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Memorandum of Understanding (MoU) als Insider-Information

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

BörseG: § 48a, § 48d

Eine unverzüglich bekannt zu gebende Insider-Information ist gem § 48a Abs 1 Z 1 BörseG eine „öffentlich nicht bekannte, genaue Information, die ...., wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente... erheblich zu beeinflussen...“. Gem § 48a Abs 1 Z 1 lit a BörseG gilt eine Information als „genau“, wenn sie „eine Reihe von ... Tatsachen und Ereignissen erfasst, bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft eintreten werden, und darüber hinaus bestimmt genug ist, dass sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Tatsachen oder Ereignisse auf die Kurse ... zulässt“.

Auch ein „Zwischenschritt“ eines zeitlichen gestreckten Sachverhalts (hier: Memorandum of Understanding; MoU) kann grundsätzlich in zweifacher Hinsicht eine „genaue Information“ darstellen:

-Er kann ein Indiz dafür sein, dass das Endergebnis als Endpunkt des gestreckten Sachverhaltes hinreichend wahrscheinlich eintreten wird.
-Er kann nach der Rsp des EuGH auch selbst eine „Reihe von Umständen“ bzw ein „Ereignis“ darstellen, sodass die Eignung zur erheblichen Beeinflussung des Kurses sowie die Spezifität der Information im Hinblick auf diesen Zwischenschritt eigenständig zu beurteilen ist.

Die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung ist ex ante aus der Sicht eines verständigen Anlegers zu überprüfen. Eine nachträgliche, tatsächliche Kursveränderung ist bei dieser Beurteilung lediglich ein Indiz für die Kurserheblichkeit, für das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 48d Abs 1 iVm § 48a Abs 1 BörseG jedoch nicht erforderlich.

VwGH 20. 4. 2016, Ra 2015/02/0152 und 0153

Entscheidung

Im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren hat der VwGH zusammengefasst zudem ua ausgesprochen:

-Eine von den Emittenten von Finanzinstrumenten der Öffentlichkeit unverzüglich bekannt zu gebende Insider-Information ist gem § 48a Abs 1 Z 1 BörseG eine „öffentlich nicht bekannte, genaue Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, weil sie ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde“ („Kurserheblichkeit“).
Ein „Zwischenschritt“ eines zeitlichen gestreckten Sachverhalts (hier: Memorandum of Understanding) kann grundsätzlich in zweifacher Hinsicht eine „genaue Information“ darstellen: Zum einen kann ein Zwischenschritt ein Indiz dafür sein, dass das Endergebnis als Endpunkt des gestreckten Sachverhaltes hinreichend wahrscheinlich eintreten wird. Zum anderen kann er nach der Rsp des EuGH auch selbst eine „Reihe von Umständen“ bzw ein „Ereignis“ darstellen (nach der Terminologie des BörseG: „Reihe von [...] Tatsachen und Ereignissen“, was unter Berücksichtigung des Wortlautes des § 48d Abs 1 BörseG und den unionsrechtlichen Grundlagen so zu verstehen ist, dass auch ein einzelnes Ereignis davon erfasst ist), sodass die Eignung zur erheblichen Beeinflussung des Kurses sowie die Spezifität der Information im Hinblick auf diesen Zwischenschritt eigenständig zu beurteilen ist. Im letzten Fall wird die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Endergebnisses jedoch idR für die Fragen von Bedeutung sein, ob erstens die Information spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung auf die Kurse von Finanzinstrumenten zuzulassen, und ob sie zweitens geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, weil ein verständiger Anleger sie wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde.
-Im Fall eines gestreckten Sachverhalts wäre eine Rechtsauffassung von vornherein rechtswidrig, wonach die Eintrittswahrscheinlichkeit (der Durchführung der Transaktion) ohne Belang für die Frage des Vorliegens einer Insider-Information sei.
-Der Abschluss des MoU kann als ein solches eigenständiges Ereignis qualifiziert werden, das bereits eingetreten ist und auf dessen Eintrittswahrscheinlichkeit es daher nicht ankommt. Die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Durchführung des Projekts allerdings spielt insoweit eine Rolle, als diese Frage auch in einer solchen Konstellation für die Beurteilung von Bedeutung sein kann, ob die Information spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung auf die Kurse von Finanzinstrumenten zuzulassen, und ob sie geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, weil ein verständiger Anleger sie wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde.
-Im Rahmen eines zeitlich gestreckten Sachverhaltes kommt es für die Beurteilung der Frage, ob die Transaktion tatsächlich abgeschlossen, dh ob das Endereignis tatsächlich eintreten würde, nicht darauf an, ob das MoU rechtsverbindlich oder bloß „unverbindlich“ ist. Entscheidend ist vielmehr, welcher Wert der Information (va hinsichtlich der Einschätzung der Kurserheblichkeit) aus dem Blickwinkel der Einschätzung eines verständigen Anlegers beigemessen wird.
-Die Information über den Abschluss des MoU erweist sich hier als genau, weil sie einerseits ein bereits eingetretenes Ereignis erfasst und andererseits auch spezifisch genug ist, um einen Schluss auf mögliche Auswirkungen auf den Kurs der betroffenen Finanzinstrumente zuzulassen. Wie der EuGH in seiner Rsp festgehalten hat, ist es dafür nicht notwendig, dass sich bestimmen lässt, in welche Richtung sich der Kurs des betreffenden Finanzinstruments entwickeln wird; vielmehr kommt es darauf an, ob die Information hinreichend konkret und spezifisch ist, um als Grundlage für die Beurteilung dienen zu können, ob das Ereignis (bzw die Reihe von Umständen) eine Auswirkung auf die Kurse von Finanzinstrumenten haben kann (bzw können; vgl EuGH 11. 3. 2015, C-628/13, Lafonta, Rn 30 f, LN Rechtsnews 19121 vom 12. 3. 2015 = RdW 2015/270). Nach dieser Rsp sind Informationen dann nicht ausreichend spezifisch, wenn sie bloß vage oder allgemein sind und keinen Schluss auf ihre mögliche Auswirkung auf den Kurs zulassen (Rn 31 des Urteils Lafonta).
-Die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung ist ex ante aus der Sicht eines verständigen Anlegers anhand des Inhalts und des Kontextes der Information im Marktgeschehen zu überprüfen, wobei der verständige Anleger eine Maßfigur ist, der aus unionsrechtlicher Perspektive zu unterstellen ist, dass sie alle bereits öffentlich bekannten Informationen kennt. Ein verständiger Anleger kann daher eine Information auch dann als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen, wenn sie es ihm nicht erlaubt, die Änderung des Kurses in eine bestimmte Richtung vorherzusehen. Die hohe Komplexität der Finanzmärkte macht eine exakte Einschätzung der Kursentwicklung nämlich besonders schwierig, sodass allgemein betrachtet jeder Anleger zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen kann. Würde eine Insider-Information iSd § 48a Abs 1 Z 1 BörseG erst dann vorliegen, wenn sich die Richtung der Kursentwicklung bestimmen ließe, würde dies im Ergebnis dazu führen, dass Besitzer von Informationen zum Nachteil anderer Marktteilnehmer profitieren könnten, indem sie die Unsicherheit der Informationen vorgeben und sich deshalb einer Veröffentlichung enthalten könnten. Eine nachträgliche, tatsächliche Kursveränderung ist bei dieser Beurteilung lediglich ein Indiz für die Kurserheblichkeit, für das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 48d Abs 1 iVm § 48a Abs 1 BörseG jedoch nicht erforderlich.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21643 vom 18.05.2016