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Sicherung des Massevermögens durch Insolvenzgericht

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

IO: § 3, § 78

Trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibt das Massevermögen für den Schuldner weiterhin zugänglich, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass er Massegegenstände wegschafft oder massezugehörige Forderungen direkt entgegennimmt. Rechtshandlungen des Schuldners betreffend die Insolvenzmasse sind allerdings den Insolvenzgläubigern gegenüber nach § 3 Abs 1 IO unwirksam und Maßnahmen zur Sicherung des Massevermögens gem § 78 Abs 1 IO (auf Antrag oder von Amts wegen) können daher im Allgemeinen keine Ge- oder Verbote gegen Rechtshandlungen des Schuldners sein. Dies gilt aber nur dann, wenn mit den Wirkungen nach § 3 Abs 1 IO kein ausreichender Sicherungseffekt erzielt werden kann.

Ist eine drohende Schädigung der Insolvenzmasse daher aufgrund der konkreten Gegebenheiten allein mit den Wirkungen des § 3 Abs 1 IO nicht mehr ausreichend beherrschbar, können sich Sicherungsmaßnahmen nach § 78 Abs 1 IO auch auf Rechtshandlungen des Schuldners beziehen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn konkret zu befürchten ist, dass der Schuldner im Ausland gegen die Verfügungsbeschränkung nach § 3 Abs 1 IO verstößt (hier: ua durch Ausübung des Stimmrechts bei der ausländischen Tochtergesellschaft zum Nachteil des massezugehörigen Gesellschaftsanteils der Schuldnerin).

OGH 27. 9. 2016, 8 Ob 85/16g

Sachverhalt

Die Schuldnerin ist eine österreichische GmbH. Sie ist Gesellschafterin einer in Slowenien registrierten und ansässigen Tochtergesellschaft. Beide Gesellschaften haben denselben Geschäftsführer.

Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin besteht spätestens seit Ablauf Dezember 2013; spätestens mit 15. 2. 2014 war diese erkennbar. Trotz dieser Situation hat der Geschäftsführer der Schuldnerin ua weiterhin Verpflichtungen der Schuldnerin gegenüber der Tochtergesellschaft begründet und Zahlungen aus dem Vermögen der Schuldnerin an die Tochtergesellschaft geleistet, während die übrigen Gläubiger keine Zahlungen erhielten. Sämtliche bisher bekannten Handlungen des Geschäftsführers der Schuldnerin waren für diese nachteilig und hatten die Schädigung der Insolvenzmasse zur Folge.

Außerdem versucht der Geschäftsführer der Schuldnerin, die Ausübung des Stimmrechts der Schuldnerin bei der Tochtergesellschaft durch den Insolvenzverwalter auszuhebeln und auch auf diese Weise die Insolvenzmasse weiter zu schädigen. Dazu hat er mitgeteilt, dass er nicht bereit sei, eine Verletzung der Stimmrechte durch den Insolvenzverwalter zu akzeptieren.

Am 9. 6. 2016 stellte der Insolvenzverwalter den Antrag, dem Geschäftsführer der Schuldnerin gem § 78 Abs 1 IO die Ausübung des Stimmrechts für die Schuldnerin in Generalversammlungen der slowenischen Tochtergesellschaft zu verbieten, soweit die Stimmrechtsausübung den massezugehörigen Gesellschaftsanteil berührt.

Das ErstG erließ die beantragte Sicherungsmaßnahme. Das RekursG gab dem Rekurs des Geschäftsführers der Schuldnerin Folge und wies den Antrag des Insolvenzverwalters ab.

Der OGH gab dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs des Insolvenzverwalters Folge.

Entscheidung

Klarstellung zur E 8 Ob 129/04k

In der E 8 Ob 129/04k, LN Rechtsnews 312 vom 5. 10. 2005, wurde ausgesprochen, dass sich § 78 KO (IO) schon begrifflich nicht auf Rechtshandlungen eines Schuldners nach Insolvenzeröffnung beziehen kann, weil Rechtshandlungen des Schuldners betreffend die Insolvenzmasse gem § 3 Abs 1 KO (IO) den Insolvenzgläubigern gegenüber unwirksam sind. Es kämen daher allenfalls Sicherungsmaßnahmen gegen faktische Handlungen (zB die Verbringung von Massevermögen) in Betracht (dem folgend zB auch Katzmayr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 78 IO Rz 9 und 24).

Dazu stellt der OGH nun klar, dass die Aussage in dieser E nicht als absolutes Dogma, sondern als Grundsatz zu werten ist. Vordergründiges Ziel des § 78 Abs 1 IO bleibt die Sicherung des Massevermögens vor schädigenden Zugriffen und Verfügungen va durch den Schuldner, so der OGH. Dabei sei zu bedenken, dass sich an die Insolvenzeröffnung zwar Verfügungsbeschränkungen des Schuldners knüpfen, dadurch aber keine dinglichen Rechte am Insolvenzvermögen begründet werden, wie etwa ein insolvenzrechtlicher Beschlag oder ein Pfandrecht.

Die Zielrichtung des § 78 IO (wie des § 73 IO) besteht in einem effektiven Schutz des Massevermögens vor unbefugten Zugriffen. Davon ausgehend ist nach Ansicht des OGH der Schluss gerechtfertigt, dass auf eine Sicherungsmaßnahme nach § 78 Abs 1 IO immer dann verzichtet werden kann, wenn mit den Wirkungen nach § 3 Abs 1 IO ein ausreichender und mit einer Maßnahme nach § 78 Abs 1 IO vergleichbarer Sicherungseffekt erzielt wird. Diese Beurteilung hängt maßgebend von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, wobei im Allgemeinen, also bei gewöhnlichen Verhältnissen, Zurückhaltung geboten erscheint.

Anlassfall

Das Vorliegen von Schädigungsabsicht bzw Schlechtgläubigkeit kann ein Abweichen von diesem Grundsatz rechtfertigen (vgl auch 8 Ob 129/04k). Im Anlassfall wird das Gefahrenpotenzial für die Insolvenzmasse zudem durch den Auslandsbezug maßgebend erhöht.

Der Sicherung der Insolvenzmasse dient nach Ansicht des OGH jede Maßnahme, die geeignet ist, schädigende Verfügungen des Schuldners über Massevermögen oder einen Zugriff darauf durch den Schuldner oder durch Dritte zu verhindern. Zu diesem Zweck können Gebote oder Verbote erlassen und dem Schuldner oder Dritten ua aufgetragen werden, bestimmte Handlungen zu unterlassen (Katzmayr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 78 IO Rz 28 bis 30).

In Anlassfall ändert der OGH daher den Beschluss des RekursG dahin ab, dass dem Geschäftsführer der Schuldnerin nun mit Einstweiliger Vorkehrung untersagt wird,

-bei Beschlüssen der slowenischen Tochtergesellschaft in jedweder Form das Stimmrecht für die Schuldnerin auszuüben, soweit die Stimmrechtsausübung den massezugehörigen Gesellschaftsanteil oder das massezugehörige Vermögen berührt;
-im Verhältnis zur slowenischen Tochtergesellschaft in jedweder Form Rechtsgeschäfte abzuschließen, Rechtshandlungen vorzunehmen oder rechtserhebliche Erklärungen abzugeben;
-in jedweder Form Rechtshandlungen und Verfügungen in Bezug auf den Gesellschaftsanteil der Schuldnerin an der slowenischen Tochtergesellschaft vorzunehmen;
-in jedweder Form faktische Handlungen und Dispositionen über massezugehörige Gegenstände, Finanzmittel oder sonstige Vermögenswerte der Schuldnerin zum Vorteil oder Nutzen der slowenischen Tochtergesellschaft vorzunehmen.

Die einstweilige Vorkehrung endet mit Widerruf durch das Insolvenzgericht bzw mit Rechtskraft des Insolvenzaufhebungsbeschlusses. Die Sicherungsmaßnahmen sind gemäß § 254 Abs 6 IO iVm Art 25 Abs 1 Unterabs 3 EuInsVO vollstreckbar und mit Beugehaft durchsetzbar.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22579 vom 08.11.2016