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Haftung des GmbH-Geschäftsführers gegenüber dem IE-Fonds nach Betrug

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

IESG § 11 Abs 3 Satz 3

Hat der Insolvenz-Entgelt-Fonds den Arbeitnehmern einer insolventen GmbH Insolvenz-Entgelt gezahlt, kann er gemäß § 11 Abs 3 Satz 3 IESG zur Hereinbringung dieser Forderungen auch auf das Vermögen eines GmbH-Organs zugreifen, wenn dieses „im Zusammenhang mit der Insolvenz“ wegen gewisser Delikte (zB wegen schweren Betruges gem § 147 StGB) strafgerichtlich verurteilt worden ist. § 11 Abs 3 Satz 3 IESG ordnet eine Tatbestandswirkung des Strafurteils und damit eine unmittelbar auf Gesetz beruhende Haftung der Organe dem Fonds gegenüber an. Der erforderliche Zusammenhang der Verurteilung mit der Insolvenz liegt jedenfalls dann vor, wenn das zur strafrechtlichen Verurteilung führende Verhalten des Organs abstrakt geeignet war, die Insolvenz herbeizuführen oder den durch die Insolvenz ausgelösten Forderungsausfall des Insolvenz-Entgelt-Fonds zu vergrößern (hier: Täuschung einer dritten Gesellschaft über die Zahlungsfähigkeit der GmbH, wodurch diese zur Überlassung von Leiharbeitskräften veranlasst und die Insolvenz verschleppt wurde).

OGH 22. 9. 2015, 4 Ob 151/15g

Sachverhalt

Der Beklagte war Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Mit rechtskräftigem Strafurteil wurde er des Verbrechens des schweren Betrugs schuldig gesprochen, weil er eine dritte Gesellschaft durch Täuschung über die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit der GmbH zur Überlassung von Arbeitskräften verleitet hat, wodurch die dritte Gesellschaft im Ausmaß von € 95.184,74 am Vermögen geschädigt wurde. Infolge der Insolvenz wurde an die Arbeitnehmer der GmbH Insolvenz-Entgelt im Ausmaß von € 139.504 bezahlt.

Hinsichtlich dieser Forderungen von € 139.504 nimmt nun der klagende Insolvenz-Entgelt-Fonds den Beklagten in Anspruch.

Der OGH hat den Rekurs ua mangels Rechtsprechung zu § 11 Abs 3 IESG zugelassen.

Entscheidung

Tatbestandswirkung des Strafurteils

Gemäß § 11 Abs 3 IESG ist der Insolvenz-Entgelt-Fonds berechtigt, zur Hereinbringung der auf ihn übergegangenen und nicht hereingebrachten Forderungen auf das Vermögen des Organs des Arbeitgebers zu greifen, wenn es „im Zusammenhang mit der Insolvenz“ nach § 1 IESG (zB) wegen schweren Betruges (§ 147 StGB) verurteilt worden ist.

Insoweit § 11 Abs 3 IESG den Rückgriffsanspruch des Insolvenz-Entgelt-Fonds von der Existenz eines Strafurteils gegen das Organ iZm der Insolvenz abhängig macht (und etwa nicht bloß von einer strafbaren Handlung), ordnet diese Bestimmung daher eine Tatbestandswirkung des Strafurteils an. Aus dieser ergibt sich eine unmittelbar auf Gesetz beruhende Haftung des Organs für die übergegangenen Entgeltansprüche dem Fonds gegenüber. § 11 Abs 3 IESG macht hinsichtlich der von der Straftat umfassten Handlungen den Rückgriff auf schadenersatzrechtliche Anspruchsvoraussetzungen somit entbehrlich. Im Anwendungsbereich des § 11 Abs 3 IESG ist vielmehr für die Haftung dem Grunde nach nur darauf abzustellen, ob gegen das Organ wegen der dort angeführten Delikte eine strafgerichtliche Verurteilung „iZm der Insolvenz“ vorliegt.

Selbstständiger Rückgriffsanspruch

Weder die Systematik noch der Zweck der Bestimmung sprechen gegen einen selbstständigen Rückgriffsanspruch.

Während § 11 Abs 1 Satz 1 IESG den Rückgriffsanspruch des Insolvenz-Entgelt-Fonds auf das nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verbliebene „Altvermögen“ beschränkt (als Äquivalent für die Beitragsleistungen, die allein von Arbeitgeberseite zu entrichten sind), erweitert § 11 Abs 3 Satz 3 IESG demgegenüber (arg „allerdings“) den Rückgriffsanspruch bei bestimmten strafgerichtlichen Verurteilungen auf das gesamte Vermögen des Arbeitgebers und auch auf das Vermögen des Organs. Damit wurde einerseits der Zugriff auf das „Neuvermögen“ des Arbeitgebers gestattet und andererseits auch eine besondere Organhaftung normiert (idS auch OGH 6. 5. 1998, 13 Os 59/98 [„ergänzend statuiert“] mwN).

Dementsprechend wird in den Materialien zum IRÄG 1994 die Regelung dahin erklärt, dass die Möglichkeit geschaffen werden soll, zur Abdeckung der auf den Fonds übergegangenen und nicht hereingebrachten Forderungen auf das Vermögen des Organs zu greifen, wenn dieses wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurde (ErläutRV 1384 BlgNR 18. GP 13). Die Eigenständigkeit dieses gesetzlichen Anspruchs ergibt sich auch aus dem Umstand, dass allfällige auf den Fonds übergegangene vertragliche Erfüllungsansprüche gegen das Organ an der fehlenden Arbeitgeberstellung des Organs scheitern müssten.

Bei den in § 11 Abs 3 IESG angeführten Straftaten geht der Gesetzgeber davon aus, dass die verurteilte Person „durch das strafwürdige Verhalten regelmäßig zur Insolvenz (wesentlich) beigetragen hat“ (ErläutRV 946 BlgNR 22. GP 6). Auch dieser Umstand stützt die Rechtsansicht, dass § 11 Abs 3 Satz 3 IESG einen selbstständigen Rückgriffsanspruch normiert, der unabhängig von den Voraussetzungen für einen (daneben möglichen) allgemeinen Schadenersatzanspruch zu prüfen ist. Bei einer im „Zusammenhang mit der Insolvenz“ erfolgten Verurteilung wegen der in § 11 Abs 3 IESG genannten Delikte ist der Rückgriffsanspruch des Insolvenz-Entgelt-Fonds daher nicht davon abhängig, ob auch nach allgemeinem Zivilrecht ein Anspruch des Fonds gegen das Organ bestünde.

Unmittelbar auf Gesetz beruhende Haftung

Durch die Konstruktion einer Urteilswirkung als Tatbestandswirkung darf allerdings der Grundsatz nicht unterlaufen werden, dass die Rechtskraft, insbesondere die Bindungswirkung des Urteils, nur die Parteien erfasst und jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, soweit es um seine zivilrechtlichen Ansprüche geht. Eine Tatbestandswirkung kann daher nur soweit eingreifen, als der durch die Tatbestandswirkung Betroffene in dem vorangegangenen Verfahren zu der von der Tatbestandswirkung betroffenen Frage rechtliches Gehör hatte (grundlegend 1 Ob 694/89). Dem beklagten Geschäftsführer wurde im Strafprozess als Angeklagter uneingeschränkt rechtliches Gehör gewährt, weshalb die hier zu bejahende Tatbestandswirkung keinen Bedenken aus Sicht des rechtlichen Gehörs begegnet.

Im Sinne der zutreffenden Ansicht von Holzer/Reissner/Schwarz (Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 349) ist daher davon auszugehen, dass im Fall einer Verurteilung wegen der in § 11 Abs 3 Satz 3 IESG genannten Delikte eine unmittelbar auf Gesetz beruhende Haftung der Organe für die übergegangenen Entgeltansprüche dem Fonds gegenüber angeordnet wird.

Direkter Zusammenhang mit Insolvenz

Die normierten Straftatbestände müssen allerdings im direkten Zusammenhang mit der eingetretenen Insolvenz stehen. Ein solcher Zusammenhang liegt hier durch das strafwürdige Verhalten des Geschäftsführers vor. Dieser wurde nämlich deshalb wegen des Verbrechens des schweren Betrugs verurteilt, weil er eine (dritte) Gesellschaft über die Zahlungsfähigkeit der GmbH getäuscht hat.

Die Vorinstanzen haben in diesem Zusammenhang zutreffend eine Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis bejaht und sind vom - dem Strafurteil zugrundeliegenden - Umstand ausgegangen, dass der Geschäftsführer seit Juli 2007 von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH wusste.

§ 11 Abs 3 Satz 3 IESG verlangt einen Zusammenhang der Verurteilung mit der Insolvenz. Ein solcher liegt jedenfalls dann vor, wenn das zur strafrechtlichen Verurteilung führende Verhalten des Organs abstrakt geeignet war, die Insolvenz herbeizuführen oder den durch die Insolvenz ausgelösten Forderungsausfall des Insolvenz-Entgelt-Fonds zu vergrößern. Das ist hier schon deshalb der Fall, weil die in betrügerischer Absicht durch den Geschäftsführer erreichte Überlassung von Leiharbeitskräften geeignet war, eine Insolvenzverschleppung herbeizuführen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20426 vom 21.10.2015