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Keine Urlaubsersatzleistung bei unberechtigtem Austritt – Vorabentscheidungsersuchen des OGH

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

UrlG: § 10 Abs 2

RL 2003/88/EG: Art 7 Abs 2

Gemäß § 10 Abs 2 UrlG gebührt einem Arbeitnehmer keine Urlaubsersatzleistung für den noch offenen Urlaubsanspruch, wenn er ohne wichtigen Grund vorzeitig aus dem Dienstverhältnis austritt. Auch wenn der OGH dazu tendiert, dass die österreichische Regelung unionsrechtlich unbedenklich ist, hat er den EuGH ersucht, in einem Vorabentscheidungsverfahren über die Vereinbarkeit des § 10 Abs 2 UrlG mit dem Unionsrecht zu entscheiden.

OGH 29. 4. 2020, 9 ObA 137/19s -> zu OLG Linz 12 Ra 57/19t, ARD 6680/7/2020

Sachverhalt

Der Kläger war von 25. 6. 2018 bis zu seinem unberechtigten vorzeitigen Austritt am 9. 10. 2018 als Arbeiter beim beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Im Beschäftigungszeitraum hatte er einen Urlaubsanspruch von 7,33 Arbeitstagen erworben. Da er bereits 4 Tage Urlaub verbraucht hatte, betrug sein offener Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 3,33 Arbeitstage. Der Arbeitgeber hat dem Kläger unter Verweis auf die Bestimmung des § 10 Abs 2 UrlG keine Urlaubsersatzleistung ausbezahlt.

Mit seiner Klage auf Zahlung von € 322,06 als Urlaubsersatzleistung brachte der Kläger vor, dass die Bestimmung des § 10 Abs 2 UrlG gegen Art 31 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art 7 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG verstoße und daher nicht zur Anwendung komme. Er habe daher trotz seines unbegründeten Austritts Anspruch auf Urlaubsersatzleistung.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Der Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei unbegründetem Austritt stehe jedenfalls dann nicht im Widerspruch zum Unionsrecht, wenn der Arbeitgeber kein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, dem Arbeitnehmer den Urlaubsverbrauch tatsächlich zu ermöglichen, vorgeworfen werden kann.

Der OGH hat das Verfahren unterbrochen und beim EuGH ein Vorabentscheidungsverfahren zur Unionsrechtskonformität des § 10 Abs 2 UrlG eingeleitet. Er führte dazu zusammengefasst aus:

Maßgebliche Rechtsvorschriften

Bei Beendigung des Dienstverhältnisses ist der nicht verbrauchte Urlaub des laufenden Urlaubsjahres nach § 10 Abs 1 UrlG durch eine Ersatzleistung für den der Dauer der Dienstzeit in diesem Urlaubsjahr im Verhältnis zum gesamten Urlaubsjahr entsprechenden Urlaub abzugelten. Eine solche Urlaubsersatzleistung gebührt jedoch gemäß § 10 Abs 2 UrlG nicht, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt und dadurch das Arbeitsverhältnis beendet. Die Bestimmung des § 10 Abs 2 UrlG hat pönalisierenden Charakter; sie bezweckt, den Arbeitnehmer von einer unberechtigten vorzeitigen Vertragsauflösung abzuhalten, indem sie ihm, wenn er dies doch tut, den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung nimmt.

Das Recht jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist nach Art 31 GRC Teil der Grundrechte der Europäischen Union, wird in Art 7 Arbeitszeit-RL konkretisiert und entfaltet nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbare Wirkung auf ein Arbeitsverhältnis zwischen zwei Privatpersonen. Nach Art 7 Arbeitszeit-RL treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind (Abs 1). Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden (Abs 2).

Rechtsprechung des EuGH

In seiner bisherigen Rechtsprechung betont der EuGH einerseits, dass Art 7 Abs 2 der Arbeitszeit-RL keine andere Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung aufstelle als die, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte (vgl EuGH 20. 7. 2016, C-341/15, Maschek, Rn 27).

Andererseits hat er geurteilt, dass aus seiner Rechtsprechung nicht abgeleitet werden kann, Art 7 Arbeitszeit-RL wäre dahin auszulegen, dass der Anspruch nach Abs 1 und – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – der Anspruch auf die Vergütung, die gemäß Abs 2 an seine Stelle treten kann, dem Arbeitnehmer völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssten, die dazu geführt haben, dass er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen hat. Dabei hat der EuGH auch darauf abgestellt, ob der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zB durch angemessene Aufklärung zum Urlaubsverbrauch in die Lage versetzt wurde (vgl EuGH 6. 11. 2018, C-619/16, Kreuziger/Land Berlin, Rn 37 und Rn 56).

Weiters wäre auch nach Ansicht des EuGH jede Auslegung von Art 7 Arbeitszeit-RL, die den Arbeitnehmer dazu veranlassen könnte, aus freien Stücken in den betreffenden Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeiträumen keinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, um seine Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhöhen, mit den durch die Schaffung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub verfolgten Zielen unvereinbar (vgl EuGH 6. 11. 2018, C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft/Tetsuji Shimizu, Rn 48).

OGH tendiert zu Vereinbarkeit mit Unionsrecht

Der unberechtigte Austritt des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis geschieht typischerweise für den Arbeitgeber plötzlich und unerwartet. Anders als bei allen anderen Fällen, in denen das Dienstverhältnis endet, verhindert der Arbeitnehmer beim unberechtigten Austritt selbst die Möglichkeit, den Urlaub in natura zu verbrauchen. Nur beim unberechtigten Austritt des Dienstnehmers wird zudem das Dienstverhältnis durch einen Vertragsbruch des Dienstnehmers beendet. Vor dem Austritt hat der Arbeitnehmer nur einen Anspruch auf (bezahlten) Urlaub in natura. Dass er durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch unberechtigten Austritt einen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung erlangen soll, würde das allgemeine Rechtsprinzip verletzen, dass niemand einen Anspruch dadurch erlangen soll, dass er rechtswidrig vorgeht. Letztlich würde der Gedanke, dass der bezahlte Urlaub primär die Funktion hat, die Gesundheit eines Arbeitnehmers zu erhalten, missachtet, wenn sich ein Arbeitnehmer durch unberechtigten Austritt im Ergebnis den Urlaubsanspruch abkaufen lassen könnte. Die dem EuGH gestellt Hauptfrage zielt damit darauf ab, ob § 10 Abs 2 UrlG im Ganzen unionsrechtlich unbedenklich ist.

Sollte der EuGH die Hauptfrage verneinen, so stellt sich die Frage, ob und wie der Arbeitgeber bei einem für ihn nicht vorhersehbaren unberechtigten Austritt den Arbeitnehmer – gemäß den Anforderungen des EuGH – in die Lage versetzen soll, den Urlaub zu verbrauchen. Dabei wäre auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer beim unberechtigten Austritt gerade keine Kündigungsfrist eingehalten werden kann, während der häufig noch offener Urlaub verbraucht wird bzw verbraucht.

Vorlagefragen an EuGH

Dem EuGH werden vom OGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.Ist mit Art 31 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) und Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG eine nationale Vorschrift vereinbar, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende (letzte) Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig das Dienstverhältnis beendet („Austritt“)?
2.
2.1.Ist dann zusätzlich zu prüfen, ob der Verbrauch des Urlaubs für den Arbeitnehmer unmöglich war?
2.2.Nach welchen Kriterien hat diese Prüfung zu erfolgen?
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29220 vom 10.06.2020