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Grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung - Lohnunterlagen

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

AVRAG: § 7d, § 7i idF BGBl I 2015/113

Inländische Beschäftiger von grenzüberschreitend überlassenen Arbeitskräften müssen - bei verwaltungsrechtlicher Strafdrohung - bestimmte Lohnunterlagen am Arbeits- bzw Einsatzort der Arbeitnehmer in deutscher Sprache bereithalten (vgl § 7d AVRAG aF bzw § 22 LSD-BG). Gegen diese Bestimmung bestehen aus dem Blickwinkel des Unionsrechts keine Bedenken, weil sie einerseits ein Ziel im Allgemeininteresse verfolgt (sozialer Schutz der Arbeitnehmer und Kontrolle der Gewährleistung dieses Schutzes) und sie andererseits Kontrollorganen erst ermöglicht, am Arbeits- bzw Einsatzort jene Erhebungen durchzuführen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Entgeltbestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten.

Auch gegen den Umstand, dass die Lohnunterlagen bereits ab dem ersten Arbeitstag am Arbeitsort bereitgehalten werden müssen, bestehen keine unionsrechtlichen Bedenken, weil nur auf diese Weise eine effektive Kontrolle auch hinsichtlich solcher entsendeter Arbeitskräfte möglich ist, die am Arbeitsort nur für kurze Zeit beschäftigt werden.

VwGH 28. 2. 2017, Ra 2016/11/0164

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall wurden 16 Arbeitskräfte von einer in der Slowakei ansässigen Gesellschaft an eine GmbH mit Sitz in Wien überlassen. Bei einer Kontrolle lagen die Lohnunterlagen nicht am Arbeitsort (Baustelle) auf, weshalb über den handelsrechtlichen Geschäftsführer der GmbH wegen Übertretung des § 7d Abs 1 und 2 AVRAG idF BGBl I 2015/113 16 Geldstrafen zu je € 1.000,- verhängt wurden.

Der Geschäftsführer macht in seiner Revision va einen Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben geltend: Die Verpflichtung zur Bereithaltung der übersetzten Unterlagen bereits ab dem ersten Tag der Beschäftigung stelle eine zusätzliche Wettbewerbsbehinderung dar, weil sich der Arbeitsbeginn zwangsläufig verzögere, „wenn zuerst auf die Übersetzung von Unterlagen gewartet werden muss“.

Diese Rechtsansicht wird vom VwGH nicht geteilt:

Entscheidung

EuGH-Judikatur

Zu einer vergleichbaren deutschen Rechtsvorschrift hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass dadurch zwar der freie Dienstleistungsverkehr beschränkt wird, diese Beschränkung aber durch ein im Allgemeininteresse liegendes zwingendes Ziel gerechtfertigt ist, nämlich durch den sozialen Schutz der Arbeitnehmer und die Kontrolle der Gewährleistung dieses Schutzes (EuGH 18. 7. 2017, C-490/04, Kommission gegen Deutschland). Der EuGH hat in diesem Urteil auch betont, dass die deutsche Vorschrift - im Unterschied zu jener, die dem Urteil EuGH 23. 11. 1999, C-369/96, Arblade, zugrunde lag und die Überwachungsaufgaben der Behörden in Bezug auf das Vorhandensein der Unterlagen lediglich habe „erleichtern“ sollen - die Kontrolle der Baustellen „vielmehr ermöglichen“ solle.

Die Materialien zum LSDB-G, BGBl I 2011/247, mit dem ua die Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen in deutscher Sprache in das AVRAG eingefügt wurde, nehmen hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht ausdrücklich Bezug auf die genannten Urteile des EuGH (vgl ErläutRV 1076 BlgNR 24. GP, 6).

Keine Unionsrechtswidrigkeit

Aus dem Gesagten ergibt sich für den VwGH somit, dass gegen die Verpflichtung zur Bereithaltung von Unterlagen betreffend die Lohneinstufung in deutscher Sprache am Arbeitsort aus dem Blickwinkel des Unionsrechts keine Bedenken bestehen, weil diese Verpflichtung einerseits ein „im Allgemeininteresse liegendes Ziel“ verfolgt (als solches hat der EuGH ausdrücklich auch die „Kontrolle der Gewährleistung“ des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer genannt; vgl C-490/04, Rn 70) und sie (so auch die Gesetzesmaterialien) den Kontrollorganen erst „ermöglicht ..., am Arbeits(Einsatz)ort die Erhebungen durchzuführen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Entgeltbestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmer/innen zu gewährleisten. Solche Erhebungen vor Ort würden in der Praxis übermäßig erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht, wenn diese Unterlagen nicht in Deutsch vorgelegt werden“.

In diesem Zusammenhang verweist der VwGH auch auf das Erk VwGH 6. 3. 2014, 2013/11/0143, ARD 6411/10/2014, in dem (ebenfalls unter Bezugnahme auf Judikatur des EuGH) bereits eine ähnliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Bereithaltung von Unterlagen (nämlich betreffend die Anmeldung zur Sozialversicherung) als unionsrechtlich unbedenklich angesehen wurde, weil sie nicht nur der Wahrung eines Allgemeininteresses dient (Schutz der sozialen Sicherheit der entsendeten Arbeitnehmer), sondern auch die Dienstleistungsfreiheit nicht übermäßig einschränkt, somit nicht exzessiv ist und überdies ein „effektives und geeignetes“ Mittel darstellt, um dem genannten Schutz Rechnung zu tragen.

Unter Berücksichtigung der genannten Kriterien hält es der VwGH unionsrechtlich auch für nicht bedenklich, dass die in § 7d Abs 1 AVRAG genannten Unterlagen (hier: betreffend die ordnungsgemäße Entlohnung) bereits ab dem ersten Arbeitstag am Arbeitsort (Baustelle) bereitgehalten werden müssen, weil nur auf diese Weise eine effektive Kontrolle auch betreffend nur kurzfristig entsendeter Arbeitskräfte möglich ist. Der VwGH hält die Verpflichtung weiters für nicht unverhältnismäßig, weil die Unterlagen betreffend die Entlohnung beim Arbeitgeber naturgemäß bereits existieren und nicht erst (nachträglich) erstellt werden müssen (bzw diese bei Überlassung von Arbeitskräften vom Überlasser an den Beschäftiger bereitzustellen sind; § 7d Abs 2 zweiter Satz AVRAG). Damit ist es aber im Regelfall auch möglich, eine Übersetzung in die deutsche Sprache schon vor der grenzüberschreitenden Entsendung anfertigen zu lassen (nicht zuletzt auch deshalb, weil die Entsendung im Regelfall nicht unvorhergesehen erfolgt, zumal diese grundsätzlich auch schon eine Woche zuvor der österreichischen Behörde zu melden ist; § 7b Abs 3 AVRAG).

Kein Grund für ein Absehen von der Strafe

Im Falle eines Verstoßes gegen die Bereithaltungspflicht ist ein Absehen von der Strafe (bei allfälliger Ermahnung des Beschuldigten) prinzipiell möglich, aber nur bei geringfügigem Verschulden und unbedeutenden Folgen der Übertretung.

Im vorliegenden Fall sind nach Ansicht des VwGH die Voraussetzungen des § 45 Abs 1 Z 4 VStG jedoch nicht erfüllt, weil die Lohnunterlagen der überlassenen Arbeitskräfte der Behörde selbst am Tag nach der Kontrolle nicht zur Überprüfung vorlagen. Der Revisionswerber hat daher das öffentliche Interesse an der Kontrolle der Einhaltung des Mindestentgelts (somit die Möglichkeit der Überprüfung seiner Behauptung, dass die Arbeitskräfte rechtmäßig entlohnt wurden) nicht unbedeutend verletzt.

Anmerkung:

Vor Kurzem hat das BG Bleiburg mehrere Fragen iZm den Regelungen des LSDB-G an den EuGH gerichtet (anhängig zu C-33/17, Cepelnik). Das BG Bleiburg fragt sich va, ob es mit der Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) und der RL 2014/67/EU (Durchsetzungs-RL) vereinbar ist, einen Zahlungstopp und eine Sicherheitsleistung in Höhe des aushaftenden Werklohns gegen den inländischen Auftraggeber zu verhängen, wenn der Zahlungsstopp und die Sicherheitsleistung allein der Sicherstellung eines allfälligen Bußgeldes dienen, das erst in einem gesonderten Verfahren gegen einen Dienstleistungserbringer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat verhängt werden soll.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23342 vom 29.03.2017