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Luftreinhalteprogramm: Antragsrecht natürlicher Personen?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

IG-L: § 9a, § 10

RL 2008/50/EG: Art 22, Art 23

Das IG-L selbst bietet keine unmittelbare Rechtsgrundlage für die Annahme eines subjektiven Rechts von natürlichen Personen auf Erstellung oder Ergänzung eines Lufreinhalteprogramms nach § 9a IG-L, ein solches Recht ist jedoch aus dem Unionsrecht abzuleiten:

Die Luftqualitäts-RL (RL 2008/50/EG) sieht Handlungspflichten der Mitgliedstaaten bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte vor. Der EuGH hat daraus abgeleitet, dass Personen, die unmittelbar von der Überschreitung der Grenzwerte betroffen sind, bei den nationalen Behörden erwirken können müssen, dass ein Luftqualitätsplan erstellt wird, wenn ein Mitgliedstaat die Einhaltung der Grenzwerte nicht gewährleistet hat und keine Fristerstreckung gewährt wurde.

Ob ein Antrag von natürlichen Personen auf Erstellung eines Luftqualitätsplans im Einklang mit Art 23 Abs 1 Unterabsatz 2 der Luftqualitäts-RL zulässig ist, hängt demnach von drei Voraussetzungen ab:

1.dem Fehlen einer Verlängerung der Frist zur Einhaltung der Grenzwerte,
2.der Überschreitung der Grenzwerte,
3.der unmittelbaren Betroffenheit der Antragsteller von dieser Überschreitung.

VwGH 28. 5. 2015, Ro 2014/07/0096

Ausgangslage

Ein Grazer Ehepaar hatte beim LH beantragt, die Stmk Luftreinhalteverordnung 2011 durch geeignete Maßnahmen zur Reduktion der Feinstaub-Belastung in Graz zu ergänzen. Der LH wies den Antrag als unzulässig zurück, was vom Landesverwaltungsgericht Steiermark bestätigt wurde. Dieser Bescheid wurde nun vom VwGH aufgrund einer ordentliche Revision aufgehoben.

Entscheidung

Die Frage der Zulässigkeit des Antrags eines Einzelnen auf Setzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität (durch Ergänzung oder Abänderung der Luftreinhalteverordnung) beantwortete der VwGH mit dem im Leitsatz dargestellten Ergebnis. Zusammengefasst hat er in dem 49-seitigen Erkenntnis weiters ua ausgesprochen:

-Auch eine „knappe“ oder „nur teilweise“ Überschreitung eines Grenzwerts stellt eine Überschreitung dar und löst die Verpflichtungen des Art 23 Abs 1 Unterabs 2 der Luftqualitäts-RL aus.
-Werden Grenzwerte in einem Gebiet überschritten, sind alle in diesem Gebiet lebenden Personen unmittelbar davon betroffen.
Für die Annahme eines Unterschieds zwischen dem Interesse einzelner Betroffener an der Luftqualität gegenüber dem der „Allgemeinheit“ besteht generell gesprochen keine erkennbare Rechtsgrundlage (vgl aber die optionale Bestimmung in Art 23 Abs 1 Unterabs 2 der Luftqualitäts-RL über spezifische zusätzliche Maßnahmen zum Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen wie zB von Kindern, die sachverhaltsbezogen hier aber keine Rolle spielt). Dass es einer solchen „besonderen Betroffenheit“ einer antragstellenden Partei im Gegensatz zur Allgemeinheit bedürfte, um die Einhaltung von Grenzwerten iSd Art 13 Abs 1 der Luftqualitäts-RL als subjektives Recht geltend machen zu können, ist weder dieser RL noch der Rsp des EuGH oder des VwGH zu entnehmen.
-Der Aspekt der inhaltlichen Ausgestaltung der Maßnahmen vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat mit der Zulässigkeit des Antrags nichts zu tun. Die Unzulässigkeit des Antrags kann nicht mit Argumenten begründet werden, die inhaltlich auf die mögliche Ausgestaltung der Maßnahmen gerichtet sind; zu solchen Argumenten gehört zB auch, dass durch zu setzende Maßnahmen uU in Rechte der Allgemeinheit eingegriffen wird.
-Auch der Umstand, dass die Behörde bereits Schritte zur Verbesserung der Luftqualität gesetzt hat (zB durch die Erlassung der Steiermärkischen Luftreinhalteverordnung 2011), hat mit der Beurteilung der Zulässigkeit eines solchen Antrags nichts zu tun. Wären diese Schritte derart erfolgreich gewesen, dass die Grenzwerte eingehalten worden wären, fehlte es einem Antragsteller an der unmittelbaren Betroffenheit, woraus sich wiederum die Unzulässigkeit seines Antrags ergäbe. Wurden die Grenzwerte aber überschritten, so ändert das Vorhandensein von einzelnen unzureichenden Maßnahmen nichts an der Zulässigkeit eines Antrags.
Besteht aber ein Anspruch eines unmittelbar betroffenen Einzelnen auf Erlassung von Luftqualitätsplänen nach Art 23 der Luftqualitäts-RL, dann ist ein darauf abzielender Antrag auch zulässig, wenn es bereits einen solchen Plan gibt. Dieser Antrag hat dann die inhaltliche Überprüfung des Programms nach § 9a IG-L bzw des Plans nach Art 23 der Luftqualitäts-RL auf seine allfällige Ergänzungsbedürftigkeit zur Folge.
Dass die bloße Existenz eines Programms nach § 9a IG-L bzw eines Plans nach Art 23 der Luftqualitäts-RL nicht ausreicht, um gesichert von der Zielerreichung der nach Art 13 der Luftqualitäts-RL obliegenden Verpflichtungen ausgehen zu können, ergibt sich zudem auch aus den Überlegungen des EuGH im Urteil Client Earth.
-Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass trotz des Rechtstypenzwangs in der österreichischen Rechtsordnung Konstellationen auftreten können, in denen die Verwaltung unter bestimmten Voraussetzungen zur Erlassung einer Verordnung verpflichtet ist. In solchen Fällen wird ein Antragsrecht von Parteien bejaht; beantragt eine Partei die Erlassung (oder Ergänzung) einer solchen Verordnung, so besteht das Recht, bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen darüber in Form einer Sachentscheidung einen negativen Bescheid zu erhalten.
Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Der Umstand, dass Maßnahmen auf der Grundlage von Luftqualitätsplänen nach der österreichischen Rechtsordnung in Form einer Verordnung ergehen und grundsätzlich weder ein Antragsrecht noch ein einheitliches Verfahrensrecht hinsichtlich einer Verordnungserlassung besteht, bildet keine Rechtfertigung für die Versagung des unionsrechtlich gebotenen Anspruchs. Vielmehr sind die österreichischen Behörden und Gerichte gefordert, für effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu sorgen.
Die Zurückweisung eines solchen Antrags mangels Antragsrechts auf Erlassung einer Verordnung stellt hingegen die Verweigerung der Sachentscheidung und somit eine Rechtsverletzung dar.
-Ein ursprünglich zulässiger Antrag kann wegen Änderung der Sachlage (etwa - worauf in der Pressemitteilung hingewiesen wird - wenn die Grenzwerte nicht mehr überschritten werden) auch unzulässig werden und muss zurückgewiesen werden.

Hinweis:

Die Volltexte der Entscheidung und der Pressemitteilung sind derzeit auf der Homepage des VwGH (www.vwgh.gv.at) unter „Aktuelles“ - „Pressemitteilungen“ abrufbar.


Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19761 vom 30.06.2015