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GSpG: Amtswegigkeitsprinzip im Verwaltungsstrafverfahren

B-VG Art 130

VStG § 25

VwGVG: § 38, § 50

Gemäß der Verweisungsbestimmung des § 38 VwGVG gilt im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gem § 25 Abs 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gem § 25 Abs 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit; die bisherige Judikatur des VwGH zu diesen Grundsätzen kann auch für das Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten herangezogen werden. Das Verwaltungsgericht hat somit von Amts wegen unabhängig von Parteivorbringen und -anträgen den wahren Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln. Da das Verwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen immer in der Sache selbst entscheidet (Art 130 Abs 4 erster Satz B-VG; s auch § 50 VwGVG), kommt ihm in jedem Fall auch die Befugnis und Verpflichtung zu allenfalls erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zu.

Gegen die Geltung des Amtswegigkeitsprinzips in Verwaltungsstrafsachen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

VwGH 15. 12. 2014, Ro 2014/17/0121

Sachverhalt:

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hatte in drei Entscheidungen zur Beschlagnahme und Einziehung von Spielapparaten bzw Bestrafung nach dem GSpG die Auffassung vertreten, das österreichische GSpG widerspreche dem Unionsrecht und sei daher nicht anzuwenden. Es diene in der Hauptsache nicht dem Spielerschutz und der Prävention von Kriminalität, sondern der Einnahmenmaximierung im Wege der Besteuerung des Glücksspielwesens.

Diese Auffassung des LVwG hätte im Ergebnis dazu geführt, dass das Aufstellen von Glücksspielapparaten ohne Beschränkung möglich wäre. Der BMF wandte sich gegen diese Entscheidungen an den VwGH.

Entscheidung:

Mit den Erkenntnissen Ro 2014/17/0120, Ro 2014/17/0121 (Leiterkenntnis) und Ro 2014/17/0123 vom 15. 12. 2014 hob der VwGH die Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichts OÖ auf.

Zuständigkeit der BH

Zunächst hatte es das Landesverwaltungsgericht OÖ unterlassen, von Amts wegen Feststellungen betr die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde erster Instanz zu treffen (Feststellungen zu den möglichen Höchsteinsätzen auf den beiden Glücksspielgeräten).

Seit der GSpG-Novelle BGBl I 2014/13 ist eine Tat gem § 52 Abs 3 GSpG nur nach den Verwaltungsstrafbestimmungen des § 52 GSpG zu bestrafen, wenn durch diese Tat sowohl der Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach § 52 GSpG als auch der Tatbestand des § 168 StGB verwirklicht ist. Diese Bestimmung trat erst am 1. 3. 2014 in Kraft und stand hier somit im Zeitpunkt der Entscheidung der BH Vöcklabruck am 31. 5. 2012 (Ro 2014/17/0121) noch nicht in Geltung. Bei Überprüfung der Frage, ob jene Verwaltungsbehörde, die als erste Instanz entschieden hat, auch tatsächlich zur Entscheidung zuständig war, ist die Zuständigkeitsvorschrift heranzuziehen, die im Zeitpunkt der Entscheidung durch die erstinstanzliche Behörde in Geltung stand (hier also § 52 Abs 2 GSpG idF vor der Novelle BGBl I 2014/13). Eine Heilung einer allenfalls vorliegenden Unzuständigkeit kommt nicht in Betracht.

Untersuchungsgrundsatz

Weiters hatte das LVwG nicht geprüft, ob das Unionsrecht überhaupt anwendbar ist.

Der VwGH verneinte im Gegensatz zum LVwG, dass der EuGH in der Rs C-390/12 (LN Rechtsnews 17196 vom 2. 5. 2014 = RdW 2014/265) der Geltung des Amtswegigkeitsprinzips eine Absage erteilt hatte.

Zur Geltung des Amtswegigkeitsgrundsatzes hält der VwGH zunächst im Allgemeinen fest, dass die Anwendung des Unionsrechts durch die Behörden der Mitgliedstaaten nach dem nationalen Verfahrensrecht zu erfolgen hat, soweit das Unionsrecht hier keine Verfahrensvorschriften enthält (Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten). Diese Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten sei nach der Rsp des EuGH jedoch durch die (unionsrechtlichen) Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beschränkt.

Die Geltung des Amtswegigkeitsprinzips stehe nach der österreichischen Rechtslage dem Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes keinesfalls entgegen. Auch jener der Äquivalenz spreche nicht dagegen, weil der Amtswegigkeitsgrundsatz gleichermaßen in Verwaltungsstrafverfahren gilt, in denen auf das Unionsrecht gestützte Rechte zu prüfen sind, wie in solchen mit ausschließlich innerstaatlichem Bezug.

Wie bereits im Leitsatz festgehalten, gelten gem § 38 VwGVG iVm § 25 VStG im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten der Amtswegigkeitsgrundsatz und der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit. Es kann daher - so der VwGH - die Judikatur des VwGH hiezu auch für das Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten herangezogen werden.

Betreffend die Ermittlung des Sachverhaltes bedeute dies, dass die Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, von Amts wegen ohne Rücksicht auf Vorträge, Verhalten und Behauptungen der Parteien die entscheidungserheblichen Tatsachen zu erforschen und deren Wahrheit festzustellen. Der Untersuchungsgrundsatz verwirkliche das Prinzip der materiellen (objektiven) Wahrheit und verbiete es, den Entscheidungen einen bloß formell (subjektiv) wahren Sachverhalt zugrunde zu legen. Der Auftrag zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichte die Verwaltungsgerichte, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. In diesem Sinne seinen alle sich bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und insb diejenigen Beweise zu erheben, die sich nach den Umständen des jeweiligen Falles anbieten oder als sachdienlich erweisen können. Die Sachverhaltsermittlungen seien ohne Einschränkungen eigenständig vorzunehmen.

Auch eine den Beschuldigten allenfalls treffende Mitwirkungspflicht enthebe das Verwaltungsgericht nicht seiner aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit erfließenden Pflicht, zunächst selbst - soweit das möglich ist - für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen. Die Mitwirkungspflicht der Partei habe insb dort Bedeutung, wo ein Sachverhalt nur im Zusammenwirken mit der Partei geklärt werden kann.

Um rechtens zu der Beurteilung zu gelangen, dass Bestimmungen des GSpG dem Unionsrecht widersprechen, hätte das LVwG OÖ daher nach Durchführung eines dem Amtswegigkeitsprinzip entsprechenden Verfahrens konkrete Tatsachenfeststellungen zu treffen gehabt, aus denen abzuleiten gewesen wäre, dass Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch das GSpG iSd Rsp des EuGH nicht gerechtfertigt sind.

Parteiengehör

Den Parteien wären insb weiters gem § 38 VwGVG iVm § 24 VStG und § 45 Abs 3 AVG die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorzuhalten und ihnen die Möglichkeit einzuräumen gewesen, dazu ein Vorbringen zu erstatten und Beweise für die eigenen Behauptungen anzubieten (Grundsatz der Wahrung des Parteiengehörs). Nur wenn diese Verfahrensschritte zur Gewährung des Parteiengehörs zuvor gesetzt wurden, könne auch von einer Verletzung einer Mitwirkungspflicht der Partei ausgegangen werden.

Es kann nach Ansicht des VwGH keinesfalls ausgeschlossen werden, dass das Landesverwaltungsgericht OÖ bei Einräumung des Parteiengehörs zu einem anderslautenden Erkenntnis gelangt wäre. Indem es diese Verfahrensschritte nicht gesetzt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Zudem wies der VwGH darauf hin, dass das Verwaltungsgericht gem § 44 Abs 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen hat. In § 44 Abs 2 bis 5 VwGVG finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht; ein Absehen von der Verhandlung wäre nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen gewesen (vgl VwGH 31. 7. 2014, Ra 2014/02/0011).

Hinweis:

Dass das Amtswegigkeitsprinzip im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs 2 AVG auch außerhalb des Verwaltungsstrafverfahrens gilt, hat der VwGH bereits ausgesprochen (vgl VwGH 26. 6. 2014, Ro 2014/03/0063, LN Rechtsnews 17645 vom 11. 7. 2014).

Die Volltexte der Entscheidungen und die Pressemitteilung sind derzeit auf der Homepage des VwGH (www.vwgh.gv.at) unter „Aktuelles“ - „Pressemitteilungen“ abrufbar.

Bearbeiterinnen: Sabine Kriwanek, Barbara Tuma

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 18729 vom 12.01.2015