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*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
Wurde die Entlassung eines Lehrlings nachträglich für rechtsunwirksam erkannt und dem Lehrling eine Kündigungsentschädigung zugesprochen, muss er sich die in der Zwischenzeit vom Arbeitsmarktservice bezogene Aus- und Weiterbildungsbeihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts gemäß § 35 AMSG nur dann als anderweitigen Erwerb iSd § 1162b ABGB (bzw § 29 Abs 1 AngG) auf die Kündigungsentschädigung anrechnen lassen, wenn er nach der Betreuungsvereinbarung mit dem AMS nicht verpflichtet ist, im Fall der nachträglichen Zuerkennung einer Kündigungsentschädigung die für den kongruenten Zeitraum erhaltene Aus- und Weiterbildungsbeihilfe zurückzuzahlen.
OGH 25. 11. 2014, 8 ObA 42/14f
Sachverhalt
Das Lehrverhältnis des Klägers endete am 30. 4. 2010 durch vorzeitige Entlassung; grundsätzlich hätte die Lehrzeit noch bis 8. 7. 2011 gedauert. Da sein Betreuer beim Arbeitsmarktservice keine Möglichkeit für den Kläger sah, im dritten Lehrjahr in der Region noch eine neue Lehrstelle zu erlangen, schloss der Kläger im Mai 2010 mit dem AMS eine Betreuungsvereinbarung mit dem Ziel, ihm im Weg einer überbetrieblichen Lehre doch noch den Lehrabschluss zu ermöglichen. Vom 14. 2. 2011 bis 21. 6. 2011 besuchte der Kläger einen Qualifizierungskurs mit dem vorrangigen Ziel, die Lehrabschlussprüfung zu bestehen. Während der Kursteilnahme erhielt der Kläger vom AMS eine Aus- und Weiterbildungsbeihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts. Die Bundesrichtlinie für Aus- und Weiterbildungsbeihilfen, BGS/AMF/0722/9933/2010, sieht vor, dass diese Beihilfen ua nicht während des Bezugs einer Kündigungsentschädigung gebühren und im Fall einer späteren Zuerkennung von Kündigungsentschädigung zurückzuzahlen sind.
In einem Vorverfahren wurde die Entlassung für unwirksam erklärt und dem Kläger eine Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 1. 5. 2010 bis 31. 1. 2011 zugesprochen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger weitere Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 1. 2. 2011 bis 17. 7. 2011. Strittig ist, ob sich der Kläger die bezogene Beihilfe gemäß § 1162b ABGB auf die Kündigungsentschädigung anrechnen lassen muss. Die Vorinstanzen verneinten dies; der OGH ließ die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung einer Beihilfe zur Deckung der Lebenshaltungskosten gemäß § 35 AMSG als Erwerbseinkommen nach § 1162b ABGB (bzw § 29 Abs 1 AngG) während der Dauer einer mit dem AMS vereinbarten Ausbildungsmaßnahme besteht.
Entscheidung:
Vereinbarte Rückersatzpflicht maßgeblich
Die Pflichtleistungen aus der Arbeitslosenversicherung, nämlich Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, sind auf die Schadenersatzansprüche nach § 1162b ABGB nicht anzurechnen, weil der Empfänger gemäß § 25 Abs 1 AlVG iVm § 12 Abs 8 AlVG hinsichtlich dieser Bezüge ersatzpflichtig wird und der vormalige Dienstgeber nicht auf Kosten der Arbeitsmarktverwaltung von seinen Zahlungspflichten entlastet werden soll. Diese Grundsätze hält der bekl Arbeitgeber hier nicht für anwendbar, weil wesentliche Unterschiede zwischen den Beihilfen zur Deckung des Lebensunterhalts samt Bonus und Schulungsgeld und den gesetzlichen Pflichtleistungen aus der Arbeitslosenversicherung bestünden.
Nach Auseinandersetzung mit den Unterschieden hält der OGH fest, dass es sich bei der AMS-Beihilfe hier zwar nicht um Entgelt im eigentlichen Sinn handelte, weil der Zweck der Maßnahme nicht in der Zurverfügungstellung der Arbeitskraft, sondern in der Überwindung persönlicher Defizite und einer beruflichen Qualifizierung des Kursteilnehmers bestand. Allein diese Beurteilung würde aber nach Ansicht des OGH eine Anrechnung der Beihilfe als anderweitigen Erwerb iSd § 1162b ABGB noch nicht ausschließen, weil mit den gesetzlichen Anrechnungsvorschriften eine Bereicherung des Arbeitnehmers verhindert werden soll, die eintreten würde, wenn er neben Einkünften, die er bei aufrechtem Arbeitsverhältnis wegen der zu erbringenden Arbeitsleistung nicht erlangen hätte können, auch die ungekürzte Kündigungsentschädigung bekäme.
Da das AMSG für die Beihilfen keine dem § 25 Abs 1 AlVG vergleichbare allgemeine Rückersatzpflicht des Leistungsempfängers bei zeitlich kongruentem Anspruch auf Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung vorsieht, hält es der OGH für entscheidend, ob der Kläger dennoch im Fall der nachträglichen Zuerkennung einer Kündigungsentschädigung verpflichtet werden kann, die Aus- und Weiterbildungsbeihilfe zurückzuzahlen, was vom Inhalt der Vereinbarung, also von der Auslegung des Vertrags abhängt. Eine subsidiäre Heranziehung von Bereicherungsgrundsätzen ist – so der OGH – bei Vorliegen einer vertraglichen Regelung ausgeschlossen.
Auch § 38 Abs 1 AMSG sieht nur vor, dass anlässlich der Gewährung einer Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts eine Rückersatzpflicht für den Fall zu vereinbaren ist, dass der Empfänger ihren Bezug vorsätzlich oder grob fahrlässig durch unwahre Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt hat. Eine darüber hinausgehende allgemeine Rückersatzpflicht bei Doppelbezügen, die nicht auf einen der in § 38 Abs 1 AMSG definierten Missbrauchstatbestände zurückzuführen sind, kann dementsprechend ebenfalls nur durch Vereinbarung mit dem Leistungsempfänger begründet werden.
Im vorliegenden Fall steht der Inhalt der Vereinbarung über den Bezug der Beihilfe nicht fest. Die vom ErstG zitierte Bundesrichtlinie „Aus- und Weiterbildungsbeihilfe“ hält der OGH nur für ein – wenngleich gewichtiges – Indiz dafür, dass das AMS mit dem Kläger tatsächlich einen der Richtlinie entsprechenden Betreuungsvertrag geschlossen hat, sie kann aber eine entsprechende Tatsachenfeststellung nicht ersetzen.
Im fortgesetzten Verfahren werden daher konkrete Feststellungen über etwaige Rückforderungsregelungen in der Betreuungsvereinbarung zu treffen sein bzw – bei Fehlen einer solchen Regelung – auch noch zu klären sein, ob in dem vom AMS ausbezahlten Tagessatz Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung enthalten waren, die nach § 35 Abs 2 AMSG auf die Aus- und Weiterbildungsbeihilfe angerechnet wurden, weil für diesen Anteil eine Rückersatzpflicht bereits aus § 25 Abs 1 AlVG abzuleiten wäre.
Anderer Erwerb nicht zumutbar
Zur Klarstellung der Rechtslage geht der OGH vorweg auch bereits auf die Revisionsausführungen über die Anrechnung eines fiktiven, absichtlich versäumten Verdienstes ein:
Dieser Anspruch setzt nach § 1162b ABGB (§ 29 AngG) entweder die Ablehnung einer konkret bestehenden und zumutbaren Verdienstmöglichkeit, oder die Untätigkeit des Arbeitslosen trotz bestehender reellen Chancen auf einen Arbeitsplatz voraus. Schon diese objektiven Voraussetzungen liegen hier nicht vor, sodass es auf die zusätzlich erforderliche subjektive Komponente (Absicht) gar nicht mehr ankommt. Wenn der Arbeitgeber dem Kläger vorhält, er habe keine Anstalten unternommen, eine der zahlreichen freien Lehrstellen in der Umgebung zu erlangen, lässt er die bindende Feststellung außer Acht, dass ihm die Aufnahme in das Schulungsprogramm des AMS angeboten wurde, weil sein Betreuer es für praktisch aussichtslos hielt, noch eine neue Lehrstelle in der Region für ihn zu finden.
Außerdem pflichtet der OGH den Vorinstanzen dahingehend bei, dass dem Kläger nicht zumutbar gewesen wäre, seine Lehre kurz vor der Abschlussprüfung völlig abzubrechen und eine Hilfstätigkeit anzunehmen, um den Arbeitgeber von seiner Schadenersatzpflicht zu entlasten.
Bearbeiter: Manfred Lindmayr, Barbara Tuma