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Maßnahmenbeschwerde oder Einspruch wegen Rechtsverletzung?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

B-VG Art 130

StPO idF BGBl I 2013/195: § 106

Entscheidend für die Abgrenzung der Maßnahmenbeschwerde nach Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG (Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte) vom Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 StPO idF BGBl I 2013/195 (Zuständigkeit der Strafgerichte) ist die Rechtsgrundlage, aufgrund deren die Sicherheitsbehörden bzw deren Exekutivorgane eingeschritten sind und damit strafprozessuale oder sicherheits- bzw verwaltungspolizeiliche Befugnisse ausgeübt haben. Irrelevant ist hingegen, ob eine gerichtliche Ermächtigung oder staatsanwaltschaftliche Anordnung vorlag und die gesetzten Maßnahmen von dieser gedeckt waren.

Konnten sich die Behörden oder Organe in concreto - bei objektiver Betrachtungsweise - rechtens auf die StPO oder auf andere (strafprozessuale) gesetzliche Bestimmungen stützen bzw glaubten sie - bei subjektiver Betrachtungsweise - sich zumindest auf solche Bestimmungen stützen zu können, so ist der Rechtschutz nach § 106 Abs 1 StPO anwendbar, der als speziellerer Rechtsschutz der Maßnahmenbeschwerde vorgeht.

VwGH 19. 1. 2016, Ra 2015/01/0133 und Ra 2015/01/0136

Entscheidung

Hinweis: Mit Erkenntnis VfGH 30. 6. 2015, G 233/2014, G 5/2015, wurde in § 106 Abs 1 StPO die Wortfolge „Kriminalpolizei oder“ als verfassungswidrig aufgehoben (vgl LN Rechtsnews 19961 vom 30. 7. 2015; VfGH kundgemacht in BGBl I 2015/85). Da die Aufhebung jedoch erst mit Ablauf des 31. 7. 2016 in Kraft tritt hatte der VwGH noch die „alte“ Rechtslage anzuwenden.

Unzulässige Maßnahmenbeschwerde

Verfahrensgegenständlich waren drei Hausdurchsuchungsbeschlüsse des LG Innsbruck, woraufhin Beamte des Landeskriminalamtes Tirol Hausdurchsuchungen durchführten. Gegen die Hausdurchsuchungen wurde eine Maßnahmenbeschwerde gemäß § 130 Abs 1 Z 2 B-VG eingebracht. Das VwG stellte mit dem angefochtenen Erkenntnis einige Rechtsverletzungen fest. Zur Zulässigkeit der Maßnahmenbeschwerde führte das VwG aus, dass die angefochtenen Akte zwar im Zusammenhang mit drei gerichtlichen Strafverfahren stünden, eine Anwendung des Rechtsschutzes nach § 106 StPO allerdings ausscheide, weil alle Höchstgerichte bereits übereinstimmend klargestellt hätten, dass bei einer gerichtlich angeordneten Hausdurchsuchung mangels gesetzlicher Anordnung § 106 StPO nicht in Betracht komme.

Die vom VwG angeführte Rsp war nach Ansicht des VwGH hier jedoch nicht einschlägig, weil sie nämlich zu Hausdurchsuchungen nach § 12 Wettbewerbsgesetz ergangen ist, bei denen § 106 StPO nicht zur Anwendung komme (vgl VwGH 21. 1. 2015, Ro 2014/04/0063, mwN auf die vom VwG zitierte Rsp des VfGH).

Für den vorliegenden Fall hält der VwGH fest, dass nach den unstrittigen Feststellungen des VwG keine „doppelfunktionalen“ Ermittlungshandlungen der einschreitenden Sicherheitsorgane vorlagen, sondern vielmehr für alle von der Amtshandlung Betroffenen eindeutig erkennbar vielmehr, dass es sich um ein Einschreiten der Exekutivorgane im Dienste der Strafjustiz handelte und somit die Beamten strafprozessuale Befugnisse (als Kriminalpolizei iSd § 18 Abs 1 StPO) ausübten.

Dies bedeutet, dass nach der hier maßgeblichen Rechtslage der Rechtsschutz des § 106 Abs 1 StPO zur Verfügung stand. Das VwG war daher zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Handlungen nicht gem Art 130 Abs 2 Z 2 B-VG zuständig und hätte die Maßnahmenbeschwerde zurückweisen müssen.

Revisionslegitimation

Im vorliegenden Fall waren Amtsrevisionen sowohl von einer Landespolizeidirektion als auch einer Bezirkshauptmannschaft erhoben worden; beide stützten ihre Legitimation auf Art 133 Abs 6 Z 2 B-VG, wonach „die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht“ gegen das Erkenntnis des VwG wegen Rechtswidrigkeit Revision erheben kann.

Nach Ansicht des VwGH kann keine Revisionslegitimation daraus abgeleitet werden, dass eine Behörde zu Unrecht als Partei behandelt (vgl VwGH 19. 2. 2015, Ra 2015/21/0014); vielmehr sei für die Bestimmung der belangten Behörde nach § 9 Abs 2 Z 2 VwGVG entscheidend, welcher Behörde der angefochtene Verwaltungsakt (das hoheitliche Handeln der eingeschrittenen Organe) zuzurechnen ist. Nur dieser Behörde komme die Revisionslegitimation nach Art 133 Abs 6 Z 2 B-VG zu.

Ein Rechtsträger, der durch eine (zu Unrecht erfolgte) Kostenentscheidung verpflichtet wurde, könne jedoch grds Revision gem Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG erheben (Verletzung durch die Kostenentscheidung in einem subjektiven öffentlichen Recht; vgl VwGH 22. 12. 2005, 2005/07/0162, mwN).

Fallbezogen war die Landespolizeidirektion als belangte Behörde vor dem VwG nach § 9 Abs 2 Z 2 VwGVG anzusehen und ihr kam gem Art 133 Abs 6 Z 2 B-VG die Legitimation zur Erhebung einer Revision an den VwGH zu.

Die Bezirkshauptmannschaft war hingegen nicht als belangte Behörde vor dem VwG anzusehen. Ihr kam keine Revisionslegitimation nach Art 133 Abs 6 Z 2 B-VG zu und die Revisionslegitimation nach Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG gegen die (zu Unrecht erfolgte) Kostenentscheidung steht nur dem verpflichteten Rechtsträger Bund zu, nicht jedoch der Bezirkshauptmannschaft.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21272 vom 11.03.2016