News

EuGH: Widerruf des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2004/83/EG: Art 21, Art 24

1. Ein einem Flüchtling (hier: türkischer Staatsangehöriger kurdischer Abstammung) erteilter Aufenthaltstitel kann widerrufen entweder

-nach Art 24 Abs 1 RL 2004/83/EG1, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung iS dieser Bestimmung vorliegen, oder
-nach Art 21 Abs 3 der RL 2004/83/EG, wenn Gründe für die Anwendung der in Art 21 Abs 2 RL 2004/83/EG vorgesehenen Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen.

2. Auch wenn die Voraussetzungen des Art 21 Abs 2 RL 2004/83/EG nicht erfüllt sind, kann daher die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung einen der „zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ iSv Art 24 Abs 1 RL 2004/83/EG darstellen, wenn es sich wie hier um eine Vereinigung handelt, die zu dem betreffenden Zeitpunkt in der entsprechenden Fassung der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. 12. 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgeführt ist (hier: PKK). Bei einem Widerruf des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung müssen die zuständigen Behörden aber unter der Kontrolle der nationalen Gerichte eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung der spezifischen tatsächlichen Umstände vornehmen, die sich sowohl auf die Handlungen der betroffenen Vereinigung als auch auf die des betroffenen Flüchtlings beziehen.

3. Wenn ein Mitgliedstaat zwar die Ausweisung eines Flüchtlings verfügt, dessen Aufenthaltstitel aufgehoben worden ist, aber die Vollstreckung dieser Entscheidung aussetzt, ist es mit der RL 2004/83/EG unvereinbar, diesem Flüchtling den Zugang zu den durch das Kapitel VII der RL 2004/83/EG gewährleisteten Vergünstigungen2 zu versagen, sofern nicht eine in der RL 2004/83/EG selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Es liegt somit nicht im Ermessen eines Mitgliedstaats, einem Flüchtling die diesem nach der RL 2004/83/EG zustehenden substanziellen Vergünstigungen weiterhin zu gewähren oder zu versagen. (so insb auf Schutz vor Zurückweisung, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Sozialhilfeleistungen, medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen)

EuGH 24. 6. 2015, C-373/13, T.; zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen

Hinweise: Zur offensichtlich derzeit aktuellen Liste der terroristischen Vereinigungen siehe den Beschluss (GASP) 2015/521 des Rates vom 26. 3. 2105, ABl L 87 vom 27. 3. 2015 S 107; die PKK ist darin nach wie vor enthalten.

Zur – dennoch möglichen – Flüchtlingseigenschaft eines Mitglieds einer terroristischen Vereinigung (ebenfalls betr PKK) vgl schon EuGH 9. 11. 2010, C-57/09 und C-101/09, B, LN Rechtsnews 10091 vom 9. 11. 2010.

1

RL 2004/83/EG des Rates vom 29. 4. 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes


2

Die durch Kapitel VII der RL 2004/83/EG gewährleisteten Vergünstigungen sind insb Schutz vor Zurückweisung, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Sozialhilfeleistungen, medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen.


Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19737 vom 25.06.2015