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Haftungsverbund mehrerer Banken - Wissenszurechnung?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

WAG 2007 § 1

Der Haftungsverbund der österreichischen S***** ist keine Gruppe iSd § 1 Z 32 WAG 2007 (mit der Rechtsfolge, dass es zu einer Wissenszurechnung innerhalb derselben käme); auch ein analoge Anwendung scheidet aus. Die Mitgliedschaft in einem gemeinsamen Haftungsverbund bewirkt noch keinen Verlust der Eigenständigkeit, bezweckt der Haftungsverbund doch lediglich die Vermeidung von Überschneidungen und Doppelgleisigkeiten im lokalen Marktauftritt mit dem Hauptziel der Steigerung von Marktanteilen und betriebswirtschaftlichen Erfolgen der S*****gruppe. Auch der gemeinsame Werbeauftritt für bestimmte Produkte führt noch nicht zum Verlust der rechtlichen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit der im Haftungsverbund zusammenarbeitenden selbstständigen Banken. Organverflechtungen oder Beteiligungen der Mitglieder des Haftungsverbunds wurden im vorliegenden Fall nicht festgestellt und auch nicht behauptet.

OGH 21. 2. 2017, 4 Ob 148/16t

Sachverhalt

Zweitbekl ist eine Bank, bei der die Kl Mitte 2010 Anleihen der A***** Holding GmbH kaufte, über deren Vermögen in der Folge im Juli 2013 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Erstbekl war die Emissionsbank; ihr gegenüber ruht das Verfahren aber.

In ihrer Klage vom 9. 7. 2014 (ua auf Aufhebung des Kaufvertrags ex tunc) macht die Kl va geltend, die Zweitbekl habe sie nicht ausreichend über das Risiko der Anleihe aufgeklärt (Möglichkeit eines Kapitalverlusts, Risiko drastischer Verluste der Emittentin aufgrund schlechter Bonität bis hin zum Totalverlust bei Insolvenz). Die Bekl sei auch Mitglied der S***** Gruppe - ebenso wie die E***** Group ***** AG, die emissionsbegleitende Bank der Anleihe und auch eine der größten Kreditgeber der späteren Konkursgesellschaft. Diese Bank habe von der Überschuldung gewusst, und auch andere Mitglieder der Gruppe hätten - ebenso wie die Zweitbekl - ausreichend Möglichkeit gehabt, sich bei ihr ein umfassendes Bild über die tatsächliche finanzielle Situation der Anleiheemittentin zu machen. Die S*****gruppe habe einen einheitlichen Markenauftritt und sei auch für die Erstellung und Prüfung der einzelnen Finanzprodukte verantwortlich. Das Wissen der Bankengruppe sei der Zweitbekl als deren Mitglied daher zuzurechnen.

Die Klage wurde in allen drei Instanzen abgewiesen.

Entscheidung

Keine Gruppe iSv § 1 Z 32 WAG 2007

Als Voraussetzung für eine „Gruppe“ definiert § 1 Z 32 WAG 2007 die Verflechtung als Mutter-/Tochterunternehmen (lit a) bzw für Unternehmen, die untereinander nicht in einer solchen Beziehung stehen (lit b), dass die Unternehmen „aufgrund eines untereinander geschlossenen Vertrags oder einer Satzungsbestimmung dieser Unternehmen einer einheitlichen Leitung unterstehen“ (sublit aa) oder „deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane sich mehrheitlich aus denselben Personen zusammensetzen, die während des Geschäftsjahres und bis zur Aufstellung des konsolidierten Jahresabschlusses im Amt sind“ (sublit bb).

Sämtliche dieser Kriterien liegen iZm der S***** Gruppe nicht vor.

Keine Wissenszurechnung

Die Kl leitet die behauptete Analogie im Wesentlichen daraus ab, dass die Mitglieder der S*****gruppe in einem Haftungsverbund zusammengeschlossen sind, dass der Verband als Interessensvertretung mit dem Zweck der Gesamtvertretung des Sparkassenwesens eingerichtet ist und seine Mitglieder gemeinsame Werbeauftritte für gemeinsame Produkte haben. Dies alles führe dazu, dass es sich bei der Zweitbekl nicht um ein eigenständiges Unternehmen handle, sondern um eine „faktisch unselbstständige Vertriebsabteilung der E***** Group ***** AG“, sodass eine Wissenszurechnung von der E***** Group ***** AG an die Zweitbeklagte vorzunehmen sei.

Dazu verweist der OGH ua auf die Rsp zur Gehilfenhaftung (Wissenszurechnung durch Wissensvertreter, RIS-Justiz RS0016312 [T4]), allerdings auch darauf, dass § 1313 ABGB die Grundregel aufstellt, dass für fremdes Verhalten (oder Wissen) nicht einzustehen ist, und außerhalb sondergesetzlicher Normen eine Zurechnung des Handelns (oder Wissens) Dritter nur im Rahmen der Haftung für Repräsentanten und Besorgungsgehilfen möglich ist; eine gesetzliche Sondernorm für die Zurechnung des Wissens des Geschäftsherrn an den Gehilfen besteht nicht (4 Ob 210/15h, LN Rechtsnews 21237 vom 4. 3. 2016).

In der Lit wird vertreten, dass auch im Konzernverhältnis das Wissen der einen Gesellschaft an die andere Gesellschaft nur dann zuzurechnen sein soll, wenn die konzernmäßige Verbundenheit besonders stark ausgeprägt ist (Iro, Banken und Wissenszurechnung, ÖBA 2001, 112). Die bloße Abhängigkeit genüge für die Zurechnung nicht. Die Zurechnung von Wissen sei nur gerechtfertigt, wenn herrschendes und abhängiges Unternehmen als Teile einer arbeitsteiligen Organisation erscheinen. Dies setze ein Mindestmaß an einheitlicher Unternehmensplanung voraus. Sogar die Mehrheitsbeteiligung an einer AG reiche für die Wissenszurechnung nicht aus (Drexel, Wissenszurechnung im Konzern, ZHR 1997, 491 [517, 519]).

Alle diese Bedingungen liegen nach Ansicht des OGH hier nicht vor: Weder sind die Zweitbekl und die E***** Group ***** AG konzernverbunden, noch ist die Zweitbekl ein abhängiges Unternehmen. Die Mitgliedschaft in einem gemeinsamen Haftungsverbund bewirkt noch keinen Verlust der Eigenständigkeit, bezweckt der Haftungsverbund doch lediglich die Vermeidung von Überschneidungen und Doppelgleisigkeiten im lokalen Marktauftritt mit dem Hauptziel der Steigerung von Marktanteilen und betriebswirtschaftlichen Erfolgen der S*****gruppe (vgl 16 Ok 12/06, LN Rechtsnews 2649 vom 3. 4. 2007).

Auch der gemeinsame Werbeauftritt für bestimmte Produkte führt noch nicht zum Verlust der rechtlichen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit der im Haftungsverbund zusammenarbeitenden selbstständigen Banken. Organverflechtungen oder Beteiligungen zwischen der Zweitbekl und anderen Mitgliedern des Haftungsverbunds wurden nicht festgestellt und auch in der Revision nicht behauptet.

„Reines Ausführungsgeschäft“ gem § 46 WAG 2007

Den OGH überzeugten auch nicht die Ausführungen der Kl, wonach aufgrund der Abhängigkeit der Zweitbekl von der E***** Group ***** AG und der ***** AG kein „reines Ausführungsgeschäft“ vorliege und die Zweitbekl die Kl nach §§ 34, 35 WAG 2007 über ihre Interessenkollision wegen des Haftungsverbunds mit der Kreditbank der Anleihe-Emittentin aufklären hätte müssen.

Bei einem „reinen Ausführungsgeschäft“ gem § 46 WAG 2007 („Execution-only-Business neuer Prägung“) ist der Rechtsträger nicht verpflichtet, sich über Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden zu versichern, und er ist von der Durchführung eines Eignungs- und Angemessenheitstests befreit (6 Ob 179/12k, RdW 2014/40; 1 Ob 48/12h, RdW 2013/341).

Nach § 46 Z 4 WAG 2007 setzen die Erleichterungen für das reine Ausführungsgeschäft jedoch voraus, dass der Rechtsträger seinen Pflichten gem den §§ 34 und 35 WAG 2007 nachkommt. §§ 34, 35 WAG setzen das dreistufige Modell der RL 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID I, ab 3. 2. 2017 RL 2014/65/EU, MiFID II) für das Management von Interessenkonflikten um (Erkennen, Verhindern und Offenlegen; vgl Gruber in Gruber/Raschauer, Wertpapieraufsichtsgesetz [2009] § 34 Rz 7). Die Verpflichtung nach § 34 Abs 1 WAG 2007, angemessene Vorkehrungen zur Erkennung von Interessenkonflikten zu treffen, erfasst sowohl (vertikale) Interessenkonflikte zwischen dem Rechtsträger und seinen Kunden als auch (horizontale) Interessenkonflikte zwischen seinen Kunden untereinander. Zusätzlich zum Rechtsträger nennt § 34 Abs 1 WAG 2007: „relevante Personen, vertraglich gebundene Vermittler oder anderen Personen, die mit ihm direkt oder indirekt durch Kontrolle verbunden sind“. Mit den zuletzt genannten Personen sollen laut Gruber (aaO Rz 13) erkennbar Konzernsachverhalte erfasst werden. Kontrolle ist nach § 1 Z 26 WAG 2007 ein Verhältnis zwischen einem Mutterunternehmen und einem Tochterunternehmen iSv § 244 Abs 1 und 2 UGB oder ein ähnliches Verhältnis zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und einem Unternehmen, das im vorliegenden Fall nicht gegeben ist.

Seggermann (in Brandl/Saria, WAG, 7. Lfg, § 34 Rz 27) betrachtet § 34 WAG 2007 iZm § 35 WAG 2007. In letzterer Bestimmung würden Konzernsachverhalte für das Vermeiden und Offenlegen von Interessenkonflikten nicht unter dem Aspekt der Kontrolle, sondern dem der Gruppe iSv § 1 Z 32 WAG 2007 behandelt. Die Voraussetzungen der „Gruppe“ erfüllt die S***** Gruppe jedoch nicht (siehe oben) und stichhältige Argumente für eine analoge Anwendung des § 1 Z 32 WAG 2007 (über den Wortlaut der genannten Bestimmung hinaus auch auf Interessenkollisionen) sind der Revision nach Auffassung des OGH nicht zu entnehmen.

Die Vorinstanzen haben daher die Haftung der Zweitbekl für den Kapitalverlust der Kl aus dem Anleihe-Investment nach Ansicht des OGH zu Recht verneint.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23539 vom 08.05.2017