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Kinderbetreuungsgeld: Gemeinsame Meldeadresse verfassungswidrig?

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

KBGG § 2 Abs 6

Eine Voraussetzung des Anspruchs eines Elternteils auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind ist, dass der Elternteil „mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt“ (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG), was nach der klaren Regelung des § 2 Abs 6 KBGG „nur dann“ der Fall ist, „wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet sind“. Der OGH hegt nun Zweifel an der Sachlichkeit der Regelung: Lebt der beziehende Elternteil mit dem Kind tatsächlich zusammen, hat er aber die Hauptwohnsitzmeldung nur für sich oder nur für das Kind vorgenommen, erscheint es nicht einsichtig, warum im Rahmen seines Vorbringens keine Ermittlungen der Behörde stattfinden dürfen, um die Frage zu klären, ob der Elternteil mit dem Kind nach den tatsächlichen Lebensverhältnissen in einem gemeinsamen Haushalt lebt.

Der OGH hat daher an den VfGH den Antrag gesetllt, § 2 Abs 6 erster Satz KBGG als verfassungswidrig aufzuheben.

OGH 13. 4. 2016, 10 ObS 144/15x

Entscheidung

Gemeinsamer Haushalt - Hauptwohnsitz

Eine Voraussetzung des Anspruchs eines Elternteils auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind ist, dass der Elternteil mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG).

In seinen Entscheidungsgründen erinnert der OGH ua daran, dass eine idente Hauptwohnsitzmeldung von Elternteil und Kind vor der KBGG-Novelle BGBl I 2009/116 lediglich ein Indiz für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts bildete.

Mit BGBl I 2009/116 wurde dann § 2 Abs 6 KBGG eingefügt, wonach ein solcher gemeinsamer Haushalt im Sinne dieses Gesetzes „nur dann“ vorliegt, „wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet sind“. Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 9) sollte durch diese Regelung „eine Entlastung der Eltern und der Krankenversicherungsträger erreicht“ werden.

Fragliche Entlastung

An der Sachlichkeit des § 2 Abs 6 erster Satz KBGG zweifelt der OGH nun va aus folgenden Gründen:

Die vom Gesetzgeber mit der Regelung bezweckte „Entlastung der Eltern und der Krankenversicherungsträger“ tritt nur ein, wenn die Hauptwohnsitzmeldungen von Elternteil und Kind nicht übereinstimmen, was durch eine Abfrage im Zentralen Melderegister einfach festzustellen ist. Sonst indizieren übereinstimmende Hauptwohnsitzmeldungen lediglich das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts an dieser Adresse, beweisen diese Anspruchsvoraussetzung aber nicht, die eine Betreuung des Kindes durch den die Leistung beziehenden Elternteil sichern soll.

In Verbindung mit § 31 Abs 2 erster Fall KBGG (Rückforderung des KBG) wirkt die Normierung der übereinstimmenden Hauptwohnsitzmeldungen in § 2 Abs 6 erster Satz KBGG als mittelbare Anspruchsvoraussetzung im Ergebnis als Sanktion für die Verletzung von Meldevorschriften selbst dann, wenn die Verletzung nicht schuldhaft erfolgte. Der einzelne beziehende Elternteil, der weiter mit dem Kind tatsächlich zusammenlebt, aber eine Hauptwohnsitzmeldung nur für sich oder nur für das Kind vornimmt, ist zur Rückzahlung von Kinderbetreuungsgeld in unter Umständen beträchtlicher Höhe verpflichtet, obwohl er mit dem Kind zusammenlebt und ihm die Regelung eine „unnötige Belastung“ ersparen soll.

Lebt hingegen der beziehende Elternteil mit dem Kind nicht mehr im gemeinsamen Haushalt, stimmen ihre Hauptwohnsitzmeldungen aber noch überein, hat der auszahlende KrV-Träger kein Anzeichen für eine Aufhebung des gemeinsamen Haushalts und es wird wohl in weit weniger Fällen zu einer Rückforderung der zu Unrecht bezogenen Leistung kommen.

Zweifel an Sachlichkeit

Nach der Rsp des VfGH darf der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem Gleichheitssatz pauschalierende Regelungen, die der Verfahrensökonomie dienen, nur derart treffen, dass sie nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens widersprechen. Ihre Grenze findet die Erlaubnis dort, wo anderen Überlegungen, die gegen die Regelung sprechen, größeres Gewicht beizumessen ist als den verwaltungsökonomischen.

Nach allen diesen Erwägungen erscheint dem OGH § 2 Abs 6 erster Satz KBGG als sachlich nicht gerechtfertigt: Diese Regelung wirkt nur partiell vereinfachend, gewährleistet nicht in allen Fällen die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG und nimmt mitunter sehr schwere nachteilige Rechtsfolgen für den beziehenden Elternteil in Kauf, obwohl er tatsächlich mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt.

Insbesondere erscheint es dem OGH nicht einsichtig, warum in einem Fall, in dem (wie hier) objektiv begründete Zweifel an der Richtigkeit der Hauptwohnsitzmeldung einer Person bestehen, im Rahmen ihres Vorbringens dazu nicht Ermittlungen stattfinden dürfen, um die Frage objektiv klären zu können, ob der beziehende Elternteil mit dem Kind nach ihren tatsächlichen Lebensverhältnissen in einem gemeinsamen Haushalt lebt.

Abschließend weist der OGH darauf hin, dass nach herrschender Ansicht - und anders als bei der Hauptwohnsitzmeldung - für die Beurteilung der Frage, ob ein gemeinsamer Haushalt besteht, das Bestehen einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft aufgrund der tatsächlichen Lebensverhältnisse zu prüfen ist. Eine idente Hauptwohnsitzmeldung von beziehendem Elternteil und Kind ist zwar ein Indiz, aber kein Beweis für die Haushaltszugehörigkeit des Kindes.

Schließlich ist für den OGH auch kein sachlicher Zusammenhang zwischen dem - anderen Zielen dienenden - Kinderbetreuungsgeldbezug und der Effektuierung von Meldevorschriften erkennbar.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21541 vom 28.04.2016