichen Stellen und zu einem gewissen Grad gegenüber ihren Kunden eigenständig auftreten und von denen jede ihre eigene Produktion sicherstellt, indem sie im Wesentlichen ihre Produktionsmittel verwendet, die aber einen Großteil ihrer Produkte unter einer gemeinsamen Marke über eine Kapitalgesellschaft vertreiben, deren Anteile von den Mitgliedern der Gesellschaften bürgerlichen Rechts und anderen Angehörigen der betreffenden Familie gehalten werden, als mehrwertsteuerpflichtige eigenständige Unternehmer anzusehen sind.
2.Art 25 der RL 77/388/EWG idF RL 2004/66/EG und Art 296 der RL 2006/112/EG sind dahin auszulegen, dass sie der Möglichkeit, die Anwendung der in diesen Artikeln vorgesehenen gemeinsamen Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf mehrere Gesellschaften bürgerlichen Rechts wie die des Ausgangsverfahrens, die als mehrwertsteuerpflichtige eigenständige Unternehmer angesehen werden und untereinander zusammenarbeiten, mit der Begründung abzulehnen, dass eine Kapitalgesellschaft, eine aus den Mitgliedern dieser Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildete Personenvereinigung oder eine aus der Kapitalgesellschaft und den Mitgliedern der Gesellschaften bürgerlichen Rechts gebildete Personenvereinigung aufgrund der Betriebsgröße oder der Rechtsform nicht unter die Pauschalregelung fällt, auch dann nicht entgegenstehen, wenn die Gesellschaften bürgerlichen Rechts nicht zu einer Gruppe von der Pauschalregelung ausgenommener Erzeuger gehören, sofern sie aufgrund ihrer Verbindungen zur Kapitalgesellschaft oder einer dieser Vereinigungen faktisch in der Lage sind, die Verwaltungskosten iZm den sich aus der Anwendung der normalen oder der vereinfachten Mehrwertsteuerregelung ergebenden Aufgaben zu tragen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
3.Falls die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger für Gesellschaften bürgerlichen Rechts wie die des Ausgangsverfahrens grundsätzlich ausgeschlossen sein sollte, ist dieser Ausschluss für den Zeitraum vor dem Zeitpunkt wirksam, zu dem die dem Ausschluss zugrunde liegende Einschätzung vorgenommen wurde, sofern die Einschätzung innerhalb der Verjährungsfrist für das Handeln des Finanzamts erfolgt und ihre Folgen nicht bis zu einem Zeitpunkt vor Eintritt der ihr zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage zurückwirken.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22447 vom 13.10.2016