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Schadensminderungsobliegenheit und rechtmäßiges Alternativverhalten

Bearbeiter: Wolfgang Kolmasch

ABGB: §§ 1304, 1325, 1327

Der Geschädigte kann den Einwand, er habe gegen seine Schadensminderungsobliegenheit verstoßen, durch den Gegeneinwand, dass derselbe rechnerische Schaden auch beim geforderten Alternativverhalten eingetreten wäre, entkräften. Maßgeblich ist der rechnerische Schaden; dass die realen Schäden unterschiedlich ausgefallen wären, hat keine Bedeutung.

Zwar ist die religiös motivierte Weigerung des Unfallopfers, eine zur Lebenserhaltung notwendige Bluttransfusion durchführen zu lassen, als Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit zu werten. Dieser Verstoß hat jedoch keine Auswirkungen auf Ersatzansprüche eines Angehörigen des infolgedessen verstorbenen Unfallopfers für Begräbniskosten und Trauerschäden, wenn dieser einwendet und nachweist, dass die Ersatzansprüche, die das Unfallopfer im Fall seines Überlebens geltend machen hätte können (Schmerzengeld, Heilungskosten usw), rechnerisch gleich bzw höher ausgefallen wären.

OGH 31. 8. 2016, 2 Ob 148/15a

Anmerkung

Die Ehegattin des Klägers wurde im Jahr 2005 bei einem Verkehrsunfall von einem Sattelzug überrollt. Da sie als Zeugin Jehovas einen entsprechenden Widerspruch erklärt hatte, konnten im Krankenhaus Bluttransfusionen, die zur Lebenserhaltung erforderlich gewesen wären, nicht durchgeführt werden. Sie verstarb deshalb am folgenden Tag. Der beklagte Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs hat für das grobe Verschulden des Sattelzuglenkers, das für den Unfall verantwortlich war, einzustehen.

Der Kläger begehrte vom Beklagten den Ersatz der Begräbniskosten (ca 5.700 €) sowie ein Trauerschmerzengeld in Höhe von 10.000 €. Im ersten, im Jahr 2011 abgeschlossenen Rechtsgang gelangte der OGH zur Auffassung, dass die Verweigerung der Bluttransfusionen als Verstoß des Unfallopfers gegen die Schadensminderungsobliegenheit, der sich grundsätzlich auch auf die Ersatzansprüche des Klägers auswirkt (2 Ob 219/10k = Zak 2011/526, 278), gewertet werden kann. Im zweiten, mit der vorliegenden Entscheidung des OGH beendeten Rechtsgang wendete der Kläger unter Berufung auf Literaturstimmen (zB Huber, Anm zu ZVR 2012/44; Steininger, Anm zu EvBl 2011/152, dazu Zak 2012/38, 20) ein, dass die Ersatzpflicht des Beklagten im Fall des Überlebens seiner Ehegattin im Ergebnis viel höher ausgefallen wäre und deren Weigerung deshalb nicht als Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit berücksichtigt werden dürfe. Der OGH hielt diesen Einwand für zulässig, weil sich die Bindungswirkung des ersten Rechtsgangs seiner Ansicht nach auf die Klarstellung beschränkt, dass die Weigerung des Unfallopfers trotz des religiösen Motivs als Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit qualifiziert werden kann. Der Einwand sei auch berechtigt. Dogmatisch handle es sich um den Gegeneinwand, dass (zumindest) derselbe Schaden auch bei dem geforderten Alternativverhalten eingetreten wäre. Dadurch könne die Berufung auf einen Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit entkräftet werden. Dass es im einen Fall um Schadenersatzansprüche des Klägers als Angehörigem und im anderen hypothetischen Fall um Ersatzansprüche des Unfallopfers geht, schade nicht, weil es rein auf den rechnerischen Schaden ankomme.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22324 vom 20.09.2016