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Kaltes Delisting durch Verschmelzung – Rechtsmissbrauch

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AktG: §§ 219 ff

BörseG: § 83

Im (derzeitigen) österreichischen BörseG fehlt für das oberste Marktsegment, den Amtlichen Handel, eine Regelung für den freiwilligen Rückzug von der Börse, während § 83 Abs 4 BörseG den freiwilligen Rückzug aus dem geregelten Freiverkehr auf sehr einfache Weise zulässt; es reicht eine Anzeige im Regelfall einen Monat vor Notierungsbeendigung (freiwilliges Delisting). Von einem unechten oder kalten Delisting spricht man, wenn die Notierungsbeendigung Rechtsfolge einer Umstrukturierung ist, wozu ua eine Verschmelzung der börsenotierten AG auf eine kapitalmarktferne AG gezählt wird. Im Gegensatz zu den Regelungen des Gesellschafter-Ausschlussgesetzes ist für den Fall eines kalten Delistings weder die Höhe einer angebotenen Abfindung geregelt noch können die Minderheitsaktionäre die Angemessenheit einer solchen Abfindung in einem geregelten Verfahren überprüfen lassen.

Ob ein unechtes bzw kaltes Delisting (etwa) durch Verschmelzung auf eine nicht börsenotierte Gesellschaft aufgrund der gegebenen Gesetzeslage nicht ohnehin per se unzulässig ist, musste hier nicht abschließend behandelt werden: Die Verschmelzung der börsenotierten auf eine nicht börsenotierte Gesellschaft war hier nämlich rechtsmissbräuchlich, weil bei Abwägung der Interessen der Gesellschaft und der Minderheitsaktionäre (Streubesitzaktien) ein krasses Missverhältnis zulasten der Aktionäre besteht.

OGH 23. 6. 2017, 6 Ob 221/16t

Entscheidung

Rechtmissbrauch

Der erkennende Senat hat erst jüngst in einem vergleichbaren Fall (6 Ob 122/16h, Rechtsnews 23572 = RdW 2017/286) ausgesprochen, dass Rechtsmissbrauch bzw Schikane nach der jüngeren Rsp auch dann vorliegt, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung das lautere Motiv bzw die lauteren Motive eindeutig überwiegen oder wenn zwischen den eigenen Interessen des Handelnden und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht.

Neben einer freiwilligen Übernahme iSd §§ 4 ff ÜbG kann ein Mehrheitsaktionär (Hauptgesellschafter) nach österreichischem Gesellschaftsrecht eine Übertragung der restlichen Anteile an einer Aktiengesellschaft nur erzwingen, wenn ihm eine Mehrheit von mindestens 90 % des Nennkapitals gehört (§ 1 Abs 2 GesAusG). Diese Voraussetzung liegt hier auf Seiten jener Aktionärsgruppe nicht vor, die das Delisting der Bekl betreibt (W*****-Gruppe). Ein Übernahmeangebot an den Streubesitz scheiterte.

Durch die von der Hauptversammlung am 25. 8. 2015 beschlossene Verschmelzung der börsenotierten Bekl auf die nichtbörsenotierte Holding würden sich die Beteiligungsverhältnisse zwar nicht verändern (die Kl und die Nebenintervenienten wären im selben Verhältnis an der Holding beteiligt). Nach den Feststellungen ist mit einem Börseabgang aber eine erschwerte Handelbarkeit der delisteten Aktien verbunden – welcher Umstand auch durchaus als gerichtsnotorisch angesehen werden kann. Darauf wurde hier im Übrigen im Übernahmeanbot der W*****-Gruppe selbst ausdrücklich hingewiesen (danach würde eine „Beendigung des Börsehandels zu einer voraussichtlich stark eingeschränkten Liquidität der Aktien führen und marktmäßige Preisbildung einschränken“). Auch wenn das ErstG in diesem Zusammenhang nicht feststellen konnte, dass „die Ankündigung des Börserückzugs“ regelmäßig zu einem Kursverlust führt, kann nach Ansicht des OGH zwanglos davon ausgegangen werden, dass der „erfolgte Börseabgang“ der Bekl infolge deren Verschmelzung auf die Holding zu einem Wertverlust der Streubesitzaktien infolge deren eingeschränkter Handelbarkeit führen wird; realistischerweise werden die Streubesitzaktien nämlich in diesem Fall nur noch an die Gruppe der Mehrheitsaktionäre veräußerbar sein.

Im Gegensatz zu den Regelungen des Gesellschafter-Ausschlussgesetzes ist im Fall eines kalten Delistings weder die Höhe einer angebotenen Abfindung geregelt noch können die Minderheitsaktionäre die Angemessenheit einer solchen Abfindung in einem geregelten Verfahren überprüfen lassen.

Stellt man nun diese Interessenlagen einander gegenüber, so ist auf Seiten des Streubesitzes zu beachten, dass sich diese Aktionäre bewusst an einem Börseunternehmen beteiligten und die Börsenotierung zu einer marktmäßigen Preisbildung der Aktie führen sollte; für sie war es nicht absehbar, dass die Bekl durch einseitige gesellschaftsrechtliche Maßnahmen gerade dieses Preisbildungsinstrument beseitigen und ihnen dadurch einen Wertverlust zufügen würde.

Demgegenüber kommt den von der Bekl ins Treffen geführten Argumenten eine untergeordnete Bedeutung zu: Sowohl die Wettbewerbsnachteile als auch die Kosten einer Börsenotierung waren zum Zeitpunkt des Börsegangs entweder bekannt oder mussten jedenfalls bekannt sein. Die Bekl legt nicht dar, aufgrund welcher nachträglich hervorgekommener Umstände die Nachteile entstanden sein sollten.

Zwischen den abzuwägenden Interessen der Kl und der Bekl bestand somit ein krasses Missverhältnis zu Lasten der Kl.

Nichtigkeit des Verschmelzungsbeschlusses

Damit erfolgte im vorliegenden Fall die Mehrheitsbeschlussfassung betreffend die Verschmelzung der Bekl auf die Holding rechtsmissbräuchlich. Der OGH erklärte den Verschmelzungsbeschluss für nichtig und musste die Frage nicht beantworten, ob ein unechtes bzw kaltes Delisting (etwa) durch Verschmelzung auf eine nicht börsenotierte Gesellschaft aufgrund der gegebenen Gesetzeslage nicht ohnehin per se unzulässig ist.

Hinweis:

Durch das BörseG 2018, BGBl I 2017/107 (= Rechtsnews 23940), werden mit 3. 1. 2018 der amtliche Handel und der geregelte Freiverkehr an der Wiener Börse in einen geregelten Markt zusammengeführt. Die fehlende freiwillige Rückzugsmöglichkeit im amtlichen Handel wurde gegenüber ausländischen Börseplätzen zunehmend als Benachteiligung gesehen, weshalb nun auch diese Möglichkeit geschaffen wurde. Zum kalten Delisting s ua § 148a Abs 2a, § 225 Abs 2a und § 240 Abs 3 AktG sowie § 12 Abs 3 SpaltG jeweils idF BGBl I 2017/107.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24318 vom 09.10.2017