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EuGH: Wohnsitzauflage für Personen mit subsidiärem Schutzstatus?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2011/95/EU: Art 29, Art 33

Hat ein Mitgliedstaat Personen internationalen Schutz gewährt, muss er ihnen grds auch gestatten, sich in ihrem Hoheitsgebiet frei zu bewegen und ihren Aufenthalt zu wählen.

Im Hinblick auf das Ziel, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat zu erleichtern, kann eine Wohnsitzauflage für Personen mit subsidiärem Schutzstatus, denen Sozialhilfe gewährt wird, jedoch uU gerechtfertigt sein, wenn sie in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sind als andere Sozialhilfebezieher, die keine EU-Bürger sind und sich rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten.

EuGH 1. 3. 2016, C-443/14 und C-444/14, Alo

Sachverhalt

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Nach der RL 2011/95/EU [über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes] müssen die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen sie den subsidiären Schutzstatus zuerkannt haben, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen gestatten wie für andere Nicht-EU-Bürger, die sich rechtmäßig dort aufhalten.

Nach deutschem Recht wird die Aufenthaltserlaubnis von Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die soziale Leistungen beziehen, mit der Auflage verbunden, ihren Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen (Wohnsitzauflage).

Herr Alo und Frau Osso sind syrische Staatsangehörige, die 1998 bzw 2001 nach Deutschland kamen. Sie stellten dort erfolglos Asylanträge, ihnen wurde aber subsidiärer Schutz gewährt. Zudem wurde ihnen eine Wohnsitzauflage erteilt, die sie vor den deutschen Gerichten anfechten; das dt Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang drei Vorlagefragen zur Vereinbarkeit der Wohnsitzauflage mit der RL 2011/95/EU an den EuGH gerichtet.

Entscheidung

Rechtfertigung im Hinblick auf Integration

Der EuGH verlangt vom nationalen Gericht somit die Prüfung, ob der Umstand, dass der drittstaatsangehörige Sozialhilfebezieher internationalen Schutz genießt, impliziert, dass er in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sein wird als ein anderer drittstaatsangehöriger Sozialhilfebezieher.

Dazu gibt der EuGH den Hinweis, dass dies insbesondere dann der Fall sein könnte, wenn der rechtmäßige Aufenthalt in Deutschland bei anderen Drittstaatsangehörigen in der Regel nach den nationalen Vorschriften davon abhängt, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst sichern können, und sie erst nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von gewisser Dauer Sozialhilfe in Anspruch nehmen können. Dies könnte nach Ansicht des EuGH darauf hindeuten, dass diese Drittstaatsangehörigen infolge des längeren Aufenthalts in Deutschland bereits hinreichend integriert sind und daher im Hinblick auf das Ziel einer Integration von Drittstaatsangehörigen nicht mit Personen vergleichbar sind, die internationalen Schutz genießen und von Anfang an Sozialhilfe erhalten.

Nationaler Verteilungsmechanismus

Zu seinen Ausführungen, dass sich Personen mit internationalem Schutzstatus im Aufnahmemitgliedstaat grds unbeschränkt frei bewegen und ihren Aufenthalt wählen dürfen, weist der EuGH zur Klarstellung auch darauf hin, dass diese Schlussfolgerung auch nicht durch Art 32 Abs 2 RL 2011/95/EU in Frage gestellt wird: Ein danach zulässiger „nationalen Verteilungsmechanismus“ für Personen mit internationalem Schutzstatus betreffe nämlich nur den Zugang zu Wohnraum.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Art 33 der RL 2011/95/EU [...] ist dahin auszulegen, dass eine Wohnsitzauflage, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus erteilt wird, auch dann eine Einschränkung der durch diesen Artikel gewährleisteten Freizügigkeit darstellt, wenn sie es dieser Person nicht verbietet, sich frei im Hoheitsgebiet des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats zu bewegen und sich dort vorübergehend außerhalb des in der Wohnsitzauflage bezeichneten Ortes aufzuhalten.
2.Die Art 29 und 33 der RL 2011/95/EU sind dahin auszulegen, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, wenn in der anwendbaren nationalen Regelung nicht vorgesehen ist, dass eine solche Maßnahme Flüchtlingen, Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, und Angehörigen dieses Mitgliedstaats im Fall des Bezugs der genannten Leistungen auferlegt wird.
3.Art 33 der RL 2011/95/EU ist dahin auszulegen, dass er einer Wohnsitzauflage nicht entgegensteht, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen mit dem Ziel erteilt wird, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, zu erleichtern - während die anwendbare nationale Regelung nicht vorsieht, dass eine solche Maßnahme Drittstaatsangehörigen auferlegt wird, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten und die genannten Leistungen beziehen -, sofern sich die Personen mit subsidiärem Schutzstatus nicht in einer Situation befinden, die im Hinblick auf das genannte Ziel mit der Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, objektiv vergleichbar ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21225 vom 02.03.2016