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KV-Arbeitskräfteüberlassung: Kein Ersatz für fiktive Heimreisekosten

Bearbeiter: Bettina Sabara

KVAÜ: Abschnitt VIII Kap B Pkt 12

Wird ein Arbeitnehmer in einen Betrieb überlassen, der mehr als 120 km von seinem Wohnort entfernt ist, so ist ihm nach Abschnitt VIII Kapitel B KVAÜ eine bezahlte Heimreise am Wochenende unabdingbar zu ermöglichen. Einen Anspruch auf Zahlung von Fahrtkostenersatz hat der Arbeitnehmer aber jeweils nur dann, wenn er von der Möglichkeit der Heimreise tatsächlich Gebrauch gemacht hat.

OGH 29. 3. 2016, 8 ObA 44/15a -> zu OLG Linz 12 Ra 14/15p, ARD 6456/10/2015 (Änderung)

Sachverhalt

Der Kläger wurde vom beklagten Arbeitgeber an ein österreichisches Unternehmen als Tischler überlassen. Auf das Dienstverhältnis ist der KV für Arbeiter im Arbeitskräfteüberlassungsgewerbe (KVAÜ) anzuwenden. Der Kläger hat seinen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in Deutschland. Die Entfernung zwischen seinem Heimatort und dem Beschäftigerbetrieb beträgt rund 700 km, der Fahrpreis für öffentliche Verkehrsmittel beläuft sich pro Strecke auf € 162,60. Der Kläger legte diese Strecke während der Überlassungsdauer insgesamt 51-mal mit seinem privaten Pkw zurück.

Mit seiner Klage begehrt er gemäß Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 11 und 12 KVAÜ den Ersatz der Kosten für 57 Fahrten zur wöchentlichen An- und Abreise. Auf die ihm dafür gebührenden € 9.268,20 habe der Arbeitgeber nur € 6.024,08 bezahlt. Der Arbeitgeber wandte ein, der Kläger mache Kostenersatz für fiktive Fahrten geltend, worauf er keinen Anspruch habe.

Das Vorinstanzen gab dem Klagebegehren statt.

Der OGH erachtet die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage der Ersatzfähigkeit fiktiver Heimreisekosten noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt.

Entscheidung

Kostenersatz nur für tatsächliche Heimreise

Dass der Anspruch auf Ersatz der Kosten einer wöchentlichen Heimfahrt (Abschn VIII Kapitel B KVAÜ) grds vertraglich nicht eingeschränkt werden kann, hat der OGH bereits geklärt (vgl OGH 5. 6. 2008, 9 ObA 30/07p, ARD 5911/5/2008).

Das Argument, dass der kollektivvertragliche Fahrtkostenersatz bei einer großen Entfernung zwischen Wohnort und Einsatzort uU das Grundeinkommen des Arbeitnehmers übersteigen kann, hält der OGH für irrelevant: Ob die Anstellung eines solchen Arbeitnehmers für den Überlasser wirtschaftlich sinnvoll ist, unterliegt seiner unternehmerischen Entscheidung.

Entscheidungswesentlich ist im vorliegenden Fall jedoch die Frage, ob der kollektivvertragliche Anspruch auf eine wöchentliche bezahlte Heimreise überhaupt entsteht, wenn der Arbeitnehmer keine Heimreise unternimmt, sondern das Wochenende freiwillig am Arbeitsort (oder an einem anderen als dem Wohnort) verbringt. Dazu hält der OGH nun fest:

Hintergrund für den Ersatz der Kosten eines an sich im privaten Interesse des Arbeitnehmers gelegenen, außerhalb der Arbeitszeit zurückgelegten Wegs ist die Besonderheit des Gewerbes der Arbeitskräfteüberlassung, dass die - auch wechselnden - Beschäftigungsorte vom Überlasser einseitig bestimmt werden. Es ist der Sinn der hier strittigen kollektivvertraglichen Regelung, dem weit entfernt wohnenden Arbeitnehmer dennoch zu ermöglichen, einmal wöchentlich nach Hause zu fahren.

Um diesen Zweck zu erreichen ist es aber nicht erforderlich, dem Arbeitnehmer Reisekosten zu „ersetzen“, die ihm gar nicht entstanden sind. Fahrtkosten auch für eine nicht erfolgte Heimreise würden vielmehr sogar der in der Achtung des Privat- und Familienlebens gelegenen Intention des KV entgegenwirken, weil es für Arbeitnehmer durchaus attraktiv sein könnte, auf eine anstrengende lange Heimfahrt zu verzichten und dafür über den Fahrtkostenersatz wie über einen Einkommensbestandteil verfügen zu können.

Aufwandersatz

Für zutreffend hält der OGH auch das Argument, dass in Abschnitt X KVAÜ ausdrücklich unterschieden wird zwischen Verdienst (neben dem Grundentgelt sämtliche Zulagen und Zuschläge, wie insb SEG-, Montage-, Schicht- und Nachtarbeitszulagen, Sonn- und Feiertagszuschläge sowie Vorarbeiterzuschlag und Entgelte für Arbeiten außerhalb des Überlasser-Betriebes) und Aufwandsentschädigungen (Tages- und Nächtigungsgelder sowie Fahrtkostenersätze). Diesem Verständnis der KV-Parteien würde eine Auslegung widersprechen, die den Fahrtkostenersatz als einen Entgeltbestandteil behandelt, der unabhängig von einem tatsächlich getätigten Aufwand zustehen sollte.

Auch wenn die in den meisten KV angewandte vereinfachende Methode der Pauschalierung des Aufwandersatzes mit Mindestbeträgen immer die Möglichkeit in sich birgt, dass der Anspruch des Arbeitnehmers letztlich seinen tatsächlichen finanziellen Aufwand übersteigt (zB tatsächlich günstigere Übernachtungsmöglichkeit oder Zurücklegen einer Wegstrecke zu Fuß oder mit dem Fahrrad; vgl OGH 25. 6. 1998, 8 ObA 160/98g, ARD 4962/16/98), geht allein dadurch - so er OGH - der Charakter des Anspruchs als Aufwandersatz aber noch nicht verloren. Den Unterschied zum rein fiktiven Fahrtkostenersatz sieht der OGH darin, dass in den Beispielsfällen der Aufwand zumindest dem Grunde nach getätigt wurde, weil der Arbeitnehmer tatsächlich genächtigt bzw den Weg zurückgelegt hat.

Bei den Heimfahrtansprüchen nach dem KVAÜ handelt es sich somit nach Ansicht des OGH dem Grunde nach nicht um Entgeltansprüche (Rothe, Arbeiter- und Angestelltenkollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung2, 107 f Rz 47, 52), sodass dem Ersatzanspruch des Arbeitnehmers ein getätigter Aufwand gegenüberstehen muss. Der - nicht näher begründeten - gegenteiligen Ansicht Schindlers (Arbeitskräfteüberlassung-KV 2013, 230 Anm 37) tritt der OGH nicht bei.

Ob einem weit entfernt wohnhaften Arbeitnehmer, der das Wochenende freiwillig am Arbeitsort verbringt, nach dem KVAÜ anstelle von Heimreisekosten der Anspruch auf Ersatz von Tages- und Nächtigungsgeld für Samstag und Sonntag zusteht, war im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21571 vom 02.05.2016