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Landesrechtspfleger – Verfassungswidrigkeit betr Verwaltungsgericht Wien

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

B-VG: Art 135, Art 135a

VGWG: § 26

Nach § 26 Z 6 des Gesetzes über das Verwaltungsgericht Wien (VGWG, LGBl 2012/83, idF LGBl 2013/45) obliegt (unter einer näher bezeichneten Voraussetzung) den Landesrechtspflegern die eigenständige Führung und Erledigung der Verfahren über Beschwerden gegen Verwaltungsstrafen in jenen Fällen, in denen die Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe bis höchstens 1.500 € bedroht ist. Der VfGH hat diese Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben, weil den Rechtspflegern damit die Besorgung von Arten von Geschäften übertragen wird, die sich ihrem Wesen nach hierfür nicht eignen (Verstoß gegen Art 135 Abs 1 iVm Art 135a Abs 1 B-VG). Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. 12. 2015 in Kraft.

Verwaltungsgerichtliche Verfahren über Beschwerden gegen Straferkenntnisse sind ihrem Wesen nach im Regelfall nicht geeignet, zur Gänze durch Rechtspfleger besorgt zu werden; nur bestimmte im Rahmen dieser Verfahren über Beschwerden gegen Straferkenntnisse zu besorgende Arten von Geschäften – zu denen die Durchführung der mündlichen Verhandlung jedenfalls nicht zählt – sind einer Übertragung an Rechtspfleger zugänglich (vgl § 25 VGWG). Daher ist auch die im vorliegenden Fall eingezogene Wertgrenze von € 1.500 von vornherein nicht geeignet, die Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Bestimmung zu begründen. Im Übrigen stellt eine solche Wertgrenze – mag der Verfassung auch ansonsten die Vorstellung eines nach Strafdrohungen klassifizierbaren strafrechtlichen Systems zugrunde liegen – keinen validen Anknüpfungspunkt für die wesensmäßige Eignung dieser Arten von Geschäften zur Besorgung durch Rechtspfleger dar.

VfGH 3. 3. 2015, G 181/2014 ua

Entscheidung

Zudem sprach der VfGH zusammengefasst ua Folgendes aus:

-Der VfGH hegt keine Bedenken im Lichte des Sachlichkeitsgebotes gegenüber dem Umstand alleine, dass der Gesetzgeber dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem zuständigen Richter nach Maßgabe der verfassungsgesetzlichen Ermächtigung gem Art 135a B-VG ein Verfahren vor einem Rechtspfleger vorschaltet.
-Nach der Rsp des EGMR verpflichtet Art 6 Abs 1 EMRK die Konventionsstaaten nicht dazu, die von dieser Bestimmung erfassten Angelegenheiten einem Verfahren zu unterwerfen, das in jeder Phase durch ein „Tribunal“ geführt wird; vielmehr können Erfordernisse der Flexibilität und der Effizienz es rechtfertigen, dem Verfahren vor dem Tribunal ein Verfahren vor (verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen) Organen vorzulagern, die den Anforderungen an ein „Tribunal“ nicht entsprechen.
Im Hinblick darauf ist die dem Verfahren vor dem zuständigen Richter des Verwaltungsgerichtes vorgelagerte Entscheidungszuständigkeit eines Rechtspflegers (zur mangelnden Tribunalqualität des Rechtspflegers vgl VfSlg 19.825/2013), deren zentraler Zweck die Steigerung der Effizienz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist, im Lichte des Art 6 EMRK zulässig; dem verschlägt der Umstand nichts, dass mit dem Rechtspfleger – nach der Verwaltungsbehörde – bereits ein zweites Organ berufen ist, das kein Tribunal iSd Art 6 EMRK ist.
-Verwaltungsgerichte erkennen von Verfassungs wegen durch Richter (Art 135 Abs 1 B-VG). Gemäß Art 135a Abs 1 B-VG kann im Gesetz über die Organisation des Verwaltungsgerichtes allerdings die Besorgung „einzelner, genau zu bezeichnender Arten von Geschäften“ besonders ausgebildeten nicht-richterlichen Bediensteten (im Folgenden: Rechtspfleger) übertragen werden. Der Ermächtigung zur Übertragung der Besorgung „einzelner“ Arten von Geschäften an Rechtspfleger gem Art 135a B-VG sind Grenzen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht gesetzt.
-Bei der Beurteilung, ob eine Art von Geschäften in qualitativer Hinsicht einer Besorgung durch Rechtspfleger zugänglich ist, ist der Zweck der Einrichtung von Rechtspflegern zu berücksichtigen. Dieser war – und ist – die „Entlastung“ der Richter (vgl die Erläut zur RV 167 BlgNR 6. GP, 2 [ad § 56a GOG, RGBl 217/1896, idF BGBl 1950/182]). Der Einsatz von Rechtspflegern durch Übertragung der Besorgung bestimmter Aufgaben soll dem Richter Kapazitäten zur Bewältigung der übrigen Aufgaben schaffen, ihn aber nicht von der Besorgung auch dieser ihm vorbehaltenen – Aufgaben entbinden (vgl wiederum die Erläut zur RV 167 BlgNR 6. GP, 2: „eigentliche Aufgaben“). Bestimmte Arten von Geschäften der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz sind sohin von Verfassungs wegen der Besorgung durch Richter vorbehalten; an Rechtspfleger kann nur die Besorgung jener Arten von Geschäften übertragen werden, die sich ihrem Wesen nach für die Übertragung eignen.
Die wesensmäßige Eignung einer Art von Geschäften zur Besorgung durch Rechtspfleger kann insb ihr geringer Schwierigkeitsgrad oder ihr hohes Maß an Standardisierbarkeit begründen (vgl auch die Erläut zur RV 167 BlgNR 6. GP, 2: „einfache und oft wiederkehrende, gleichartige Geschäfte“).
-Für die Beurteilung, ob sich eine Art von Geschäften ihrem Wesen nach für die Besorgung durch Rechtspfleger eignet, ist nicht maßgeblich, welchen Grad an „besonderer Ausbildung“ Rechtspfleger im Einzelfall aufweisen.
Ebensowenig ist von Bedeutung, inwieweit dem zuständigen Richter eine Ingerenz auf die Aufgabenbesorgung durch den Rechtspfleger eingeräumt ist (insb durch Art 135a Abs 2 und 3 B-VG; siehe dazu VfSlg 19.825/2013) oder eine nachfolgende Zuständigkeit im Rahmen eines remonstrativen Rechtsmittels (etwa durch § 54 VwGVG). Der schon in Art 135 B-VG zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Richter ausgeübt wird, lässt sich nämlich nicht dadurch substituieren, dass in von Rechtspflegern selbstständig zu führenden Verfahren einem Richter Aufsichts-, Eingriffs- und Weisungsbefugnisse eingeräumt werden.
-Art 135a B-VG eröffnet zwar (anders als Art 87a B-VG, der den Einsatz von Rechtspflegern nur bei Gerichten erster Instanz zulässt) im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz grundsätzlich die Möglichkeit, die Besorgung solcher – der Nachprüfung verwaltungsbehördlicher Entscheidungen dienender – Verfahren an Rechtspfleger zu übertragen. Bei der Beurteilung, ob diese Verfahren ihrem Wesen nach geeignet sind, zur Gänze durch Rechtspfleger besorgt zu werden, ist aber die Stellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im System des Verwaltungsrechtsschutzes in besonderer Weise zu berücksichtigen.
§ 26 Z 6 VwGG genügt diesen Anforderungen nicht: Für die Entscheidung über eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis hat das Verwaltungsgericht – anders etwa als die Verwaltungsbehörde im abgekürzten Verfahren nach den §§ 47 ff VStG – im Regelfall Beweise zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu erheben und zu würdigen, über die Schuld des Beschuldigten zu befinden und im Rahmen der Strafbemessung die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat zu beurteilen sowie die in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe gegeneinander abzuwägen. Im Hinblick darauf sind verwaltungsgerichtliche Verfahren über Beschwerden gegen Straferkenntnisse ihrem Wesen nach im Regelfall nicht geeignet, zur Gänze durch Rechtspfleger besorgt zu werden; nur bestimmte im Rahmen dieser Verfahren über Beschwerden gegen Straferkenntnisse zu besorgende Arten von Geschäften – zu denen die Durchführung der mündlichen Verhandlung jedenfalls nicht zählt – sind einer Übertragung an Rechtspfleger zugänglich (vgl § 25 VGWG).
Daher ist auch die im vorliegenden Fall eingezogene, an die durch die belangte Behörde verhängte Geldstrafe anknüpfende Wertgrenze von € 1.500 von vornherein nicht geeignet, die Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Bestimmung zu begründen. Im Übrigen stellt eine solche Wertgrenze – mag der Verfassung auch ansonsten die Vorstellung eines nach Strafdrohungen klassifizierbaren strafrechtlichen Systems zugrunde liegen (vgl VfSlg 12.151/1989) – keinen validen Anknüpfungspunkt für die wesensmäßige Eignung dieser Arten von Geschäften zur Besorgung durch Rechtspfleger dar.

Hinweis:

Der Volltext der Entscheidung ist derzeit auf der Homepage des VfGH (www.vfgh.gv.at) unter „Aktuelle Informationen“ abrufbar.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19156 vom 18.03.2015